Neuer Verfassungsschutzbericht: Radikale Gruppe rekrutiert Schüler für den Nachwuchs
Hamburg. Mitglieder der radikalislamistischen Organisation Hizb ut-Tahrir haben offenbar gezielt versucht, Schüler an Hamburger Schulen für ihren Verein anzuwerben. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht 2010 hervor, den Innensenator Michael Neumann (SPD) und der amtierende Verfassungsschutzchef Manfred Murck gestern vorlegten. Bei den Aktivisten von Hizb ut-Tahrir (HuT, "Befreiungspartei") handelt es sich demnach um Schüler der jeweiligen Schulen. In den erwähnten Fällen hatten Lehrer sich an den Verfassungsschutz gewandt und ihre Beobachtungen mitgeteilt.
In Hamburg ist es der Organisation, die innerhalb des islamistischen Spektrums zu den verbal radikalsten Gruppierungen zählt, seit 2003 verboten, aktiv zu werden. Gleichwohl versuchen die rund 70 Mitglieder laut Verfassungsschutz immer wieder, Nachwuchs zu rekrutieren. Von mehreren Schulen seien Meldungen über versuchte Anwerbungen eingegangen, bestätigt Hamburgs oberster Verfassungsschützer. "Von der HuT geht eine Gefahr aus", sagte Murck. "Schulen, die Sorge haben, dass sich bei ihnen radikalislamistische Tendenzen ausbreiten, sollten sich beim Verfassungsschutz informieren und beraten lassen." Allerdings warnt er auch vor Aktionismus: "Es handelt sich um Einzelfälle, nicht um ein Flächenphänomen."
Nach Erkenntnissen des Geheimdienstes versucht die 1953 in Jerusalem gegründete Vereinigung, auch an Hamburger Hochschulen Mitglieder zu werben. Murck: "Die Vereinigung zeigt sich aktiv und offensiv, sie tritt aber nicht offen als HuT auf. Ziel der Mitglieder ist es, den intellektuellen Teil der islamistischen Szene für sich zu gewinnen." Die HuT, so Murck, verstehe sich als "gedankliche Speerspitze" des Islamismus. Vor allem Schüler und Studenten würden angesprochen. Bei mehreren Personen, die längere Zeit mit Hizb ut-Tahrir in Kontakt standen, beobachtete der Verfassungsschutz eine langsame, aber stetige Radikalisierung. Einige ehemalige HuT-Mitglieder besuchten später auch die (inzwischen geschlossene) Taiba-Moschee am Steindamm, in der auch die Attentäter des 11. September 2001 beteten.
"Die Beobachtung und Bekämpfung des islamistischen Terrorismus bleibt Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes", sagte Innensenator Michael Neumann. "Auch nach dem Tod von Top-Terrorist Osama Bin Laden müssen und werden wir wachsam bleiben." Die Aktivitäten des internationalen islamistischen Terrorismus, so Neumann, zeigten, dass Deutschland weiterhin Teil eines weltweiten Gefahrenraumes ist. Nach dem Tod Bin Ladens habe die Hamburger Islamistenszene wie erwartet reagiert, sagte Murck. "Man hat sich erst mal weggeduckt. In der öffentlichen und halb öffentlichen Diskussion war der Tod des Al-Qaida-Chefs kein Thema."
Die Gesamtzahl der Islamisten in Hamburg beziffert der Verfassungsschutz auf 2065. Das sind 55 mehr als im Jahr 2009. Der Zuwachs sei vor allem bei der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüs zu verzeichnen, die mit 1650 Mitgliedern auch den größten Unterstützerkreis in der islamistischen Szene besitzt. Wie im Vorjahr zählte der Verfassungsschutz 2010 noch 200 gewaltbereite Islamisten in Hamburg. 40 von ihnen gehören dem harten Kern der "Dschihadisten" an, die den "Heiligen Krieg" anstreben. Sie trafen sich in der Taiba-Moschee, haben sich dann zum Teil zerstritten und besuchen seitdem verschiedene Gebetshäuser - unter anderem in Pinneberg und Harburg.