Sie tanzen Tango, beraten junge Unternehmer, studieren an der Uni. Und sie kurbeln den Arbeitsmarkt in Hamburg an.

Karl-Heinz Will (71) liegt am Boden. Seit 30 Minuten trainiert der Ottensener auf einer Sportmatte in der Gymnastikhalle des Altonaer Turnverbandes (ATV) von 1845 Bauch, Beine und Po. Der Begriff Senior passt nicht zu dem Ex-Berufssoldaten. Dafür sind die Muskeln zu durchtrainiert, die Augen blicken zu rege, der Gang ist zu aufrecht und zu beschwingt. Alt fühlt er sich nicht: "Was heißt das, alt? Ich kenne jüngere Menschen, die weniger mit ihrem Leben anstellen als ich."

Will ist ein typisches Beispiel der "neuen Alten". Sie werden immer aktiver - und immer mehr: Der Anteil der 65-Jährigen und Älteren liegt bei 18,5 Prozent. Das ist zwar etwas weniger als der Bundesdurchschnitt mit 19,8 Prozent. Aber in einigen Stadtteilen ist der Anteil deutlich höher - in Poppenbüttel etwa sind es 29,4 Prozent: Rekord.

Entsprechend richtet sich die Stadt Hamburg auf den demografischen Wandel ein. So gibt es für 41 400 pflegebedürftige Menschen in Hamburg 10 000 Wohnungen in betreuten Wohnanlagen, 16 000 Plätze in Alten- und Pflegeheimen sowie 380 ambulante Pflegedienste. Das Angebot wird weiter ausgebaut, betont Jasmin Eisenhut, Sprecherin der Sozialbehörde. Beispiel: "Weil viele alte Menschen trotz Krankheit weiterhin sich selbst versorgen wollen, hat die Stadt jetzt fünf Wohngemeinschaften für Demenzkranke eröffnet."

Damit eröffnen sich für den Arbeitsmarkt neue Perspektiven, ergänzt Katrin Kell, Leiterin des Teams Pflege der Diakonie Hamburg. Der Bedarf an Altenpflegern steigt: "Pflegeberufe haben Zukunft." Mit der Einführung neuer Berufsabschlüsse wie Gesundheits- und Pflegeassistenz für Hauptschüler will die Stadt dem Mangel jetzt entgegenwirken.

Doch viele Senioren wollen nicht an Pflege denken. So wie der Ex-Manager Jörg Peters (64). Als einer von 30 ehrenamtlich tätigen Wirtschafts-senioren berät er Existenzgründer. "Ich weiß, dass ich kein junger Hüpfer bin", sagt Peters. "Aber zwischen jungem Hüpfer und altem Eisen liegt ein riesiger Zwischenraum, da bin ich mittendrin."

Peters ist kein Einzelfall. "Ältere Menschen sind mit ihrem Erfahrungsschatz immer gefragter und bringen sich aktiv ein", sagt Jörn Arfs, Sprecher der Handelskammer Hamburg. Die Hamburger Soziologin Ursula Barth-Deuß vom Seniorenbüro ergänzt: "Lernen im Alter ist heute selbstverständlich." Erdim Ersay kann das bestätigen. "Nur im Cafe zu sitzen, das ist nichts für mich", sagt der 72-Jährige. Gemeinsam mit 1539 Senioren hat Ersay im Sommersemester an der Universität Hamburg studiert.

Fremdsprachen seien besonders beliebt, sagt Hannelore Bastian von der Volkshochschule (VHS) Hamburg. Ihre Einrichtung verzeichnet stetigen Zuwachs an älteren Kursusteilnehmern. Derzeit liegt der Anteil der Senioren bei 17 Prozent, Tendenz steigend. Auch im sportlichen Bereich sind die Senioren auf dem Vormarsch. "Derzeit treiben 82 606 Menschen, die älter als 60 Jahre sind, in Hamburger Vereinen Sport", sagt Thomas Michael vom Hamburger Sportbund (HSB). Das entspreche 16,4 Prozent der organisierten Sportler. "Die Zahl wird noch steigen", prophezeit Michael.

Deswegen bieten Sportvereine wie der ATV schon jetzt Dutzende Kurse für ältere Menschen an. Medizinball werfen und Keulen schwingen war gestern - Complete Body Workout und Tai-Chi sind die aktuellen Sporthits der Senioren, sagt ATV-Manager Dirk Hartmann (31): "Die neuen Alten wollen keine Turnvater-Jahn-Übungen, sondern ein modernes Sportprogramm."

Birgitt Schindler (60), Trainerin im Verein für Leibeserziehung und Freizeitgestaltung (VLF), stimmt ihm zu. Tango tanzende und Gewichte stemmende Sportler über 80 Jahren gehören im VLF zum Alltag: "Geistig und körperlich fit bleiben, das ist ihr Ziel."

Gleiches gilt für Karl-Heinz Will und seine Ehefrau Ingrid Will (64). Die Vorstellung, nur zu Hause zu hocken, ist für sie ein Albtraum. "Wir haben Freunde, die nichts anderes machen. Für uns kommt das nicht infrage", sagt Will und stemmt die Zehn-Kilogramm-Hantel hoch.