2600 Hamburger Schüler trugen das königliche Spiel aus. 669-mal gewann das rechte Alsterufer die Partie.

Es ist einer dieser besonderen Momente, die man so schnell nicht wieder vergisst: Kurz nach halb elf wird es still, mucksmäuschenstill im großen Saal des Congress Center Hamburg (CCH). Die mehr als 2600 Schüler, die eben noch durch die Gänge der langen Tischreihen rannten, sich in ohrenbetäubender Lautstärke unterhielten, sitzen sich schweigend gegenüber - die Köpfe gebeugt, die Gesichter gerötet vor Aufregung.

Es ist ein legendärer Wettkampf, zu dem die Hamburger Schulen seit nunmehr 50 Jahren zusammenkommen. Jedes Jahr treten die Schulen vom rechten Alsterufer gegen die Schulen vom linken Alsterufer an.

Sie tragen ein wahrhaft "königliches Spiel" aus, das derjenige für sich entscheidet, der seine 16 Figuren auf dem 64 Felder großen Spielbrett so strategisch geschickt bewegt, bis der gegnerische König stürzt.

Um die beiden gegnerischen Seiten richtig zuzuordnen, muss man die Alster von ihrer Quelle her betrachten. Und so gesehen saßen sich Philip Craib und Fabian Engel am Mittwoch verkehrt gegenüber. Die Gymnasiasten bildeten eines der knapp 1300 Paare, die zum Jubiläumsspiel aufeinander trafen. Rechts: Craib vom Margareta-Rothe Gymnasium in Barmbek-Nord. Links: Engel vom Gymnasium Dörpsweg in Eidelstedt.

Startete das Schachturnier vor einem halben Jahrhundert mit nur 20 Mannschaften, zogen in diesem Jahr 317 Mannschaften aus 130 Schulen lärmend vom Bahnhof Dammtor zum Congress Center. Doch wer Tausende Mathe-Asse erwartete - samt der ihnen zugeschriebenen Stereotype -, der wurde gründlich überrascht. Kapuzenpulli, Sneaker und Buggyhosen beherrschten die Szene. Selbst beim Spiel ließ so mancher die Kopfhörer seines MP3-Players in den Ohren.

"Schach macht einfach Spaß", sagt Abiturient Craib. Mit einer Deutschen Wertezahl (DWZ) von 1250 Punkten - dem Handicap der Schachspieler - gehört er zu den Besten im Saal. Und was macht Spaß daran? "In Ruhe nachzudenken, statt immer nur rumzudaddeln", antwortet sein Mathelehrer Patrik Stüver (30). "Schach ist eine willkommene Abwechslung zu den anderen modernen Spielformen", ergänzt Andre van der Velde, der Vorsitzende des 2200 Mitglieder starken Hamburger Schachvereins. "Und es hat tolle pädagogische Aspekte - auch wenn die Kinder daran bestimmt nicht denken."

"Sich mit anderen zu messen macht Spaß. Und zu gewinnen", sagt der zehnjährige Gereon Gardemann vom Gymnasium Marienthal. Gerade die jüngsten Spieler sind mit besonders großer Leidenschaft am Spiel.

Bereits nach 20 Minuten hat der Fünftklässler Gereon seinen Gegner im wahrsten Sinne des Wortes vom Tisch gefegt, zeigt seinem schmollenden Gegenüber noch ein paar ungenutzte Chancen auf und verstaut seine exotischen, weil violettfarbenen Bauern, Springer und Läufer in einer großen Tupperware-Dose.

Die älteren Spielen brauchen dafür etwas länger. Eine Stunde und 40 Minuten dauert es, bis Craib und Engel ihren Kampf entschieden haben. 20 Minuten nach zwölf fällt Craibs König als einer der letzten. Matt hebt der 18-Jährige den Kopf, blinzelt im Licht der Kunststoffröhren und reicht seinem Kontrahenten die Hand.

Es ist gestern einer von vielen Siegen für die Schulen vom rechten Alsterufer. In den fast 1300 Begegnungen bleiben sie in 669 Fällen ungeschlagen. Eine Überraschung, schließlich hatte die linke Uferseite in den vergangenen 50 Jahren meist das größere Spielerglück.

Die besten Schachspieler aber kommen in diesem Jahr ganz aus dem Westen: Den Pokal für die beste Schulmannschaft holten die Schüler des Gymnasiums Rissen. Sie kamen nicht nur von der richtigen Alsterseite, sondern blieben zudem alle ungeschlagen.