Die junge türkische Mutter des kleinen Mädchens hat bereits zwei Kinder. Sie sagt, sie hatte Angst, ihr Cousin würde den Säugling umbringen.

Der Säugling, 2600 Gramm schwer und gerade mal fünf Wochen auf der Welt, lag auf einem Holzpodest im Treppenhaus eines maroden Mehrfamilienhauses an der Harburger Chaussee. Eingehüllt in eine Decke, ausgesetzt von seiner Mutter Leila Z. (Name von der Redaktion geändert). "Lisa Sonnenschein" nannten Krankenschwestern das Mädchen, als es am 6. Mai 2006 gefunden und ins Krankenhaus eingeliefert wurde.

Was geht in einer Mutter vor, die so etwas macht? Eine Amtsrichterin muss jetzt erforschen, was in der 22 Jahre alten Frau vorging, damals.

"Dann haben Sie das Kind letztlich abgesetzt, um es zu retten?", fragt die Richterin. Die Mutter antwortet nur: "Ja."

Ob es wirklich so war, soll der gestern begonnene Prozess zeigen. "Aussetzung", lautet der Vorwurf gegen Leila Z. Eine schlanke Frau, deren zartes Gesicht von einem Kopftuch eingerahmt ist. Wenn die junge Türkin spricht, dann hastig. Sie sagt, dass sie drei Kinder hat, von drei unterschiedlichen Vätern. Den Behörden hat sie den Namen vom Vater ihrer Jüngsten bisher nicht verraten.

"Ich bin schwanger geworden und sagte ihm das." Er habe gemeint, das sei okay. Mehr nicht. Mit ihm wohnt sie nicht zusammen. "Ich hatte das Gefühl, er wollte mich nicht. Und ich wollte mich nicht aufdrängen." Am 29. März sei das Kind dann auf die Welt gekommen, formuliert die junge Frau erstaunlich sachlich - eine Frühgeburt, der Säugling musste auf die Intensivstation. Sie sei schnell raus aus dem Krankenhaus, zu ihrer Wohnung an der Harburger Chaussee. Um sich wieder um ihre anderen zwei Kinder zu kümmern. Freiwillig, sagt sie, die Ärzte seien medizinisch davon nicht begeistert gewesen. Rund fünf Wochen später habe sie dann das Kind aus der Klinik abgeholt.

Sie habe den Kindesvater angerufen, ihn aufgesucht. "Ich wollte ihm das Kind zeigen", sagt Leila Z.. "Er hat es sich angeguckt, in den Arm genommen." Aber: "Für ihn war das Kind nicht wichtig. Er hat gedroht, es auf die Straße zu werfen." Das könne sie ihm nicht vergessen, grollt sie im Blick zurück. "Ich sagte ihm: ,Du kriegst das Kind nie.'"

Von der Schwangerschaft und dem Säugling habe ihre Familie angeblich nichts gewusst. Sie habe sich aber unter Druck gesetzt gefühlt, weil sie ja schon zwei Kinder von zwei verschiedenen Männern hat. Leila Z.: "Ich hatte Angst, dass sie dem Kind etwas antun würden, vor allem mein Cousin. Ich hatte Angst, dass er das Kind umbringt."

Also habe sie das Baby noch am selben Abend ein paar Häuser weiter in jenes Mehrfamilienhaus gebracht. Dort würden Bekannte wohnen. Sie habe ihrer Tochter frische Sachen angezogen, sie dort gegen 23.30 Uhr im Treppenhaus abgelegt und in der Nähe gewartet. Ein Bekannter sei dann vor dem Haus aufgetaucht. "Ich bin davon ausgegangen, dass er oder die Polizei das Kind finden, es mitnehmen." Warum sie dann das Kind nicht gleich zur Polizei gebracht habe, wundert sich die Staatsanwältin. "Ich hätte es auf jeden Fall wieder abgeholt", sagt Leila Z. Vor der Einrichtung Babyklappe, wo man in Not Säuglinge abgeben kann, habe sie Angst gehabt. Angst, dass sie ihr Kind nicht mehr wiederbekäme. Erst Stunden später, um 2.15 Uhr fand ein 28 Jahre alter Nachbar zufällig das ausgesetzte Baby. Es war unversehrt.

Die Kinder, auch "Lisa Sonnenschein", leben inzwischen nicht mehr bei der Mutter. Der Prozess wird fortgesetzt.