HEIKE GÄTJEN trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute: Tine Wittler, Fernseh-Wohnexpertin

Was für ein Jammer! Sturmtiefs können nicht ihren Namen tragen. Sie sind in diesem Jahr männlich. So wie Kyrill, der gerade draußen tobt. Dabei ist diese Frau ähnlich zerstörerisch. Im Fernsehen. Da reißt sie Wände ein, macht Schrankwände zu Kleinholz. Lässt Couchgarnituren in der Müllpresse verschwinden, Neid aufkommen oder Entsetzen. Je nach Geschmack. Und macht alles neu. Jeden Mittwochabend auf RTL. Tine Wittler, die umtriebige Wohnexpertin vom "Einsatz in 4 Wänden - spezial".

Kyrill also hat uns nach drinnen gescheucht. In eine ehemalige Verpackungsfabrik in Ottensen, Hinterhof. Büro, Treffpunkt, Küche und Bar zugleich. Ihre Wohnung ist eine Etage darüber. Alles an und um Tine Wittler ist ein gewaltiger hinreißender Mustermix. Das Kleid. "Peinlich", sagt sie, "das hab ich mir in London gekauft. Das ist nicht aus meiner Kollektion." Ein Tisch aus Treibholz. Bearbeitet mit Bunsenbrenner und schwarzer Schuhcreme. Viel Ikea, freischwebende Regale, bequeme Sessel, skurrile Lampen. Ein Perserkater. Genannt "Der Katze" oder auch "Sunny". Eine Handtaschensammlung, die die britische Königin vor Neid erblassen lassen könnte.

Und ihre Unternehmungen: Eine eigene Modekollektion (www.prallewelt.com) ab Größe 46. Die Bar "Parallelwelt". Ein Vertrieb für Wohnaccessoires. Romanautorin. Geschichten direkt aus dem Leben gegriffen. Tatort Ottensen. "Ich rühr in wahnsinnig vielen Töpfen."

Also, sagt sie. Und setzt sich endlich. "Ich erzähl am besten mal die ganze Geschichte." Schnell hämmert sie noch eine Mail in den Laptop. Das Handy klingelt. Die Melodie von "Kill Bill". Abgewürgt. Dann kehrt Ruhe ein.

Tine Wittler ist ein Naturtalent. Im Erzählen. Wortreich. Positiv. Voller Wärme. Dieses ansteckende Lachen. "Ach", sagt sie, "alles was mir passiert, ist dermaßen durchgeknallt." Der Start lässt sich noch harmlos an. Christine Wittler wächst in Rahden auf. Einer Kleinstadt in Ostwestfalen-Lippe. In der Nähe von Minden. Sehr ländlich.

Der Vater Lehrer an der Volkshochschule. Die Mutter Assistentin der Geschäftsleitung in einem Elektronikkonzern. "In Vollzeit". Tine und ihre jüngere Schwester sind Schlüsselkinder. Kochen sich ihr Essen selber. Eva Herman würden sich die Nackenhaare sträuben. "Ich glaube, ich hab keinen Schaden davongetragen", sagt sie lachend. Sie sei selbstständig erzogen worden. "Behütet, aber nicht betütert." Sie ist eine gute Schülerin. Nach dem Motto: Minimum Input, Maximum Output.

Antityp der TV-Moderation

Ihre Schwester, sagt sie stolz, habe gerade ihren Doktor gemacht. In klinischer Linguistik. Arbeitet mit Schlaganfallpatienten. "Wir haben es beide mit der Sprache." Nach dem Studium folgt "die klassische Schiene eines Schreiberlings". Lokalzeitungen, Redakteurin für "Bravo TV". Da werden Mädchenzimmer aufgepeppt. Tine ist Redakteurin, Producerin, Handwerkerin, Designerin, Texterin und Moderatorin zugleich. Die Quoten steigen schlagartig an. Zwischendurch schreibt sie sich noch zweibändig Liebeskummer von der Seele. Dann geht es Zack auf Zack. Die Produktionsfirma entlässt 40 Mitarbeiter. Auch Tine. "Da stand ich nun. Dreißig, hoch ausgebildet, motiviert, arbeitslos. Nutz die Chance, dachte ich, schreib das auf." Im Roman "Parallelwelt".

