Umweltminister war mit Herkulesaufgabe Energiewende überfordert - doch die Art und Weise des Rauswurfs wird auch Merkel schaden

Politik kann verdammt brutal sein. Wer daran zweifelt, wurde am Mittwoch eines Besseren belehrt. Da warf Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren einstigen Liebling kurzerhand aus dem Kabinett. Umweltminister Norbert Röttgen, der früher den Spitznamen "Muttis Bester" trug, ist seinen Job los.

Warum eigentlich? Natürlich war das Ergebnis des CDU-Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen mit 26,3 Prozent verheerend. Natürlich hat der Wahlkämpfer Röttgen schwere Fehler begangen und dann versucht, die Kanzlerin in Mithaftung zu nehmen. Und natürlich ist die bürgerliche Koalition an einem Punkt angekommen, wo eine Chefin ein Zeichen setzen muss, um die Truppe zur Räson zu rufen. Zudem hat Röttgen seinen Rauswurf provoziert, weil er eben nicht - wie es so seltsam heißt - "gesichtswahrend" von sich aus seinen Rücktritt erklärt hatte.

Nun hat auch Angela Merkel verloren. Der Rauswurf verletzt für viele Christdemokraten das Gefühl des bürgerlichen Anstands. Die programmatischen Differenzen zwischen CDU und SPD mögen verwischen, in den Wähler- und Mitgliedmilieus aber gibt es beträchtliche Unterschiede. In der Union etwa ist das Verlangen nach bürgerlicher Etikette ungleich größer, hier sind Gefühle wie "das tut man nicht" noch Gebote. Dieser konservativen Klientel hat Angela Merkel vor den Kopf gestoßen. Schon ihr Zaudern und Zögern in der Guttenberg-Affäre wirkte auf das Bürgertum befremdlich. Merkel verteidigte den Plagiator Guttenberg bis zum Schluss - sie habe ihn schließlich als Minister bestellt "und nicht als wissenschaftlichen Assistenten". Das Entlassungsgesuch des Freiherrn aus Franken nahm sie nur "schweren Herzens" an und beklagte "Scheinheiligkeit und Verlogenheit" der öffentlichen Debatte.

Der Abschied von Röttgen fiel da weit weniger freundlich aus. In 99 Sekunden schaltete sie ihren Umweltminister ab. Ist das Fälschen einer Doktorarbeit ein Dummejungenstreich, ein Wahldesaster aber ein Sakrileg? Sind Ministerposten Belohnungen für Beliebtheitswerte und Entlassungen Strafen für ein schlechtes Abschneiden? Das wäre arg zugespitzt - zumal Angela Merkel bei den letzten Bundestagswahlen mit 33,8 und 35,2 Prozent die beiden schlechtesten Wahlergebnisse der Union seit 1949 zu verantworten hatte.

Nein, der Rauswurf Röttgens gründet tiefer und dürfte viel mit einer großen Unzufriedenheit über das Management der Energiewende zu tun. Mit dem Atomausstieg ist Merkel maximales Risiko gegangen - deshalb benötigt sie hier auch maximale Kompetenz. Gerade warnte EU-Kommissar Günther Oettinger in der "Welt am Sonntag", die Energiewende sei eine Herkulesaufgabe: "Ob sie gelingt, ist völlig offen."

Für Röttgen war sie offenbar eine Nummer zu groß. Das Zusammenstreichen der explodierenden Solarvergütungen etwa scheiterte vorerst an den eigenen Leuten im Bundesrat. Der Ausbau der Windenergie auf dem Wasser stockt, die Wut der Wirtschaft wächst. Sie beklagt einen bürokratischen Irrsinn. Bis zu 40 Behörden mischen sich ein, bevor sich Windräder auf See drehen können. Naturschutzauflagen bremsen Investoren, als ginge es um Buhnenbau, aber nicht um den Kernbestandteil der Energiewende. So darf in der Paarungszeit der Schweinswale kein Lärm erzeugt werden; sollte ein Seehund in Sichtweite eines Installationsschiffes auftauchen, sind alle Arbeiten sofort einzustellen. Die Verlegung von Leitungen im Bereich von Vogelbrut- und Vogelrastgebieten sowie Seehundsbänken ist auf wenige Wochen im Jahr beschränkt. Kleine Beispiele, die das Große schnell zum Kippen bringen.

Zugleich ist die Energieversorgung in der Republik gefährdeter denn je. Die Bundesnetzagentur berichtete gerade, die Zahl der kritischen Situationen im Stromnetz sei "sehr stark angestiegen". Zugleich kommt der Netzausbau nicht schnell genug voran, die Agentur fordert endlich einen "konsequenten Einsatz der eingeführten Beschleunigungsinstrumente".

Eine Beschleunigung der Energiewende insgesamt scheiterte in der Bundesregierung zuletzt am Kleinkrieg zwischen dem Wirtschafts- und dem Umweltministerium. Mit dem Röttgen-Rauswurf wird die Energiewende nun zur Chefsache für die Kanzlerin. Sie hätte der Sache, der politischen Kultur und allen Beteiligten einen Dienst erwiesen, wenn sie diesen Schwenk fairer und ehrlicher präsentiert hätte.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt