Abitur: Weil es hier leichter ist, kommen jedes Jahr viele Schüler aus dem Umland.

Marcel Delfs wohnt in Tangstedt. Das ist in Schleswig-Holstein. Zur Schule geht er aber an das Gymnasium Langenhorn in Hamburg anstatt an ein näher liegendes Schleswig-Holsteiner Gymnasium in Norderstedt. Der Achtzehnjährige, der nach den Sommerferien in den zwölften Jahrgang kommt, weiß genau warum: "Ich gehe nach Langenhorn, weil ich denke, dass die Schulen in Hamburg einfacher sind." Sein älterer Bruder hatte ihm den Tipp gegeben. Er probierte es in Norderstedt, und so sind beide Delfs nach Hamburg gewechselt. Junge Menschen aus dem Umland bevorzugen Hamburgs Schulen. Wie die Delfs-Brüder hoffen sie, in der Hansestadt leichter das Abitur machen zu können. Und das ist kein Geheimnis. Es spricht nur niemand darüber. Offiziell lernen an Hamburgs staatlichen Schulen 2600 Gastschüler aus Schleswig-Holstein und 1020 aus Niedersachsen. "Das sind die Zahlen", sagt Andreas Gleim, Leiter der Rechtsabteilung der Hamburger Behörde für Bildung und Sport, "aber wir wissen, dass wir in den ein oder anderen Fällen betrogen werden." Eine stichprobenartige Umfrage des Hamburger Abendblattes vor den Toren des Langenhorner Gymnasiums belegt das: "Wir haben viele Schüler aus Tangstedt. In jedem Jahrgang sind sieben bis acht Kinder aus Schleswig-Holstein", sagt eine 18 Jahre alte Schülerin, "und zum Teil wechseln sie nur, um hier ein einfaches Abitur zu machen." Schulleiterin Wiebke Koch-Gimpel weiß dagegen nur von wenigen Schülern aus Schleswig-Holstein. "Offiziell sind es an der Schule vier Kinder." Dabei ist die Schülerwanderung kein neues Problem. Schon 1996 wollte der Hamburger Senat dem Schultourismus den Riegel vorschieben. Er beschloss, Kinder aus dem Umland nur noch in Ausnahmefällen aufzunehmen. Denn im Jahr 1995 lag die Zahl der Schüler aus Schleswig-Holstein bei 5480, die der Zuwanderer aus Niedersachsen bei 2312. Zumindest offiziell. Ein Zahlungsabkommen zwischen Hamburg und den benachbarten Ländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein sollte genau regeln, wie viele Gastschüler in Hamburg unterrichtet werden und wie viel die Länder dafür auch zahlen müssen. "Wir verzeichnen insgesamt zwar einen Rückgang der Gastschülerzahlen, aber wir befinden uns noch immer auf einem hohen Niveau", räumt Gleim ein. Der Grund: Die Familien aus dem Umland, deren Kinder in die Hansestadt wollten, zeigen sich erfinderisch. Kurz ziehen sie nach Hamburg und dann wieder zurück. Oder sie melden ihre Kinder einfach bei Oma oder Tante an. Denn eine einmalige Meldebescheinigung aus Hamburg berechtigt zum Schulbesuch hier. Nach Informationen des Abendblattes können aber auch persönliche Kontakte zu Schulleitern genügen. "Wir nehmen gerne Schüler aus dem Umland auf, wenn wir Familien helfen können. Ich habe aber das Gefühl, dass wir es manchmal zu gut meinen", erklärt Gleim. Immerhin zahlt der Hamburger Steuerzahler 5800 Euro pro Schüler und Jahr. "Eine Möglichkeit wäre, an den Gymnasien regelmäßig Meldebescheinigungen anzufordern." Denn das steht bisher nicht auf den Stundenplänen der Schulleitungen. "Wenn einmal eine Meldebescheinigung vorliegt, können wir nicht jeden einzelnen Fall ständig überprüfen", so die Langenhorner Schulleiterin Koch-Gimpel. Viele nutzen diese Lücke. "Schließlich weiß jeder, dass gerade unsere Schule dafür bekannt ist, dass das Abitur besonders leicht ist." "Manchmal rufen mich Schüler an, die von Norderstedt nach Hamburg gewechselt sind und erzählen mir, wie toll ihre Zeugnisse jetzt sind", sagt auch Fritz Bultmann, Schulleiter des Norderstedter Gymnasiums Harksheide. Die Quote der Schulabgänger mit Hochschulreife in Hamburg spricht ebenfalls für den Schultourismus. In Niedersachsen haben im Jahr 2001 nur 23,3 Prozent und in Schleswig-Holstein 22,9 Prozent das Abitur geschafft. In der Hansestadt waren es 33,8 Prozent. "Wir wissen um die Unterschiede an den Gymnasien", sagt Andreas Gleim. Auf der Kultusministerkonferenz sei deswegen eben auch beschlossen worden, dieses sobald wie möglich ändern zu wollen. Es ist nur die Frage, wie?