Aber das Wohnformat wird zu neuem Leben erweckt. Von RTL. Moderatoren werden gecastet. Tine ist dran - und drin. Ein Antityp, der das Gleichmaß glatter TV-Moderatoren sprengt. Pummelig, gut gelaunt bis zur Schmerzgrenze manchmal. Eine Identifikationsfigur, weil sie die gleichen Probleme habe wie 75 Prozent deutscher Frauen, sagt sie. Mit ihren Markenzeichen: Der Wind und Wetter trotzenden Frisur "Betonliesl". Ihrem Schlachtruf "Abmarsch". Dem Rollkommando perfekt eingespielter Handwerker. Erst täglich. Seit einem halben Jahr nur einmal wöchentlich. Dafür länger und zur Primetime um 21.15 Uhr.

Tine Wittler - Kraftbombe mit Dauerbrennergarantie? Nein, sagt sie, langsam stoße sie an ihre Grenzen. Sie habe viel Kraft. "Aber ich weiß, dass sie endlich ist." Sie sei schon mal kaputt und müde. Hey, sagt sie plötzlich und springt auf. "Da kommt der Gatte." Rüdiger Schulz, Pharmareferent, mit dem sie seit einem Jahr zusammenlebt. Wie das geht? Ganz einfach, sagt sie, indem beide viel unterwegs sind. Wenn man sich dann mal zufällig träfe, so wie jetzt, sei das toll. "Schatz!", ruft sie. "Komm mal, sie möchte gern wissen, wie man das macht, das Zusammenleben!"

Rüdiger Schulz kommt. Groß, schlank, gut aussehend, ein fester Händedruck. "Ja", sagt er. "Wie das geht? Das wissen wir auch noch nicht."

280-mal in fremden Wohnungen

Wie war das also mit den Verschleißerscheinungen? Das letzte Jahr sei ein Wendepunkt gewesen. Sie hätte massiv gelernt, nicht nur mit dem Kopf durch die Wand zu rennen. Ein echter Widder, Aszendent Zwilling, sagt sie. Manche Dinge sollte man überschlafen. Und das sei schwierig für einen so ungeduldigen Mensch wie sie. Hat die Liebe geholfen? Hach, sagt sie. Ja, vielleicht.

Manchmal stehe sie irgendwie neben sich. Würde sich beobachten. Das sei schon hart, gesteht sie zögernd. "Zuzugucken wie ich Scheiße bin. Das macht das Ganze noch viel schlimmer. Je nach Tagesform sag ich dann, jetzt mal tranquillo, Kleine. Oder ich werde aggressiv."

280-mal hat sie in fremden Wohnungen bisher zugeschlagen. Das sei nicht immer einfach, sagt sie. "Dieser intime Einblick in Lebensverhältnisse." Sie zögert. "In manchen Haushalten gibt es nicht mal ein einziges Buch ... grad noch den Quelle-Katalog." Im letzten Sommer hatte sie - großer Luxus! - zweieinhalb Monate drehfrei. Verzog sich in ein Ferienhaus in Dänemark. Mutterseelenallein. Mit sich, ihren Gedanken, dem neuen Roman "Irgendwas is immer". Sechs Wochen schwimmen und schreiben.

Das könne sie gut, sagt Tine Wittler. Still sitzen, die Klappe halten oder einfach am Tresen ihrer Bar "Parallelwelt" sitzen. Dann kommt das Kontrastprogramm: Ihre Reise nach Schottland. Im Auto. Kein Hotel. Stockdunkel. Endlich ein lauschiger Parkplatz. Mitten in einem Neubaugebiet, stellt sich am nächsten Morgen heraus. "Wir hatten nicht mal getönte Scheiben!"

Tine Wittler ist einfach erstaunlich. Sonne, Blitz und Donnergrollen, blauer Himmel und Wolken zugleich. Ein Hoch sollte man nach ihr benennen. Das geht. Unter www. wetterpate.de, für 299 Euro.