Arm und Reich, Hartz IV und Gutverdiener - obwohl Elena und Arlena aus extrem unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen kommen, sind sie ein eingeschworenes Duo. Dies ist die Geschichte von zwei ungewöhnlichen Mädchen, die sich über alle sozialen Grenzen und gesellschaftlichen Tabus hinwegsetzen. Ein Report von Miriam Opresnik.

Über Geld spricht man nicht. Man hat es. Das sagen zumindest einige Menschen. Meistens sind es die, die Geld haben.

Über Geld sprechen sie nicht. Das sagen Arlena (14) und Elena (12). Sie sprechen nicht darüber, wie viel Taschengeld sie bekommen, was eine Jeans bei H&M kostet oder wie teuer die CD von Tokio Hotel ist. Sie sprechen nicht darüber, warum Arlena auf eine Privatschule gehen kann und Elena nicht. Wieso die eine von ihnen Geld hat und die andere nicht. Sie sprechen nicht darüber, weil Geld in ihrer Freundschaft nicht wichtig ist. Im Leben schon.

Die beiden Mädchen wohnen in Oldenfelde in Rahlstedt, nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Und doch leben sie in zwei Welten. Arlena geht auf die Nena-Schule und trifft sich nachmittags mit ihren Freundinnen zum Shoppen oder Schwimmen. Sie wohnt mit ihren Eltern in einem Haus, fährt im Urlaub Surfen oder ins Disneyland und hat eine Reitbeteiligung. Elena hat nichts davon. Sie besucht eine staatliche Haupt- und Realschule und wohnt mit ihrer Mutter in einer Wohnung. Sie geht nachmittags nicht einkaufen oder ins Kino. Sie geht in den Kindertreff Oldenfelde - eine Anlaufstelle für Kinder aus sozial schwachen Familien.

Es sind Kinder, deren Eltern arbeitslos sind, Hartz IV bekommen. Die wenig Geld haben und noch weniger Perspektiven. Es sind Kinder, die Sozialgeld beziehen und laut einer Definition des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes als arm gelten. Kinder, die 211 Euro monatlich bekommen - 60 Prozent der Regelleistung der Erwachsenen. Das Bundessozialgericht hat jüngst entschieden, dass die Kürzung der Hartz-IV-Leistung für Kinder gegen das Grundgesetz verstößt. Dass die Kinder zu wenig Geld bekommen, sagten die Richter nicht. Das sagt Elena.

"Geld ist doof", sagt sie und meint: Kein Geld zu haben ist doof. Kein Geld für eine "Bravo" oder einen Lippenstift, ein paar Diddl-Sticker oder die richtige Jeans. So eine, wie sie alle aus ihrer Klasse tragen. Eine Röhrenjeans. Eine, die unten eng ist - und nicht weit, so wie ihre Jeans. Sie ist aus der Kleiderkammer. Elena stört es nicht, dass ihre Jeans gebraucht ist. Aber dass sie damit anders aussieht als ihre Klassenkameradinnen, das stört sie. "Die fragen immer, warum ich so komische Klamotten trage", sagt Elena. Meistens antwortet sie nicht. Aber sie wünscht sich, irgendwann genug Geld zu haben. Geld, um so zu sein wie die anderen. Um nicht aufzufallen, um sich einzufügen. In die Klasse. Die Gesellschaft.

Geld regiert die Welt. Heißt es. Geld spaltet die Welt. Glaubt Arlena. Es spaltet die Welt, trennt die Menschen, kategorisiert in Gruppen. Schichten. In solche, die es haben und die es nicht haben. Und meistens haben die einen mit den anderen keinen Kontakt. Freundschaft? Selten!

"Uneigennützige Freundschaft gibt es nur unter Leuten gleicher Einkommensklasse." Das hat der verstorbene US-Industrielle Jean Paul Getty einmal gesagt. Mehr als ein Vierteljahrhundert ist seit dem Tod von Getty vergangen, doch viel geändert hat sich seitdem nicht. Das sagt Astrid Trampert (47), die Mutter von Arlena und Leiterin des Kindertreffs Oldenfelde. "Schon bei den Kindern kann man eine Verbindung zwischen sozialer Herkunft, Freizeitverhalten und Freundschaft feststellen", sagt Astrid Trampert. Das fängt bei Kindergeburtstagen an und endet bei Elterngruppen, die "unter sich bleiben wollen". In den Kindertreff kommen 20 bis 30 Kinder täglich, mehr als 90 Prozent stammen aus sozial schwachen Familien. Andere Kinder kommen fast nicht. "Die gehen zum Musikunterricht oder in den Sportverein - aber nicht zu uns", weiß Astrid Trampert. Von ihren eigenen Kindern.

