Unternehmer: Vor 147 Jahren wurde der Hamburger Erfolgs-Reeder geboren. Die HAPAG formte er später zu einem echten Weltkonzern

Er wurde "des Kaisers Reeder", organisierte das Passagiergeschäft nach Nordamerika und machte die HAPAG zur größten Reederei der Welt. Er schaffte eine der erstaunlichsten Karrieren eines Hanseaten weltweit: Albert Ballin, der vor 147 Jahren geboren wurde. Über den beispiellosen Erfolg schreibt im Abendblatt Hamburgs ehemaliger Senatssprecher Paul O. Vogel.

Albert Ballin wurde geboren in der Mitte des 19. Jahrhunderts, genau am 15. August 1857, in Hamburg, in einer Zeit, als in dieser großen Stadt noch die "Thorsperre" galt. Ballin stammt aus einfachsten Verhältnissen, der Vater, ein jüdischer Zuwanderer aus Horsens in Dänemark, hatte mit zwei Frauen insgesamt 17 Kinder! Dieser umtriebige Vater gründete in der frühen Kinderzeit seines Sohnes Albert die Auswanderer-Agentur Morris & Co., und diese durchaus erfolgreiche Firmengründung direkt am Hafen, am Stubbenhuk 17, dann am Baumwall 6 betrieben, war das Schlüsselereignis für Werdegang und beispiellosen Erfolg des Einwandererjungen Albert Ballin.

Wer war dieser Albert Ballin? Einige wenige Stichworte mögen seine ungewöhnliche Persönlichkeit skizzenhaft beleuchten:

Ein seinem Glauben verhafteter Jude und zugleich deutscher Patriot.

Ein Hamburger mit weltumspannendem Weitblick.

Ein schöpferischer Mensch mit bedeutender Wirkung auf den modernen Seeverkehr.

Ein Friedensfreund, der den deutsch-britischen Konflikt als eine persönliche Niederlage empfand.

Ein aus der Kaiserzeit stammender universaler Wirtschaftsführer mit Wirkung bis heute, den sein eigenes Land 1933 posthum zur Unperson erklärt hat.

Schon mit 18 Jahren war Ballin gemeinsam mit seinem Bruder Joseph Prokurist in der Einwanderer-Agentur Morris, bereits 1877 war er alleiniger Chef, 1881 hatte diese Agentur 16 000 Auswanderer in die Neue Welt befördert mit dem Dampfer nach Hull, per Bahn nach Liverpool, von dort per Segelschiff nach New York.

Der Auswanderertransport von Europa in die Neue Welt war von unglaublichen Übelständen begleitet, Sklaventransporten vergleichbar. Albert Ballin war an der Auswanderung von Millionen entwurzelter Menschen bis zum Kriegsausbruch 1914 geschäftstüchtig beteiligt gewesen. Aber es muss auch gesagt werden, dass sich Ballin später, im Vorstand der HAPAG, um menschenwürdige Versorgung der Auswanderer bemühte. Am Veddeler Bogen wurden 1901 die Auswandererhallen der HAPAG in Dienst gestellt, die 5 000 Menschen beherbergten und heute als "vorbildlich" gezeigt werden.

Aber zurück zu 1881. Da tat Ballin einen unternehmerischen unternehmerischen Schritt, der seinen Weitblick belegte: Er verband sich mit Edward Carr, dem Neffen des bedeutenden Hamburger Reeders Robert Miles Sloman, und Carr führte in die Partnerschaft zwei reine Auswandererschiffe ein. Das nun brachte die mächtige HAPAG auf den Plan. Sie spürte den Konkurrenzdruck und strebte einen kaufmännisch vernünftigen Ausgleich an:

1886 übernahm die HAPAG den Passagierdienst, sicherte dem Liniendienst der aufstrebenden Konkurrenten ein Viertel aller Passagen zu - und bot Albert Ballin im Alter von 29 Jahren an, Leiter der HAPAG-Passageabteilung zu werden. Eine beispiellose Karriere auf nationalem und bald internationalem Feld begann.

Schon zwei Jahre später war Ballin im Vorstand, weitere elf Jahre danach, 1899, war er Generaldirektor der HAPAG, die er zur damals größten Reederei der Welt gemacht hat.

