Hast du jetzt einen Schuhtick? Und warum weinst du im Kino? Stefan Meier hört oft solche Fragen, seit er das Herz einer 21-Jährigen bekam. Die Transplantation hat ihn gerettet - und verändert. Doch hat sie ihn weiblich gemacht? Miriam Opresnik über einen ungewöhnlichen Mann.
Als Stefan Meier Ende 20 war, wurde ihm das Herz gebrochen. Zwei, dreimal, vielleicht. Von Frauen, die ihn verlassen haben. Manchmal, wenn in dieser Zeit Herbert Grönemeyer im Radio gespielt wurde und er gesungen hat "Gib mir mein Herz zurück ... bevor es auseinanderbricht", hat sich Stefan Meier gefragt, ob ein Herz eigentlich wirklich brechen kann. Ob es vor Liebeskummer krank werden kann. Oder ob man das nur so sagt, um das Unbeschreibliche zu beschreiben.
Ein paar Jahre später, als Stefan Meier 33 war, hat er darüber kaum noch nachgedacht. Weil er inzwischen eine feste Freundin hatte und verliebt war. Glücklich. Sein Herz war nicht mehr gebrochen. Aber es war krank. So krank, dass Stefan Meier damit nicht hätte überleben können und ein neues Herz bekam. Das einer Frau.
Für die Ärzte ist es normal, einem Mann ein Frauenherz zu transplantieren. Für sie zählt nur, ob die Blutgruppe stimmt, die Körpergröße. Das Geschlecht zählt nicht. Nicht in der Medizin. Aber im Leben von Stefan Meier. Für ihn selbst, so sagt er, ist es normal, mit dem Herz einer Frau zu leben. Für seine Umwelt nicht. Es ist eine Welt, in der es eine scheinbar untrennbare Verbindung zwischen Herz und Gefühl gibt. In der viele Menschen zwar Organspender sind, aber nicht ihr Herz freigeben. Bundesweit sind im vergangenen Jahr 2167 Nieren und 1007 Lebern gespendet worden. Aber "nur" 369 Herzen. Es ist eine Welt, in der das Herz als Sitz der Empfindungen gilt. Der Seele. Bereits mehr als 300 v. Chr. schrieb Aristoteles, dass sich im Herzen das Prinzip des Lebens sowie der Empfindung befinde. Doch trotz aller Aufklärung hat sich bei vielen bis heute nichts an diesem Glauben geändert. Das sagt Dr. Heinz-Jörg Meffert (64) Psychologe am Herzzentrum des UKE. "Das Herz prägt unser Denken und Fühlen mehr als jedes andere Organ des Menschen."
Das merkt Stefan Meier, wenn er jemandem seine Geschichte erzählt. Die Geschichte eines Mannes, der das Herz einer Frau hat. Es ist eine Geschichte voller Vorurteile und Klischees. Es ist eine Geschichte voller Fragen. Es sind Fragen wie diese: Gibt es tatsächlich ein Zell-Gedächtnis, wie einige Mediziner glauben, wonach bei einer Transplantation Eigenschaften des Spenders durch das Organ auf den Empfänger übertragen werden? Wird ein Mann mit Frauenherz tatsächlich weicher und sensibler? Oder entwickelt er sogar einen weiblichen Schuhtick? Damit wird zumindest Stefan Meier aufgezogen. Weil ein Freund mal gesehen hat, dass er mehrere Paar Turnschuhe besitzt. Dass er die früher auch schon hatte, interessierte in diesem Moment nicht. Weil die Vorstellung, dass sich ein Mann mit Frauenherz doch verändern muss , spannender ist als die Realität. Stefan Meier ist in den vergangenen Jahren mit jedem Klischee konfrontiert worden, dass es über Geschlechterrollen gibt. Ob er sich die Nägel lackiert? Strumpfhosen trägt? Meistens sind es nichts weiter als leere Sprüche. Dahingesagt, wenn einem die Worte fehlen. Meistens den Männern.
Manchmal fragt sich Stefan Meier, ob er früher auch so reagiert hätte. Wenn ihm ein Mann erzählt hätte, dass er ein Frauenherz hat. Er weiß es nicht. Vielleicht. Er ist einer von den Männern, die sich selbst als Macho bezeichnen. Einer von denen, die gelernt haben, dass Jungs nicht weinen und Männer die Starken sind. Er ist einer von denen, die mit einer Grippe arbeiten gehen und Sport machen. Sich nicht unterkriegen lassen. Sich nicht vorstellen können, krank zu werden. Bis sie es plötzlich werden. Und es nicht wahrhaben wollen. Weil es ein Zeichen von Schwäche wäre.
"Als die ersten Symptome aufgetreten sind und ich immer schlapp war, habe ich es auf den Job geschoben, auf alles - nur nicht auf eine Krankheit", erinnert sich der Vertriebsspezialist Stefan Meier an jenen September 2003, als seine Geschichte anfängt. Sie fängt an, wie so viele Geschichten von Herzpatienten anfangen. Mit einer Grippe. Eine Grippe, die verschleppt wird. Die den Herzmuskel angreift. Und die manchmal zu einer lebenslangen Herzschwäche führt.