Es klingt wie ein Klischee, wie ein Gesellschaftsbild aus alter Zeit. Es klingt nach einer Zeit, in der Arm und Reich unter sich geblieben sind. Es klingt nach überholten Vorstellungen, in denen die Tochter aus gutem Haus nicht mit einem Jungen aus der Arbeiterklasse befreundet sein darf. Es klingt nach Zuständen, die längst vorüber zu sein scheinen. Und doch andauern. In Oldenfelde. In Rahlstedt. In Hamburg.

Geld ist nicht alles, sagt man. Aber ohne Geld ist alles angeblich nichts. Elena weiß natürlich, dass es Wichtigeres als Geld gibt. Aber es gibt nicht vieles, findet sie. Gesundheit, klar. Und Freundschaft vielleicht. Aber die hängt ja auch irgendwie wieder mit Geld zusammen. Ihre meisten Freundinnen kennt Elena aus dem Kindertreff. In der Schule ist sie nur mit einem Mädchen befreundet. Einer Afrikanerin. Sie hat zwar ein bisschen mehr Geld, ist aber eine Außenseiterin wie Elena. Und dann gibt es natürlich noch Arlena. Die beiden Mädchen haben sich vor rund vier Jahren im Kindertreff kennengelernt. In einem Alter, als Geld noch keine Rolle spielte. Als sie zu jung waren, um alleine was zu unternehmen - und Geld auszugeben. Und das ist bis heute so geblieben. Meistens treffen sie sich bei Elena zu Hause und spielen mit ihren Haustieren, den drei Katzen und dem Hund. Manchmal geht Elena aber auch mit Arlena zu ihrem Pflegepferd und darf reiten. Kostenlos natürlich. Ihre Tierliebe verbindet die Mädchen. Mehr als Geld es jemals könnte.

Neid ist kein Thema, soziale Unterschiede kein Tabu. Wenn die beiden zusammen schwimmen gehen wollen, zahlt Arlena für Elena das Geld, das sie nicht hat. Manchmal ist das ein Euro, manchmal der ganze Eintritt. Das ist doch normal, findet Arlena. Für sie ist es normal, Elena zu helfen. So wie ihr Freundinnen auch schon geholfen haben, wenn sie mal zu wenig Geld mithatte. Für Elena ist das nicht normal. Sie weiß, dass Arlena etwas Besonderes ist. Dass ihre Freundschaft besonders ist. Manche Kinder, glaubt Elena, schließen sie mit Absicht aus. Behandeln sie von oben herab und tun so, als ob sie was Besseres sind. Andere hingegen würden gar nicht merken, dass sie Elena ausschließen. Sie merken nicht, dass Elena einfach nicht mitkommen kann, wenn sie sich in der Eisdiele oder dem Shoppingcenter treffen, weil ihr das Geld dafür fehlt. Vielleicht merken sie noch nicht einmal, dass Kinder wie Elena nie dabei sind. Weil Kinder wie Elena nachmittags andere Sachen machen. Sachen, die kein Geld kosten. Oder bei denen sie Geld verdienen. Auch mit zwölf schon.

Die Farbe des Geldes ist für Elena gelb. Nicht blau wie ein 20-Euro-Schein oder silbern wie eine Münze. Sondern gelb wie ein Postkasten. So einer, wie sie ihn regelmäßig von einer Freundin ihrer Mutter bekommt. Voll mit leeren Briefumschlägen, aus denen Elena die abgestempelten Briefmarken ausschneidet. Für Sammler. Die zahlen ihr 14 Euro für ein Kilo Briefmarken. Zwei Stunden braucht sie zum Ausschneiden. Jeden Tag, drei Wochen lang. Dann hat sie das Kilo voll. Das Geld zahlt sie ein, auf ihr Sparkonto. Für schlechte Zeiten. Elena weiß, dass sie und ihre Mutter Kerstin (39) mal mehr und mal weniger Geld haben. Je nachdem, ob ihre Mutter einen Job hat oder nicht. So wie jetzt.

Letztes Jahr hat sie ein paar Monate als Altenpflegerin gearbeitet, nachdem sie jahrelang arbeitslos war. Aber dann wurde bei ihr ein Herzfehler festgestellt und sie musste den Job aufgeben. Seitdem leben Mutter und Tochter von Hartz IV.

