Der 93 Jahre alte ehemalige SS-Mann wurde vom Hamburger Landgericht wegen grausamen Mordes an 59 Italienern verurteilt.

Minuten vor der Entscheidung verriet Friedrich Engel, wie er auf eine Verurteilung reagieren würde: "Mit Haltung", sagte er, "Ich habe mein Leben lang gelernt, was Haltung ist." Am Freitag verkündete das Landgericht das Urteil im wohl letzten Prozess in Deutschland gegen einen Kriegsverbrecher: sieben Jahre Haft, schuldig des grausamen Mordes. Es war ein Mord an 59 italienischen Gefangenen, die im Mai 1944 am Turchino-Pass bei Genua erschossen wurden. In Gruppen mussten sie an einer Grube antreten. "Viva Italia", riefen zwei Gefangene noch. Die Erschießung war eine Vergeltung für einen Partisanen-Anschlag auf ein Soldatenkino in Genua, bei dem damals mindestens fünf deutsche Soldaten getötet wurden. Engel war 1944 Leiter des Außenkommandos Genua des SS-Sicherheitsdienstes (SD). "Sie waren der ranghöchste Mann vor Ort, leiteten die Aktion", sagte der Vorsitzende Richter Rolf Seedorf in seiner anderthalbstündigen Urteilsbegründung - unbewegt hörte Engel zu. Der Angeklagte trage mit anderen für die Planung, Vorbereitung und Durchführung der Erschießung "die täterschaftliche Mitverantwortung". Aus dieser Verantwortung könne sich Engel nicht herausreden. Für Engels Behauptung, die Kriegsmarine habe die Hauptverantwortung für die Aktion getragen, gebe es keine Hinweise. Engels Schuld ergebe sich aus Zeugenaussagen, die ihn belasten, aber auch aus zeitgeschichtlichen Dokumenten. "Sühnemaßnahmen durch SD in Vorbereitung", hieß es etwa in einem solcher Dokumente. Zwar seien "Repressal-Tötungen", so das Gericht, im Zweiten Weltkrieg grundsätzlich völkerrechtlich, gewohnheitsrechtlich gedeckt. Allerdings sei im vorliegenden Fall die "Humanitätsschranke" überschritten worden, betonte Seedorf, daher war die Aktion nicht gerechtfertigt. Denn: "Die Tötung war grausam und inhuman." Die italienischen Gefangenen mussten Qualen erleiden, Engel habe damit eine "gefühllose und unbarmherzige Gesinnung gezeigt." Die Opfer, "sie hatten ihr Leben noch vor sich." Die Männer fielen nach und nach in die Grube, auf die Leichen der vor ihnen Getöteten. Die Opfer mussten vorher die Tötung ihrer Kameraden mitanhören, teils auch mitansehen. Eine solche Tötung, "das hätte nicht sein müssen", so Seedorf. "Man muss sich vorstellen, was in den Köpfen solcher Menschen vorgeht." Auch auf Befehlsnotstand könne sich Engel nicht berufen; denn einen Befehl zu dieser grausamen Tötung habe es nicht gegeben. Auf Mord steht eigentlich lebenslange Haft. Die Kammer milderte den Strafrahmen indes ausnahmsweise - nach den Grundsätzen des verfassungsrechtlichen "Übermaßverbotes". Im Klartext: In außergewöhnlichen Grenzfällen kann demnach von Lebenslang abgewichen werden. So ein Fall läge hier vor. "Wegen der außergewöhnlichen, unglaublich langen Zeitspanne zwischen 1944 und 2002", 58 Jahre. Trotz der Schwere der Tat dürfe hier "keine unverhältnismäßig hohe Strafe verhängt werden." Es seien die Strafverfolgungsbehörden, vor allem die italienischen, lange praktisch untätig geblieben. "50 Jahre ist nichts geschehen", kritisierte Seedorf. Er würdigte auch mildernd, dass Engel teilgeständig war, sich dem Verfahren stellte und sehr alt ist. Er werde jetzt prüfen, Revision einzulegen, sagte Verteidiger Udo Kneip nach dem Urteil. Er hatte Freispruch gefordert. "Ein Stück Gerechtigkeit ist geschehen", kommentierte Oberstaatsanwalt Jochen Kuhlmann die Entscheidung. "Sehr zufrieden" sei sie mit dem Urteil, sagte Olivia Bellotti, die als Rechtsanwältin Angehörige von Opfern vertrat. "Uns kam es auf einen Schuldspruch an." Und Engel? Wahrscheinlich seien die sieben Jahre Haft, wenn er sie denn jemals tatsächlich antreten muss, auch ein Lebenslang, sagte Seedorf einmal beiläufig - Engel ist 93 Jahre alt.