Weder er noch sonst irgendwer konnte ahnen, dass ihm das Schicksal noch 19 Lebensjahre zugedacht hatte, davon 15 Friedensjahre. Am Ende dieser Friedensjahre unterhielt die HAPAG 73 Liniendienste in alle Welt, besaß 175 Dampfschiffe, darunter die drei damals größten Passagierschiffe auf den Weltmeeren, verfügte über ein Aktienkapital von 157,5 Mio. Mark gegenüber 15 Mio. Mark bei seinem Dienstantritt in 1886, hatte im In- und Ausland 25 000 Mitarbeiter und beförderte im letzten Friedensjahr neben fünf Mio. Tonnen Gütern 464 000 Personen über die Meere, vor allem über den Atlantik. Die Flagge der HAPAG wehte über den ersten deutschen Kreuzfahrtschiffen. Beim 50jährigen Jubiläum, war die HAPAG die größte Reederei der Welt.

Dem stürmischen Aufstieg des deutschen Reiches und den rasch mit dem Reich gewachsenen Wirtschaftsunternehmen folgte 1914 die Katastrophe des Ersten Weltkrieges.

Ballin, an der deutschen Hybris im Wettbewerb mit der Schifffahrtsnation England nicht ganz unschuldig, hat bis zuletzt versucht, den Krieg zu verhindern oder doch noch zu einem erträglichen Ende zu bringen - vergeblich. Am 8. November 1918 besetzten Mitglieder des revolutionären Arbeiter- und Soldatenrates das heute noch vom damaligen Glanz kündende Verwaltungsgebäude der Reederei am Alsterdamm, der heute zu Ehren jenes Mannes Ballindamm genannt wird - einen Tag später war Ballin tot. Über die Frage, ob es ungewollter Tablettenmissbrauch oder Selbstmord war, wird immer noch gestritten.

Bleibt nachzutragen: Wäre Albert Ballin auch nur 15 Jahre älter geworden, hätte er mithin 1933 das Jahr der Machtergreifung erlebt, so hätte er als Opfer der schrecklichsten Judenverfolgung der Weltgeschichte alles verloren. Die Nazis haben noch die Toten verfolgt . . .

Dass Albert Ballin aus bescheidenen Verhältnissen stammte, prägte auch seine Bildung: kein Abitur, kein Studium, keine Auslandsaufenthalte. Er war ausgezeichnet durch unbändigen Fleiß, Energie und eine unglaublich schnelle Auffassungsgabe in allen Fragen der Praxis. Er war ein "Selfmade Man" im besten Sinne. Er sprach sein Hafenplatt, daneben Hochdeutsch und Englisch fließend. Er hatte den Geschmack der Zeit und einen ausgeprägten Sinn für Repräsentation, wovon noch heute seine Privatvilla in der Feldbrunnenstraße zeugt.

Ballin gehörte nicht zur "Hamburger Gesellschaft". Für diese war er ein, wenn auch begabter und höchst einflussreicher, Außenseiter, kein Firmeninhaber, sondern "nur" Generaldirektor der Reederei, aber er schuf sich seine eigene Gesellschaft.

Die Historikerin Hauschildt-Thiesen schreibt: "Während der großen Streiks von 1896/97 und 1906//07 war Ballins Haltung weit weniger starr gewesen als die anderer Arbeitgeber. . . Die Gewerkschaften waren Ballin ein Dorn im Auge - er ihnen aber auch . . . Innerhalb der HAPAG herrschte er wie ein, wenn auch aufgeklärter, Despot" Ballin gehört zweifellos in eine Reihe mit den großen Unternehmenspersönlichkeiten, die in weniger als einem Jahrhundert Jahrhundert aus dem agrarischen, zunftgebundenen Deutschland eine für die Nachbarn mitunter Furcht erregende Wirtschaftsmacht werden ließ. Er erregte durch seine Erfolge die Aufmerksamkeit von Kaiser Wilhelm II. Beide, obgleich von unendlich verschiedener Herkunft, verstanden sich bestens und verkehrten auch privat auf das Engste miteinander.

Ballin spürte den unverhohlenen Antisemitismus "bei Hofe", aber er ignorierte ihn für sich selbst. Er sah die Schwächen des Kaisers und erkannte, dass die Bestrebungen des Reiches, in Konkurrenz zu Großbritannien Weltgeltung auch auf See zu erringen, den Keim eines großen Konfliktes in sich trugen.

Diesen Konflikt suchte er durch Vermittlung beim Kaiser und bei einflussreichen britischen Freunden - so dem Bankier Sir Ernest Cassel - zu verhindern. Ein letztes Bemühen, am 5. September 1918 den Kaiser zu einem Friedensschritt zu bewegen, scheiterte schon im Ansatz. Zwei Monate später war Ballin tot, seine Flotte verloren.

Er war ein großartiges Produkt seiner Zeit, beschwert durch persönliche Tragik, ein aus der alten Zeit der "Thorsperre" und der Segelschiffe bis in unsere Tage hineinreichender Wirtschaftsführer, eben ein Hamburger, der seiner Stadt und seinem Land zur Ehre gereicht.