14 Monate nach dem Unglück von Eppendorf und sechs Wochen nach Prozessbeginn äußert sich Alexander S. erstmals
Hamburg. Vier Buchstaben: nein. Es war eine der wenigen Antworten, bei denen der unter anderem wegen vierfacher fährlässiger Tötung angeklagte Alexander S. nicht zu minutenlangen und detailreichen Schilderungen ausholte. "Sind Sie Epileptiker?", fragte gestern die Vorsitzende im Landgericht Hamburg. "Nein!", antwortete der 40 Jahre alte Eppendorfer Unfallfahrer bestimmt.
Laut Anklage soll Alexander S. am 12. März 2011 unmittelbar vor der Kreuzung Lehmweg/Eppendorfer Baum einen Krampfanfall erlitten haben. Er war mit mindestens Tempo 100 über eine rote Ampel gerast, mit einem Cabrio zusammengestoßen, dann wurde sein Wagen in eine Gruppe von Fußgängern und Radlern geschleudert. Bei dem Unfall kamen der Sozialwissenschaftler Günter Amendt, der Schauspieler Dietmar Mues und seine Ehefrau Sibylle sowie die Künstlerin Angela Kurrer ums Leben. In S.s Blut wurden neben dem Cannabiswirkstoff THC Spuren eines Medikaments gegen Epilepsie nachgewiesen.
Gestern, am siebten Verhandlungstag, äußerte sich der Unfallfahrer nun selbst. Lange hatten sowohl das Gericht als auch die Hinterbliebenen hierauf gewartet. Nach Angaben zu seiner Person sowie seinem Gesundheitszustand und seiner Schilderung des Unfalls wandte sich der Angeklagte direkt an die Hinterbliebenen. Der Mann, der bis dahin während des gesamten Prozesses nur geradeaus starrte, schaute direkt in die Augen des jüngsten Mues-Bruders Woody, der ihm schräg gegenüber saß und seine Geschwister vertrat. "Was geschehen ist, war in keiner Weise meine Absicht", sagte der Unfallfahrer. Seine Augen wirkten gerötet. "Es tut mir einfach so unsagbar leid. Ich könnte mir an Ihrer Stelle nicht verzeihen." Die Botschaft sei auch an alle anderen Hinterbliebenen oder in irgendeiner Form durch den Unfall Geschädigten gerichtet.
Nach diesen persönlichen Worten ging der Angeklagte sofort wieder dazu über, sich um seine eigenen Belange zu kümmern. Wortgewandt und mit einem zeitweise sehr forschen Ton äußerte er sich zu Autounfällen aus der Vergangenheit, seinem Gesundheitszustand und Fahrverhalten. Alle - zum Teil von den Zuhörern mit Kopfschütteln kommentierten - Erklärungen mündeten in einer These: Er sei kein Epileptiker, habe nur Gelegenheitsanfälle, und ein solcher sei am 12. März für ihn nicht vorhersehbar gewesen. Will sich S. so den Freispruch erargumentieren?
Für von Zeugen als epileptische Anfälle geschilderte Vorfälle hatte der Angeklagte zahlreiche Erklärungen: Einmal war es ein umfallender Stuhl, der für Krach sorgte, und kein Anfall. Ein andermal habe er die PC-Maus nicht wegen eines Anfalls in der Hand fest gekrampft, sondern sie nur sehr bestimmt führen wollen. Sechs aus Arztakten und Zeugenaussagen hervorgehende Anfälle räumte er dann aber doch ein: ein erster großer 1993, einen im Dezember 2004, der zu einen Unfall führte, bei dem S. selbst fast starb, einer wegen eines vergessenen Medikaments 2006, zwei im Mai 2009 aufgrund eines Präparatwechsels - und der im Frühjahr 2011, der für vier Menschen tödlich endete. "Was da der Auslöser war, ist mir selbst ein Rätsel." Auch seinen per Haaranalyse bereits nachgewiesenen Cannabiskonsum gab S. zu.
Sowohl das Gericht als auch die Anklage erkannten mehrere Ungereimtheiten in den Schilderungen. "Kein Mensch glaubt ihm ein Wort", sagte Wolf Römmig, der die Mues-Brüder als Nebenkläger vertritt. "Ich bin entsetzt und empört von dieser Einlassung." Sie werde dem Angeklagten eher schaden als nützen und sich im Strafmaß entsprechend auswirken. Bei den Worten an seine Mandanten habe er wenig "echte Empathie" erkannt.
Für Verteidiger Ralph-Dieter Briel sind die Ungereimtheiten kein Grund, seinem Mandanten nicht zu glauben: "Es haben sich hier auch schon andere in erhebliche Widersprüche verstrickt." Er meint damit die ehemaligen Kollegen, die zuletzt von mehreren Anfällen und anschließenden Gesprächen mit S. darüber berichtet haben. "Das hat doch jeder mitbekommen, wie abhängig diese Zeugen waren", sagte Briel. "Es wäre höchst interessant zu wissen, wer da was mit wem abgesprochen hatte." Briel geht davon aus, dass sein Mandant fahren durfte: "Ich möchte keine Vorverurteilung und hoffe immer noch auf die Unbefangenheit des Gerichts."