1014,67 Euro bekommen sie monatlich. Rund 565 Euro sind für Miete und Heizung. Zur Sicherung des Lebensunterhalts bekommt Elenas Mutter den vorgeschriebenen Satz von 351 Euro plus 42 Euro Mehrbedarf, weil sie alleinerziehend ist. Elena erhält 154 Euro Kindergeld sowie 57 Euro Sozialgeld, sodass sie insgesamt auf den vorgeschriebenen Satz für Hartz-IV-Kinder von 211 Euro kommt. Das Kindergeld ist zwar am 1. Januar erhöht worden, mehr Geld erhält Elena aber zukünftig nicht, weil es mit den Sozialleistungen verrechnet wird. Das meiste Geld, sagt Elenas Mutter, gibt sie für Lebensmittel, Haushaltsartikel und Kleidung aus. Aber genau sagen kann sie das nicht. Sie führt kein Haushaltsbuch, hat keinen Überblick über Einnahmen und Ausgaben. Als Kind hat sie die Sonderschule besucht, nie einen Abschluss gemacht. Erst mit 30 hat sie lesen und schreiben gelernt. Darauf ist sie stolz. Doch Zahlen sagen ihr bis heute nichts. Sie kann mit Geld nicht umgehen. Hat nie gelernt, damit hauszuhalten.

Aber sie spricht gerne über Geld. Darüber, dass sie alle Klamotten gebraucht kauft, um zu sparen. Darüber, wie gerne sie arbeiten gegangen ist und Geld verdient hat. Viel mehr als jetzt hat sie damals zwar nicht bekommen. Nur rund 400 Euro. Aber das Gefühl sei so gut gewesen. Das Gefühl, eigenes Geld zu verdienen - und nicht vom Staat abzukassieren. "Dass wir jetzt weniger Geld haben, ist nicht so schlimm wie das Wissen, dass wir von anderen abhängig sind", sagt Kerstin.

Doch egal, wie wenig sie hat, sie legt jeden Monat etwas zurück. So wie Elena. Damit sie sich ab und zu was leisten können. Einen Überzug für das alte Sofa, eine künstliche Blume für die Wohnung. Gemütlich soll es bei ihr sein. Damit Elena zumindest zu Hause nicht merkt, dass das Geld knapp ist. Die Vorhänge sind alt, aber frisch gewaschen, die Möbel im Kinderzimmer gebraucht gekauft, aber gut erhalten, und der Flachbildschirm im Wohnzimmer - "der ist ein Geschenk", sagt Kerstin.

Sie raucht nicht, sie trinkt nicht. Sie geht nicht ins Theater und hat kein Auto. Ihr einziger Luxus sind drei Katzen. Sie sind mehr als Haustiere, mehr als Spielkameraden. Für Kerstin und Elena bedeuten sie ein Stück Normalität. Sie sind ein Teil der Freundschaft zwischen Arlene und Elena - und sie sind ein Stück Hoffnung. Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sobald die Katzen groß genug sind, wollen Mutter und Tochter Katzen züchten - und verkaufen. Um Geld zu verdienen. "Wenn das nicht klappt, werde ich Tierärztin oder Sängerin", sagt Elena. Bei "Deutschland sucht den Superstar" will sie aber nicht antreten. "Ich will mich doch nicht zum Affen machen", sagt sie. "Ich will nur viel Geld verdienen."

Jeden Tag geht sie in den Kindertreff Oldenfelde und übt an der Karaoke-Anlage. Dann greift sie sich das Mikrofon, singt zur Playback-Musik Lieder und träumt davon, berühmt zu sein. Und reich. Manchmal trifft sie sich auch mit Arlena im Kindertreff. Sie ist nicht so oft da wie Elena. Vielleicht ein- oder zweimal die Woche. An den anderen Tagen geht sie reiten oder schwimmen. Je nachdem, wozu sie und ihre Freundinnen Lust haben. "Entscheidend ist nicht, wie teuer etwas ist, sondern wie viel Spaß etwas bringt", sagt Arlena.

Es ist das Geheimnis ihrer Freundschaft. Eine Freundschaft, die vielleicht selten ist, aber nicht anders als andere. Eine Freundschaft, in der es wichtig ist, Spaß zu haben. Glücklich zu sein.

Geld macht nicht glücklich. Sagt man. Aber es beruhigt. Es beruhigt Astrid Trampert, dass sie und ihr Mann Arbeit haben und genug Geld verdienen, um ihren Kindern eine gute Schulbildung zu finanzieren, Wünsche zu erfüllen. Egal, ob sie ein paar neue Schuhe oder eine CD haben möchten - Arlena und ihre sieben Geschwister bekommen, was sie brauchen. Verwöhnt werden sie aber nicht, das ist den Tramperts wichtig. Rund 150 Euro kostet das Schulgeld für Arlena, 50 Euro die Reitbeteiligung. Zwischen 50 bis 60 Euro sind monatlich für Arlenas kleine Wünsche eingeplant. Wie viel Geld jedes Kind pro Monat kostet? Astrid Trampert zuckt die Schultern. Sie führt kein Buch. Und außerdem: Man spricht nicht über Geld.