Mieter ziehen gegen Baugenehmigung für ein Mehrfamilienhaus in Winterhude vor Gericht. Dort sollen 14 Wohnungen mit Tiefgarage entstehen.
Hamburg. Wenn Annelie Kirchner aus dem Fenster schaut, blickt sie auf eine grüne Rasenfläche, umsäumt von elf hohen Douglasien. Wenn Jürgen Geilfuß aus dem Fenster schaut, blickt er auf eine grüne Rasenfläche, fünf Kiefern, eine Sandkiste. Wenn Norma Schilinski aus dem Fenster schaut, blickt sie auf das kleine Bäumchen in der Mitte der grünen Rasenfläche, an dem die Anwohner ein paar Meisenknödel für die Vögel aufgehängt haben. Annelie Kirchner, Jürgen Geilfuß und Norma Schilinski sind Nachbarn. Ihre Wohnungen haben alle einen schönen Ausblick in einen ruhigen, grünen Innenhof. Es sei ihre kleine Oase, Spielfläche für die Kinder, Platz für Eichhörnchen, Igel und Fledermäuse. Das jedenfalls sagen sie. Und darauf wollen sie nicht verzichten. In ihren Augen ist der Innenhof ein bewahrenswertes Stück Grün.
Michael Börner-Kleindienst hat einen anderen Blick auf die Dinge. Er ist Eigentümer der 27 Wohneinheiten am Heidberg 21-23a und des etwa 2000 Quadratmeter großen Grundstücks, zu dem auch der Innenhof gehört. Wenn er über die Fläche spricht, zieht er Fotos aus der Tasche. "Ein großer Teil des Hofes ist versiegelt, hier sind Platten verlegt, und die Hälfte des Geländes ist für Pkw asphaltiert. Hier fahren täglich 14 Autos in den Hinterhof." Ein grünes Idyll sei das ganz sicher nicht.
30 mal 60 Meter groß ist die Fläche, um die sich in den vergangenen Monaten ein Kampf der Interessen entwickelt hat. Auf der einen Seite stehen die betroffenen Anwohner, etwa 200 an der Zahl. Sie wollen nicht, dass ihr Innenhof verändert wird. Auf der anderen Seite steht Eigentümer Michael Börner-Kleindienst, der dort ein "attraktives Rotklinkergebäude mit Rasen und Spielfläche drum herum" errichten möchte. Der 45-Jährige hat sich im Vorwege viele Gedanken gemacht, gerade weil er einen Konflikt mit den Nachbarn vermeiden wollte. Das Gebäude soll sich architektonisch und städteplanerisch gut einpassen, sagt er.
14 Wohnungen mit je drei bis vier Zimmern und einer Größe zwischen 65 und 100 Quadratmetern sollen entstehen. Das Gebäude soll nicht mehr als drei Geschosse plus Staffelgeschoss haben - und damit niedriger sein als alle Häuser in der Umgebung. Geplant ist eine Tiefgarage mit 21 Stellplätzen. Sein Bauvorhaben wurde am 15. September vom Bezirksamt Nord genehmigt.
Für die Anwohner war die Genehmigung ein Schock, auch wenn sich die meisten einig sind, dass Hamburg mehr familienfreundlichen Wohnraum brauche. Aber die Bebauung eines Innenhofes könne keine sinnvolle Lösung sein, weil Innenhöfe doch die Anwohner vor Lärm schützen und Ruhezone sein sollten. Sie befürchten außerdem, dass durch das geplante dreigeschossige Gebäude die Sonneneinstrahlung minimiert und der Baumbestand gefährdet werde. "Wir glauben, dass durch die Bauarbeiten das Wurzelwerk der Bäume so stark beschädigt wird, dass diese absterben könnten", sagt Annelie Kirchner. Hinzu kommt die Angst vor Bodenkontamination und Fliegerbomben. Denn auf dem in Rede stehenden Grundstück befanden sich vorher ein Kohlenhandel und eine Eisenindustrie. Sorge bereiten den Anwohnern außerdem die mit den Bauarbeiten anstehenden Rammungen, die zu Schäden an den umliegenden Gebäuden führen könnten. Mehrfach wurde Widerspruch beim Bezirk eingelegt. Ohne Erfolg.
Die Wut der Bürger richtet sich nicht nur gegen den Bauherrn. Die Kritik betrifft auch das Bezirksamt Nord, welches das Vorhaben im Schnellverfahren nach §61 der Hamburgischen Bauordnung (HBauO) genehmigt hat. Das Amt habe die Baugenehmigung ohne die nötigen Voruntersuchungen erteilt, bemängelt Annelie Kirchner. "Wir hätten uns gewünscht, dass hier ein Baugenehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung nach §62 HBauO erfolgt wäre, das auch nachbarliche Belange und bautechnische Nachweise eingeschlossen hätte", so Kirchner. Schließlich löse die Baumaßnahme massive Probleme und Gefahren aus. Es sei bislang nicht geklärt, ob der vorgeschriebene Abstand zu den drei Nachbargrundstücken eingehalten werde.
Darüber hinaus seien noch immer keine Gutachten eingeholt worden. "Der agierende Bauherr wird schon aus Kostengründen wenig Interesse an den von uns geforderten diversen Gutachten haben, zumal diese geeignet sein könnten, die Baumaßnahme als nicht realisierbar zu entlarven", glaubt Anwohner Andreas Kirchner.
Michael Börner-Kleindienst fühlt sich zu Unrecht angegriffen. "Ich kann die Ängste der Menschen verstehen", sagt er. "Aber wir sind keine kurzfristigen Profitoptimierer, sondern daran interessiert, den Bestand zu erhalten. Schließlich besitzen wir mit dem Gebäude Heidberg 21-23a eine Immobilie, die wir auf keinen Fall gefährden wollen." Auch deshalb hat sich der Bauherr jetzt bereit erklärt, Gutachten einzuholen. Das betrifft zum einen das Wurzelwerk der auf den Nachbargrundstücken stehenden Bäume. Zum anderen sollen der Boden sondiert und ein Baubestandsgutachten angefertigt werden.
Den Anwohnern genügen diese Zugeständnisse nicht. Sie haben jetzt Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht, wollen auf diesem Weg das Bauvorhaben doch noch stoppen. "Wir werden die Baugenehmigung anfechten", sagt Anwohner Jürgen Geilfuß. Auch weil die Anwohner den Versprechungen des Eigentümers nicht trauen. Er habe sie vor vollendete Tatsachen gestellt und im Vorwege nicht über das Vorhaben informiert. Im vergangenen Frühjahr seien plötzlich Bodenproben im Innenhof entnommen worden. Und erst auf Nachfrage habe man von den Bauplänen erfahren. Seitdem herrsche Verunsicherung vor. "Man hätte das besser machen können, aber ich wollte zunächst mit meinen Überlegungen zur Planung weiter fortgeschritten sein", räumt Michael Börner-Kleindienst ein. Es ist das vorerst letzte Zugeständnis, das er den Anwohnern machen wird. Denn wenn alle Gutachten vorliegen, sollen die Baufahrzeuge anrücken. Spätestens im Mai soll es losgehen. Dann schlagen auch die Bäume aus.