Prügelszenen, Vergewaltigungen - die Staatsanwaltschaft ermittelte schon in mehreren Fällen. Expertin: Vielen Eltern ist nicht bewusst, was im Umlauf ist.

Experten nennen es "Happy Slapping", "Cyberbullying" oder "Snuffing". Was sich hinter diesen englischen Begriffen verbirgt, gehört heute zum Alltag von Kindern und Jugendlichen. Videos auf dem Handy, die zeigen, wie jemand verprügelt, sexuell gedemütigt oder sogar ermordet wird. Rund die Hälfte aller Jugendlichen im Alter von zwölf bis 19 Jahren hat schon mindestens einmal ein solches Handyvideo gesehen. Das ist das Ergebnis einer Studie zu "Gewalt und Pornografie auf dem Handy", die die Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein (MA HSH) gestern veröffentlicht hat.

"Vor ein paar Jahren waren Gewaltvideos auf dem Handy noch unvorstellbar, heute gehört dieses Phänomen zur Realität von Kindern und Jugendlichen, die diese auch inflationär und unreflektiert verbreiten", sagte Wolfgang Bauchrowitz, stellvertretender Direktor der MA HSH.

In Hamburg gibt es pro Jahr etwa 20 Fälle von "Happy Slapping". "Doch das ist nur die Spitze des Eisberges. Das sind dann schon schwere Fälle von Körperverletzung und sexuellem Missbrauch", sagte Christian Böhm, Leiter der Beratungsstelle Gewaltprävention des Hamburger Landesinstituts für Lehrerbildung. "Uns werden wirklich nur die harten Fälle bekannt, vieles regeln die Schulen auch selbst."

Anfang Mai dieses Jahres ermittelte die Hamburger Staatsanwaltschaft in 14 Fällen, dabei ging es um Körperverletzung und Sexualdelikte (wir berichteten). Denn was viele Jugendliche beim Verschicken oder sogar Drehen dieser Videos vergessen: Es handelt sich um Straftaten. Auch wer nur Prügelszenen über das Internet verbreitet, läuft Gefahr, sich strafbar im Sinne des Paragrafen 131 Strafgesetzbuch zu machen. In diesem Fall droht bis zu einem Jahr Haft.

Die Medienanstalt fordert nun Mobilfunkanbieter auf, Handys anzubieten, die speziell für Kinder voreingestellt sind, und mahnt Eltern und Schulen, sensibler für diese sich immer schneller verbreitenden Gewaltvideos zu werden und zu reagieren. "Handyverbote helfen da nicht, Aufklärung schon", sagt Wolfgang Bauchrowitz.

Laut der Studie, die von Petra Grimm, Professorin der Stuttgarter Hochschule für Medien, im Auftrag der Hamburger Medienanstalt erhoben wurde, gaben nur fünf Prozent der befragten Jugendlichen auch zu, solche Gewaltvideos schon mal auf dem eigenen Handy gespeichert zu haben. Diese "Heavy User", Jugendliche, die sich gegenseitig die Filme schicken, sind laut Studie meist männlich, um die 16 Jahre alt und Haupt- und Realschüler. "Ich denke aber, dass die Dunkelziffer viel höher ist", sagte Grimm bei der Präsention ihrer Ergebnisse.

Inzwischen haben 93 Prozent der Jugendlichen ein eigenes Handy, aber nur 17 Prozent der Eltern hätten mal gefragt, was die Kinder darauf alles so gespeichert hätten. "Das zeigt, dass vielen Eltern gar nicht bewusst ist, was technisch heute alles möglich ist und was da für brutale Filme im Umlauf sind", so Grimm weiter.

Die Studie hat auch gezeigt, dass das Ansehen der Videos von den Jugendlichen als Mutprobe oder Tabubruch empfunden wird. Ein befragter Jugendlicher sagte: "Ich habe es einmal angeguckt, dann habe ich es meinem Freund gezeigt - und ich konnte nicht mehr hingucken." Ein anderer sagte: "Das kann man gar nicht vergessen." Die Jugendlichen, die in den Videos zu sehen sind, die verprügelt werden oder in peinlichen Situationen gefilmt wurden, werden als "Opfer" gesehen. Prügeleien werden absichtlich provoziert, mit dem Ziel, diese aufzunehmen. Oft sind die "Opfer" ahnungslos, und die Täter schlagen noch fester zu, wenn sie wissen, dass sie dabei gefilmt werden.