"Herr, warum hast du das zugelassen? Wo warst du?", sagt Pastor Berthold Bonekamp-Kerkhoff. Seine Stimme hallt. Es ist Donnerstag, 18 Uhr in der Kapelle des Kinderkrankenhauses Wilhelmstift in Rahlstedt. Jede der Holzbänke ist besetzt. Rund 100 Besucher sind zu dem Gedenkgottesdienst für Franjo (4) gekommen. Der Junge war vergangene Woche nach einem Arztfehler verstorben (wir berichteten). Die Beerdigung ist für kommende Woche geplant.
Jessy S., die Mutter des Jungen, sitzt in Begleitung ihrer Familie in der ersten Reihe. Sie sitzt aufrecht, wirkt gefasst. Auch zahlreiche Pfleger, Schwestern und Ärzte des Kinderkrankenhauses sind zu dem Gottesdienst gekommen. Nicht dabei: die Narkoseärztin, die Franjo eine zu hohe Dosis einer Glukose-Infusion verabreicht hatte, an deren Folgen er starb.
"In dieser schwierigen Zeit kommen bei uns Fragen auf. Denn wir versuchen, die Situation zu fassen", predigt Pastor Bonekamp-Kerkhoff. "Doch Gottes Antworten übersteigen oft unser Verstehen." Er erzählt von Petrus, dem Jünger Jesu, der seinen Herrn verleugnete und missverstand. Doch Jesus habe ihn wieder zu sich gelassen, ihm vergeben. In der Kapelle herrscht Stille. Der Pastor hebt seine Stimme. "Das bedeutet aber nicht, dass ein Schleier des Vergessens über menschliches Versagen gelegt werden soll." Sein Blick streift über die Anwesenden. "Aber es liegt in unserer Natur, Fehler zu machen und Schuld auf uns zu nehmen. Wir alle müssen genau hinsehen, damit sich diese Fehler nicht wiederholen."
Sonne scheint durch die bunten Glasfenster der Kapelle. "Doch alle haben das ewige Leben, die den Herren sehen und an ihn glauben." Franjo war am vergangenen Freitag noch getauft worden. Kurz darauf hatte sein Herz aufgehört zu schlagen. Der Pastor sagt: "Gott hat Franjo zu sich genommen." Die Besucher stehen auf, singen: "Herr, Deine Güte ist unbegrenzt, sie reicht so weit, der Himmel glänzt."
Am Montag vor einer Woche hatte Franjo nach einer Routineoperation zu fiebern begonnen. Eine Anästhesistin hatte ihm daraufhin eine Glukose-Infusion verabreicht, jedoch eine besonders hoch konzentrierte, weil die übliche nicht vorrätig war. Sie hatte die Infusion nur kurz legen wollen. Doch als sie zu einem Notfall gerufen wurde, gab sie keine Anweisung, die Verabreichung rechtzeitig zu stoppen. Die Folge: Hirntod des Kindes. Gegen die Ärztin ermittelt die Staatsanwaltschaft.