Hamburg persönlich
"Krischan", so habe ihn sein Vater immer genannt, sagt Christian Nannen (61). Bei der Erinnerung an den liebevollen Kosenamen, wird die Stimme des Unternehmers eine Spur leiser. Es seien nur wenige Dinge gewesen, durch die sich Christian Nannen, heute Chef von Travelite, einem der größten Hersteller von Koffern und Reisetaschen Deutschlands, als Jugendlicher mit seinem Vater Henri emotional eng verbunden gefühlt habe.
Denn Henri Nannen, der mit der Erfindung der Zeitschrift "Stern" Mediengeschichte geschrieben und sich als Chefredakteurlegende und späterer Kunst-Mäzen selbst ein Denkmal setzte, hat sich als Vater nicht mit Ruhm bekleckert. Das schwierige Verhältnis zu seinem "Übervater" Henri - heute vor elf Jahren starb der berühmte Journalist - ist einer der Gründe dafür, warum Christian Nannen einen ganz anderen Lebensweg eingeschlagen hat.
Nannen klingt nicht verbittert, wenn er über die damalige Zeit spricht. Weil er die Zwänge und den Charakter seines Vaters heute besser verstehen kann. Und weil er seine eigene Bestimmung gefunden hat. Geholfen hat ihm dabei seine Frau Gisela, in die er sich als 19-Jähriger in Nachbars Garten verliebte. Vier Jahre später heirateten die beiden. Christian Nannen wurde wie ein Sohn in ihrer Familie aufgenommen - ein schönes, ungewohntes Gefühl. Nach einem Volontariat bei Gruner+Jahr stieg er in das Familienunternehmen seiner Frau ein - eine Firma, die zunächst Einkaufstaschen aus Plastik fertigte und heute unter dem Namen Travelite rund 500 000 Koffer und ebenso viele Reisetaschen pro Jahr verkauft.
Bei Gisela und ihrer Familie bekam Nannen die "Nestwärme und Unterstützung", die ihm als Kind häufig versagt geblieben war. So lernte er für sein Abi nicht etwa mit dem Vater, sondern bekam Nachhilfe von dem späteren Bürgermeister und Freund der Familie Henning Voscherau. Auch Liebeskummer und Pubertätssorgen wurden vom Familienoberhaupt ferngehalten. Denn dieses war stets vollauf mit dem Job beschäftigt, gemeinsame Zeit mit dem Sohn verbrachte Nannen höchst selten.
Doch genau danach sehnte sich der Jugendliche mit dem berühmten Nachnamen. Besondere Nähe habe er bei zwei eher ungewöhnlichen Gelegenheiten gespürt, so Nannen. Als Neunjähriger durfte er eine aufregende Autofahrt mit seinen Eltern in einem Mercedes 300 SL nach Italien erleben: auf der Ablagefläche hinter den Kopfstützen, da der Wagen nur zwei Sitze hatte. Ähnlich spannend für den Sohnemann und auch verboten: Die Bitte an den damals 16-Jährigen, seine von einer langen Fahrt müden Eltern nach einer Urlaubsreise im Auto nach Hause zu fahren. "In diesen Momenten waren wir eine Familie. Sonst hat mein Vater in erster Linie für seine Arbeit gelebt", so Christian Nannen. Es ist auch kein Geheimnis, das Henri Nannen zwar Regierungen und Behörden bis zum bitteren Ende die Stirn bieten konnte, der Macht des weiblichen Geschlechts jedoch nur schwer widerstand. Letzteres, weil Nannen "bei Frauen fast naiv gutherzig war", so sein Sohn Christian. "Worunter seine eigene häufig gelitten hat", fügt er hinzu. Und das nimmt er seinem Vater noch heute übel: die zu späte Erkenntnis darüber, dass er den Großteil seines Erfolges Ehefrau Martha zu verdanken gehabt hat. "Sie hat sein großes Ego ertragen, ihn gleichzeitig unterstützt und die Familie zusammengehalten", sagt Christian Nannen. Die Karriere seines Vaters begann vor dem Zweiten Weltkrieg. Zunächst studierte er Kunstgeschichte und schrieb dann für einen Münchner Kunstverleger Kulturberichte. Nach dem Krieg folgten Stationen bei den "Hannoverschen Neuesten Nachrichten" und der "Abendpost". 1948 entwickelte Nannen aus der Jugendzeitschrift "Zickzack" die politisch engagierte Illustrierte "Stern", welche sich zum auflagenstärksten Magazin Europas entwickelte. Und das Leben des Journalisten bis zu seinem Ausscheiden aus dem G+J-Vorstand 1983 nach der Affäre um die gefälschten "Hitler-Tagebücher" prägte. So, wie auch das Leben seines einzigen Sohnes.
Christian Nannen lebt heute sehr glücklich in einem Haus in Wellingsbüttel. Tochter Stefanie wurde wie ihr bekannter Opa Journalistin. Sohn Jan-Oliver leitet heute die Firma Travelite und wird in der täglichen Arbeit von seinemVater unterstützt. Nannen liebt gesellige Abende im Kreise seiner Lieben und hat kürzlich sein Feriendomizil von Mallorca nach Sylt verlegt: "Weil das günstiger für die beiden kleinen Enkelkinder liegt", wie er sagt.
Aus Überzeugung und eigener Erfahrung sei er ein "fast spießiger Familienmensch" geworden. Den "Stern" abonniert er schon lange nicht mehr. Sein Blick in die Vergangenheit sei jedoch nicht getrübt von Verbitterung. Mit seinem Vater hat er einige Jahre vor dessen Tod durch viele Gespräche seinen Frieden geschlossen. Und deshalb auch gern auf sein Erbe zugunsten der heute von Eske Nannen, der dritten Ehefrau der Journalistenlegende, geführten Kunstsammlung in Emden verzichtet. Durch seine Funktion als stellvertretender Ratsvorsitzender ist Christian Nannen der Stiftung seines Vaters heute eng verbunden.
Wenn Christian Nannen wie jedes Jahr im Frühjahr zur Verleihung des Henri-Nannen-Preises vom Gruner+Jahr-Verlag mit seiner Familie erscheint, werden viele gar nicht wissen, wer er ist. Bescheiden nimmt er dann als "Krischan" in Reihe 14 Platz und gedenkt des Erbes und Wirkens einer Legende. Henri Nannen. Ein Mann, dessen Namen er heute gerne trägt.