Vor zwei Jahren reiste eine Gruppe junger Leute von Hamburg über Saudi-Arabien nach Waziristan, um sich dem „heiligen Jihad“ anzuschließen – unter ihnen war auch Leila Bah. In der Hamburger Islamistenszene gibt es einen Kern hauptsächlich junger Männer zwischen 20 und 35 Jahren, die salafistisch (ultraorthodox muslimisch) geprägt sind und die Sache des internationalen Jihad zu ihrer eigenen machen wollen. Manfred Murck, Leiter des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, geht von rund 40 Personen aus, dazu kommt ein Umfeld von etwa 100 Kontaktpersonen und Mitläufern. Im Interview erzählt Murck, was aus der „Reisegruppe“ wurde.

Hamburger Abendblatt: Entsprach die Reisegruppe dem Grundtyp „radikalisierte junge Menschen“, wie es sie schon in der Keimzelle der Attentäter vom 11. September 2001 gab?

Manfred Murck: Ja, jedenfalls weitgehend. Es waren neun überwiegend jüngere Männer, dazu waren als Novum auch zwei Frauen dabei. Einige unter ihnen entstammten noch dem Umfeld der Attentäter von 9/11. Aber es hatte keine Rekrutierung im engeren Sinne gegeben. Die Reisegruppe wollte von sich aus aktiv werden, es war zumindest für einige eine Reise ins Blaue. Erst im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet wurde dann – zum Teil vermittelt durch einen Kontaktmann – Anschluss an die Jihad-Union, die islamische Bewegung Usbekistan und al Qaida gefunden. Vieles ergab sich also erst auf dem Schleusungsweg oder im Verlauf des Aufenthalts, einiges beruhte wohl schlicht auf Zufall.

Was kann Frauen bewegen, dorthin zu gehen?

Das können wir nicht abschließend sagen. Nach unserer Einschätzung sind die beiden Frauen aus der Gruppe wissentlich und willentlich mitgegangen, haben ihren Eltern zum Teil etwas vorgetäuscht. Wir wissen auch von mehreren anderen Frauen in der Hamburger Szene, dass die Radikalisierung bei ihnen ähnlich verläuft wie die der Männer. Irgendwann übernehmen sie – weil sie schon Muslima sind oder konvertieren – das Weltbild ihrer Freunde, versuchen zu beweisen, dass sie eine gute Muslima sind, wie genau sie alle Regeln der Bekleidung oder der Gebete befolgen. Dass die beiden nach Afghanistan mitgezogen sind, lag wohl auch daran, dass sie das romantisierende Bild der Männer geteilt haben: Sie wollten persönlich an einem gottgefälligen Leben in den Bergen und möglicherweise auch am bewaffneten Jihad teilnehmen. Wenn einer der Männer dann Märtyrer würde, wäre das auch irgendwie okay, dann würden die Frauen dort an gläubige Muslime verheiratet.

Woher kam das Geld für die Reise?

Alle Teilnehmer der Reisegruppe hatten wenig Geld, wahrscheinlich wollten sie ins gelobte Land, weil sie hier mit ihren Existenzen zu scheitern drohten oder schon gescheitert waren. Sie hatten zwar die Schule abgeschlossen, aber Studiengänge oder Existenzgründungen abgebrochen. Nur eine Frau studierte Zahnmedizin (Leila Bah). Sie haben sich ein bisschen Erspartes vor allem von den Frauen zusammengekratzt, ein paar Laptops und Handys gekauft, ohne sie zu bezahlen, und dann zum Teil weiterverkauft. Es blieb auf der Basis von ein paar Tausend Euro pro Person. Ihre Tickets haben sie hier in ganz normalen Reisebüros erstanden.

Woher wussten sie, an wen sie sich in Pakistan wenden mussten?

Es gab eine Art Pfadfinder in Hamburg, der ihnen gesagt hat: Wenn ihr da unten in Waziristan seid, habe ich ein paar Ansprechpartner für euch. Als sie schließlich dort ankamen, erlebten sie aber die erste Ernüchterung. Sie mussten feststellen, dass sie nicht etwa von der Organisation ausgerüstet wurden, sondern sich z.B. Kalaschnikov-Gewehre selber kaufen und teilen mussten.

Sie wurden also nicht bezahlt?

Hinter den Taliban und den Clan-Strukturen in Afghanistan – die auch in Hamburg Anhänger haben – mag durchaus Geld stehen. Aber das fließt offenbar nicht in die Finanzierung von Jihad-Touristen. Die Reisegruppen-Mitglieder mussten auch selbst für Kost und Logis aufkommen. Viele konnten nicht Arabisch. Sie konnten z.B. die Gebrauchsanweisungen für die gekauften Waffen nicht lesen.

Was wurde aus der Reisegruppe?

Losgezogen sind elf. Einer von ihnen wurde schon in Frankfurt/Main am Flughafen abgefangen. Zwei wurden nach kurzer Zeit in Pakistan festgesetzt und zurückgeschickt, da waren es noch acht. Einer, Abu Askar (Leila Bahs Ehemann), kam durch eine US-Drohne ums Leben. Einer machte sich vor einem Jahr freiwillig auf den Rückmarsch, zwei wurden festgenommen und sitzen mittlerweile in deutscher U-Haft. Eine der Frauen kehrte zurück. Jetzt ist noch eine Frau dort, und zwei Männer sind von unserem Schirm verschwunden.

Beginnt nach dem Tod Osama bin Ladens in der Szene jetzt ein Mythos?

Es gibt Leugnung, Trauer, Wut und zumindest phasenweise Orientierungsprobleme. Und natürlich hat die Legendenbildung bereits begonnen. An der grundsätzlichen Bereitschaft, sich zum internationalen Jihad zu bekennen und ihn in der einen oder anderen Form zu unterstützen, wird sich aber im Ergebnis wenig ändern. Also müssen wir weiter aufpassen, dass eventuelle Terrorpläne keinen Erfolg haben.