Es ist gut möglich, dass Hannelore Kraft ihren Traum vom Amt der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin bald begraben muss. Gut möglich ist auch, dass sie Jürgen Rüttgers als Chef einer Großen Koalition akzeptieren muss. Was auf den ersten Blick wie ein Comeback der CDU aussieht, ist in Wahrheit eine Sternstunde für die Sozialdemokraten. Mit ihrer Absage an einen rot-rot-grünen Feldversuch hat Kraft der SPD einen Gefallen getan, der sich auszahlen wird.
Die SPD-Landeschefin hat bewiesen, was man hochtrabend "staatspolitische Verantwortung" nennt. Im Zweifel verzichtet sie lieber auf das Amt der Ministerpräsidentin, hält dafür eine Chaostruppe mit fragwürdigem Staatsverständnis von 18 Millionen Bürgern fern. Diese Entscheidung ist im besten Sinne des Wortes vernunftbegabt. Damit ist auch das hessische Trauma der SPD überwunden: Hannelore Kraft ist nicht Andrea Ypsilanti. Kraft hat Wort gehalten. Sie hat nicht nur vor der Wahl, sondern auch danach Zweifel an der Linken geäußert - und die logische Konsequenz gezogen. Eine SPD, die so handelt, hat ihren Kompass wiedergefunden.
Die Linke wird lernen müssen, dass allein rechnerische Mehrheiten und dieselbe Farbe im Parteilogo noch keinen Konsens hervorrufen. Wenn sie ernsthaft Politik mitgestalten will, muss die Partei gehörig an sich arbeiten. Die Absage von Nordrhein-Westfalen zeigt, wo die rot-rot-grüne Idee tatsächlich steht: ganz am Anfang.