Vermisst: Morgen jährt sich das Verschwinden des Mädchens. Es gibt zwar einen Verdächtigen, aber der schweigt beharrlich.
Einmal im Monat etwa, sagt der Fahnder, dem der Fall Hilal nicht aus dem Kopf gehen will, sitzt er mit den Eltern des Mädchens zusammen. Es gibt Tee, oft einen Raki, etwas zu essen. Reinhard Chedor (51), damals Chef-Ermittler, heute Leiter des Landeskriminalamts (LKA), redet dann mit Ayla und Kamil Ercan stundenlang über den Job, über das, was in Hamburg so passiert. Und immer wieder über Hilal: "Der 27. Januar ist für sie jedes Mal ein ganz schwerer Tag", sagt Chedor.
Fünf Jahre ist es jetzt her, dass die damals zehn Jahre alte Viertklässlerin zur Belohnung für ihr gutes Halbjahreszeugnis sich ein Päckchen Hubba-Bubba-Kaugummi kaufen durfte. Fünf Jahre, seit sie an jenem Mittwoch, dem 27. Januar, um 13.22 Uhr das letzte Mal lebend im Elbgau-Einkaufszentrum in Lurup gesehen wurde. 100 Meter von der elterlichen Wohnung entfernt.
Fünf Jahre, das sind fünf Geburtstage ohne Geburtstagskind, 1826 Tage voller Ungewissheit: Lebt das schüchterne Mädchen mit den langen, schwarzen Haaren noch?
Hilal ist tot. Das scheint mittlerweile klar zu sein. Das sagen die Fahnder der Kripo wie Chedor, die bis heute 32 Aktenordner mit dem Fall gefüllt haben, die immer noch neuen Hinweisen nachgehen. Und das hat inzwischen Hilals Familie, die Eltern, die drei Geschwister, akzeptieren gelernt. "Aber wir wünschen uns so sehr, dass sie gefunden wird", sagt Mutter Ayla.
Was fehlt, ist Gewissheit. Dafür gibt es einen Verdacht. Ein Name, über den die Ermittler immer wieder sprechen, aber bislang kein Verfahren gegen diesen Mann einleiteten.
Knapp vier Monate vor Hilals Verschwinden hatte sich ein heute 35 Jahre alter Computerspezialist in Lohbrügge an der elfjährigen Dania vergangen. Vor einem Einkaufszentrum zerrte er das schreiende Kind mittags in sein Auto. Auf einem einsamen Feldweg musste Dania sich ausziehen. Er betrachtete sie lange, fasste das Mädchen an und fesselte sie. Dann ließ er Dania laufen. Sieben Jahre Gefängnis, eine harte Strafe, hat der 35-Jährige dafür bekommen.
Ist er der Mörder, nach dem die Ermittler im Fall Hilal suchen?
Der gleiche Tathergang. Die Ähnlichkeit der Opfer. Die Tatsache, dass der Täter von Lohbrügge nicht im Büro war an jenem 27. Januar 1999, sondern krankgeschrieben. Dass er jedes Gespräch mit den Beamten abblockt, wenn es um Hilal geht. Dass der Mann, der zuvor nie polizeilich auffiel, keine Gruppentherapie in Haft machen will, bei der vielleicht sein Innerstes nach außen gekehrt würde, dafür sogar lieber zwei Jahre länger in "Santa Fu" in Kauf nimmt.
Wenn der Computerspezialist im Frühjahr 2006 spätestens entlassen wird, will Hilals Familie ihn stellen. "Wir werden ihn nach Hilal fragen", kündigt ihr älterer Bruder Abbas, inzwischen 17, an.
"Vielleicht", sagt Fahnder Chedor fast trotzig, "gibt es ja doch noch Zeugen, die sich bisher nicht gemeldet haben. Sie hätten von uns nichts zu befürchten, könnten anonym bleiben. Und vielleicht gibt es ja sogar einen, der uns sagen kann, wo ihre Leiche liegt. Damit Hilals Eltern wenigstens Gewissheit haben und zur Ruhe kommen."