Stefan Meier ist 33 Jahre alt, als er die Diagnose erfährt. Sein Hausarzt hatte ihn zum Internisten geschickt, der Internist ins Krankenhaus. In die Kardiologie des Universitätsklinikum Kiel. Es ist das erste Mal, dass Stefan Meier hier ist. Es werden noch viele Male folgen. "Am Anfang hab ich noch gedacht: Du schaffst das! So wie ich immer alles geschafft habe. Doch irgendwann hatte ich noch nicht mal mehr Kraft, um positiv zu denken", sagt Stefan Meier und erzählt, wie er immer mehr abbaut. Manchmal fällt ihm im Liegen das Atmen so schwer, dass er nächtelang im Sitzen verbringt. Er hat Angst vor dem Einschlafen. Angst, nicht mehr aufzuwachen. Im Februar 2005 hält er es nicht mehr aus, geht zum Arzt. Er kommt gerade noch rechtzeitig. Im Wartezimmer hat er einen Herzstillstand. Er sieht sich selbst auf dem Boden liegen und sterben. Es ist eine Woche nach seinem Geburtstag. Er ist gerade 35 geworden.
Er kommt ins Krankenhaus und wird wieder entlassen, kommt rein und wieder raus.
Irgendwann in dieser Zeit bricht ihm auch seine damalige Freundin das Herz. Stefan Meier verliert den Lebensmut, denkt ans Sterben. Irgendwann ist er so schwach, dass er im Rollstuhl sitzt. Irgendwann ist sein Herz so schwach, dass es aufhört zu schlagen. Immer wieder.
In der Erzählung von Stefan Meier dauert es 45 Minuten, bis er die Zeit vom ersten Arztbesuch bis zur Transplantation geschildert hat. In seinem Leben dauerte es fast zwei Jahre. Es sind Jahre, die ihn geprägt haben. Verändert. Bis heute.
Manchmal sprechen ihn Freunde darauf an. Auf die Veränderung. Darauf, dass er jetzt so sensibel ist, so nachdenklich. Dass er sich so viele Gedanken über die Zukunft macht. Dass er bei traurigen Filmen weint. So wie eine Frau. Ganz anders als früher. Die meisten glauben, dass das mit dem neuen Herz zusammenhängt. Mit dem Herz einer Frau. Ist doch klar, dass man da als Mann anders mit tickt, oder?
Meistens probiert Stefan Meier dann, das Unerklärliche zu erklären. Dass es nicht an dem neuen Herz liegt, sondern an der Transplantation. An der schweren Zeit, die er durchgemacht hat. An der Todesangst. "In so einer Zeit verändert sich jeder", sagt er. Doch manchmal sagt er auch gar nichts. Weil ihm die Kraft fehlt, immer wieder das Gleiche zu erzählen. Zu sagen, dass sich jeder Mensch nach einer Herztransplantation verändert. Egal, ob er das Herz eines Mannes oder einer Frau bekommt. Das hat ihm die Psychologin gesagt, die ihn nach der Operation betreut hat. Und das sagt Dr. Meffert vom Herzzentrum am UKE. Seit 25 Jahren begleitet er Patienten vor und nach einer Herztransplantation. Seit 25 Jahren erlebt er, welche Hoffnung mit einem neuen Herz verbunden ist. Aber auch welche Ängste. Sorgen. Weil das Herz das einzige Organ ist, was man fühlen kann. Wir spüren, wenn es uns bis zum Hals schlägt oder es vor Schreck auszusetzen droht. Wie spüren das Schlagen. Das Rasen. Das Zeichen des Lebens.
Und das ist es auch für Stefan Meier. Ein Zeichen des Lebens. Das Herz. Das Frauenherz. Etwas, ohne das er heute nicht mehr leben würde. "Und das ist das Einzige, was für mich zählt", sagt er. "Als ich aus der Operation aufgewacht bin, habe ich regelrecht gespürt, wie stark das Herz war", erinnert sich Stefan Meier. Und er erinnert sich noch an etwas. Etwas, das er gesagt hat. "Das ist jetzt mein Herz." Sein Herz. Nicht das Herz einer toten Frau. Sondern sein Herz.
Stefan Meier hat nur durch Zufall erfahren, dass er das Herz einer 21-Jährigen bekommen hat, die bei einem Unfall gestorben war. Ob er sich selbst danach erkundigt hätte? "Ich weiß es nicht." Er fragt sich nie, wie sein Leben aussehen würde, wenn er es nicht erfahren hätte. Vielleicht, weil Männer sich solche Gefühlsfragen eben meistens nicht stellen. Er fragt sich lieber, wie er an einen neuen Job kommt und wann er mit seiner neuen Freundin zusammenziehen soll. Und welche Organe er nach seinem Tod spendet. Das Herz, na klar. Aber die Augen nicht. Weil sie das wahre Fenster zur Seele sind. Glaubt Stefan Meier.