Hunderte kamen zur Solidaritätskundgebung für die Buchhandlung Wohlers. Auch Ver.di- Chef Rose und Weihbischof Jaschke waren dabei.
St. Georg. Es war ein Zeichen der Solidarität mit den kleinen Traditionsgeschäften, die durch immense Mietensteigerungen aus der Langen Reihe vertrieben werden. Und eine deutliche Geste an die Immobilienunternehmer, die dafür verantwortlich sind. Gestern Abend zogen trotz des Regens mehr als 400 Bürger von der Buchhandlung Dr. R. Wohlers & Co., dem jüngsten Opfer der Gentrifizierung in St. Georg, zum Hansaplatz. Ausgerechnet dort, im Herzen des Viertels, hat sich Immobilienunternehmer Frank Jendrusch mit seinem Büro niedergelassen. Ihm wird vorgehalten, dass er zur Verdrängung alteingesessener Geschäfte beiträgt: So hatte er die Miete von Buchhändler Jürgen Wohlers um fast 200 Prozent, von 1400 Euro auf 4100 Euro, angehoben.
Bevor sich der Protestzug in Bewegung setzte, traten verschiedene Redner auf - darunter die Schriftstellerin Peggy Parnass, die Vorsitzenden von Bürger- und Einwohnerverein, Ver.di-Chef Wolfgang Rose und Weihbischof Hans-Jochen Jaschke.
+++ Stadtteil der Gegensätze +++
"Die Verdrängung der Buchhandlung ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt", sagt Michael Joho vom Einwohnerverein St. Georg von 1987. Immer mehr Läden müssten das Viertel wegen steigender Mieten verlassen - das Kultkaufhaus 1000 Töpfe, das jetzt nur noch mit seinem Fotoladen vertreten ist, das Orthopädiegeschäft Mock, der Fleischer oder wie jetzt das Kräuterhaus und der Modell&Hobby-Laden. Mit Plakaten, die an zahlreichen Schaufenstern in der Langen Reihe hängen, hatte Johos Einwohnerverein zu der Demo aufgerufen. Auch der Bürgerverein zu St. Georg, der Gentrifizierung nicht grundsätzlich ablehnt, hatte Aufrufe ausgehängt.
Viele Geschäftsleute an der Langen Reihe machen sich Sorgen um ihre eigene Zukunft und marschierten daher mit. "Wir Einzelhändler müssten vor drastischen Mietsteigerungen geschützt werden", sagt Carmen Thiede. Sie betreibt in zweiter Generation den Laden Bücher Thiede an der Langen Reihe und sieht die Buchhandlung Dr. Wohlers nicht als Konkurrenz, sondern "seit 55 Jahren als hervorragende Ergänzung". Auch sie könnte in drei Jahren von einer heftigen Mieterhöhung betroffen sein: Dann läuft ihr Mietvertrag aus, und das Haus wird saniert - oder abgerissen.
Auch Teresa Fernandez, die in dem portugiesischen Café Due arbeitet, war dabei. "Wir müssen solidarisch sein", sagt sie. "Auch bei uns wird jedes Jahr die Miete erhöht - und das seit zwölf Jahren." Noch könne man mithalten, doch irgendwann werde es schwierig. Protestiert hat auch Erika Kölln, seit 30 Jahren Inhaberin der Epes-Apotheke an der Langen Reihe. "Es ist traurig, dass sich hier so viel verändert und immer mehr inhabergeführte Läden schließen müssen", sagt sie. "Der Stadtteil kam mit Prostitution und Drogenproblematik zurecht. Jetzt stehen wir hilflos vor der Profitgier der Immobilienhaie". Dabei sei St. Georg kein boomender In-Stadtteil. Es gebe zwar Neuhinzugezogene, die über ein höheres Einkommen verfügten als viele Alteingesessene. "Aber die arbeiten woanders und kaufen dort auch ein - hier auf der Straße sieht man sie meist nur, wenn sie abends ausgehen."
Auch Alf Beckert, Inhaber von Optik Beckert, sagt: "Der Hype, der hier um die Gewerbeimmobilien gemacht wird, ist ungerechtfertigt. Die verlangten Mieten können nur noch Ketten zahlen. Den Kunden ist aber die persönliche Betreuung durch den Inhaber wichtig." Das findet auch Heike Dill, die seit 20 Jahren im Stadtteil wohnt: "Die Ketten haben hier schon viel kaputt gemacht. Alles Bunte wird zum Einheitsbrei." Und Anwohnerin Inga Sawade ergänzt: "Mit dieser Demo wollen wir die Leute aufrühren. Der Profitgier muss Einhalt geboten werden." Doch wer ist dieser Frank Jendrusch, vor dessen Büro die Demonstranten bei der Abschlusskundgebung Bücher mit gepfefferten Sprüchen niederlegten? Fest steht, dass Jendrusch vor knapp 25 Jahren vom Landgericht Hamburg verurteilt wurde, weil er deutlich überhöhte Mieten kassiert hatte. Mit involviert war auch sein damaliger Partner Frank-Michael Wiegand, der zu dem Zeitpunkt Vorsitzender der FDP-Bürgerschaftsfraktion war. Nach Berichten von "Die Zeit" und "Spiegel" war über die Firma Jendrusch&Partner auch Parteifreund und Scientology-Mitglied Götz Brase beim Erwerb von Wohnhäusern behilflich.
Frank Jendrusch lehnte es ab, mit dem Abendblatt zu sprechen.