Die kleine Lara aus Wilhelmsburg könnte vielleicht noch leben, wenn die Eltern sie rechtzeitig wegen Unterernährung zum Kinderarzt gebracht hätten.

Die kleine Lara aus Wilhelmsburg könnte vielleicht noch leben, wenn die Eltern sie rechtzeitig wegen Unterernährung zum Kinderarzt gebracht hätten. Doch die Angst der 18-jährigen Mutter Jessica vor dem Jugendamt hielt sie offenbar davon ab. Der tragische Tod macht deutlich, wie wichtig frühzeitige Aufklärung und Betreuung - auch der Eltern - sind.

Eine wichtige Rolle spielen die Kinderfrüherkennungsuntersuchungen: Neben der frühzeitigen Erkennung von körperlichen, psychischen und geistigen Fehlentwicklungen sowie Krankheiten des Kindes soll ein Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Arzt aufgebaut werden. Damit eine Scheu wie im aktuellen Fall gar nicht erst aufkommt. Neue Zahlen aus dem Bericht "Kindergesundheit in Hamburg" zeigen, dass vor allem Eltern nicht deutscher Kinder und Familien mit geringem Berufsstatus - wie es bei Laras Mutter Jessica der Fall ist - die Untersuchungen vernachlässigen. Zum Teil, weil sie die Termine versäumen oder unzureichend über die Untersuchungsangebote und den Nutzen informiert sind. Aus diesem Grund fährt das Gesundheits- und Familienmobil des Deutschen Kinderschutzbundes gezielt in sozial schwache Stadtteile. "In erster Linie geht es um die Gesundheit der Kinder", sagt Geschäftsführer Uwe Hinrichs (58) des Landesverbands Hamburg. "Wir informieren die Eltern darüber, wie wichtig es ist, regelmäßig zu den Kinderfrüherkennungsuntersuchungen zu gehen." Das Mobil fährt auf Wochenmärkte, Kinderfeste - überall dorthin, wo man möglichst viele Familien erreichen kann. Zum Beispiel am Kinder-Jugend-Familie-Zentrum am Karl-Arnold-Ring in Kirchdorf-Süd. In wenigen Minuten wird aus dem Auto ein mobiler Informationsstand mit Tischen, Aufstellern, Spielstationen und einem Zelt, falls es regnet. Innen gibt es ein Besprechungszimmer mit Laptop, Beamer und Infomaterial, das die Eltern mitnehmen können. Über finanzielle Leistungen und Notfallstellen für Eltern, Wiegekalender und Impfplan sowie Baby- und Kleinkindsicherheit im Haushalt wird aufgeklärt.

Auch die Leiterin des Zentrums, Susann Ramelow (33), ist überzeugt von dem mobilen Beratungskonzept: "Es ist schwer, die Menschen überhaupt aus ihren Wohnungen zu bewegen", sagt sie. "Wir haben in Schulen und Kitas für die Aktion geworben. Über die Kinder bekommen wir auch Kontakt zu den Eltern", sagt sie.

Auch Atanaska Kostadinova (38) erfuhr durch ihre Tochter Athina (6) von der Aktion. Die Journalistin aus Bulgarien ist durch ihren Beruf gut informiert und weiß, dass "Gesundheit das A und O für ein aktives Leben ist".

Je nachdem, aus welchem Land die meisten Familien in den Stadtteilen kommen, hat Uwe Hinrichs einen Mitarbeiter dabei, der die jeweilige Landessprache spricht. Eine von ihnen ist Nermin Tozlu (39). Die Türkin übersetzt und vermittelt in den Beratungsgesprächen. Eine Gruppe von türkisch und arabisch sprechenden Müttern trifft sich zum Kaffeetrinken auf der Terrasse vor dem Zentrum. Zwei Mütter beklagen, dass ihre Kinder nicht richtig essen wollen. Sie zeigen schon Mangelerscheinungen an den Fingernägeln. Nermin Tozlu empfiehlt ihnen, einen Termin beim Kinderarzt zu machen.

Eine andere Mutter macht sich Sorgen, weil ihr dreijähriger Sohn aggressiv und trotzig ist. In diesem Fall wird eine psychologische Beratungsstelle vermittelt. Zu dem pädagogischen Mittagstisch des Zentrums kommen etwa 40 Kinder aus der Nachbarschaft. "Hier findet man kaum Familien, die noch eine Mahlzeit zusammen einnehmen", sagt Susann Ramelow. Es gehe neben dem Essen also auch darum, wieder Gemeinschaft herzustellen, ins Gespräch zu kommen, Werte zu vermitteln.

Uwe Hinrichs weiß, dass die Arbeit des Gesundheits- und Familienmobils beschränkt ist. Ganz verhindern könne man Gewalt in den Familien und Tragödien wie im Fall der kleinen Lara natürlich nicht, auch, wenn einige Politiker das glaubten. "Die Untersuchungen können aber dazu beitragen, dass Kindesmisshandlungen oder Vernachlässigung rechtzeitig erkannt werden." Aufklärung statt Verpflichtung - unter diesem Motto sollen künftig noch mehr Familien zur Teilnahme an Untersuchungen und Hilfsangeboten motiviert werden, immer in Zusammenarbeit mit den ortsansässigen Kinder- und Jugendärzten.