“Sister Act“ kommt im Dezember ins TUI-Operettenhaus. Das Abendblatt besuchte die Londoner Inszenierung des früheren Kinohits.
Hamburg. Die Geschichte könnte auch als eine - zugegebenermaßen gewagte - Rettungsstrategie für Priester in Krisenzeiten durchgehen. Nachtklub-Sängerin Deloris muss sich verstecken, nachdem sie Zeugin eines Mordes wurde, landet in einem Kloster, verwandelt 17 Nonnen in einen groovenden Chor, der die verlorenen Gemeindeschäfchen in Scharen in die Kirche zurückholt - und zum Schluss sogar den Papst strahlen lässt. Hilfe von unten, sozusagen. Aber angesichts der Vorfälle in der katholischen Kirche für manchen Seelenhirten möglicherweise eine äußerst verlockende Vision.
Natürlich ist das nur ein Gedankenspiel. Wir sprechen hier von einem Musical. Es heißt "Sister Act" und wird gern als "himmlisches Vergnügen" angepriesen. In einem halben Jahr startet die Bühnenfassung des gleichnamigen Films in Hamburg. Bislang ist die Show nur im Londoner West End zu sehen - koproduziert von Musical-Betreiber Stage Entertainment und US-Filmstar Whoopi Goldberg, die "Sister Act" 1992 zum Kinohit machte. Die Musik stammt aus der Feder des achtfachen Oscar-Preisträgers Alan Menken.
Auch auf der Bühne des TUI-Operettenhauses am Spielbudenplatz, wo derzeit noch Udo Jürgens' Ozeandampfer auf dem Weg nach New York festmacht, soll bis zur Premiere am 2. Dezember ein Kloster entstehen. "Kiez und Kirche, das passt einfach perfekt", sagt Jürgen Schröder von der Geschäftsführung von Stage Deutschland. Mit seinem Team ist er zur Vorbesichtigung nach London gereist. Und auch das Abendblatt hat sich das Gute-Laune-Musical schon mal angeguckt.
Früher Abend im quirligen Londoner West End. Die ersten Leuchtreklamen blinken. Vor dem Palladium Theatre drängen sich die Menschen. Nat King Cole hat auf der Bühne des legendären Musicaltheaters gestanden, Sammy Davis jr. und Liza Minnelli. Seit Juni 2009 wird "Sister Act" dort gespielt. Achtmal pro Woche und "sehr erfolgreich", wie es bei Stage heißt. Gerade war das Stück für den renommierten Laurence-Olivier-Theatre-Award nominiert. Im Publikum sitzen vor allem Frauen, aber auch Touristen in Jeans und Turnschuhen. Es gibt Bier aus Plastikbechern, dazu den Charme von abgewetztem roten Plüsch.
Um Punkt 19.30 Uhr geht es los. Whoopi Goldberg begrüßt die Zuschauer aus dem Off. Dann hebt sich der lilafarbene Vorhang für Nachtklub-Chanteuse Deloris. Zu viel Make-up und Glitzer, Gossensprache, aber ganz viel Stimme - "Take Me To Heaven". Vom ersten Augenblick an zieht Darstellerin Patina Miller die Zuschauer in ihren Bann. Auch die wenigen Männer im Publikum. An ihr hängt so ziemlich alles in dieser Musicalproduktion. Zweieinhalb Stunden steht Miller fast ununterbrochen auf der Bühne. In der englischen Presse wurde die bislang eher unbekannte Darstellerin als neuer Star bejubelt. Auch Theater-Urgestein Sheila Hancock, als sittsam-strenge Mutter Oberin ihr Widerpart, bekam blendende Kritiken.
In Hamburg läuft seit Wochen das Casting für die neue Kiez-Show. Jung, schwarz und eine Stimme mit außerordentlicher Bühnenpräsenz - der Maßstab für die deutsche Deloris hängt hoch. "Es ist nicht einfach, eine passende Besetzung zu finden", sagt Operettenhaus-Sprecherin Britta Englisch. Außer den beiden Hauptrollen gibt es Deloris' Unterwelt-Liebhaber Shank, Polizist Eddie, Monsignor Howard - und jede Menge charakterstarke Nonnen. Im Sommer soll das deutsche Ensemble stehen.
Auf der Bühne des Londoner Palladiums wummert Disco-Musik zu Deloris' Träumen vom Starleben als "Fabulous Baby". Mit lautem Pistolenknall begeht ihr schmieriger Gangsterfreund Shank einen Mord, in der Folge flieht die Nachtklub-Diva auf pink glitzernden Stöckelstiefeln durch das mächtig rotierende Bühnenbild - und landet schließlich gegen ihren Willen in kirchlicher Schutzhaft. Ein Feuerwerk von Bildern. Mauerteile fahren wie von Geisterhand über die Bühne, verwandeln den Nachtklub in eine gespenstig kalte Straßenszene. Die Polizeistation, in der Deloris Hilfe sucht, verschwindet in Sekundenschnelle unter dem Bühnenboden, macht den hohen gotischen Bögen eines Klosters Platz.
Später, nach der Show, wird die Londoner Stage-Managerin Briany Leivers den Besuchern aus Hamburg bei einer Backstage-Führung erklären, wie die Bühnenbewegungen mit Computern und Infrarotkameras gesteuert werden. Präzisionsarbeit im Minutentakt. "Wir haben auch noch sechs Arbeiter, die Kulissen mit der Hand schieben", sagt Leivers. Eins zu eins, das ist wegen der unterschiedlichen räumlichen Gegebenheiten in Palladium und Operettenhaus schon jetzt klar, lässt sich das nicht an den Spielbudenplatz übertragen. "Aber", sagt Stage-Vorstand Schröder, "im Prinzip wird es das gleiche Bühnenbild sein." Insgesamt, so die bisherige Planung, liegen die Investitionen für den englisch-deutschen Musical-Import im unteren zweistelligen Millionenbereich.
Inzwischen steuert das Spektakel im Palladium-Theatre dem Kern entgegen. Neu-Nonne Deloris formt die schwächlichen Nonnenstimmen zu einem swingenden Gospelchor - "Raise Your Voice".
Komponist Alan Menken, der schon den Soundtrack zu Disney-Klassikern wie "Arielle", "Aladin" oder "Die Schöne und das Biest" lieferte, mischt Funk und Soul in seinen Klangteppich aus dem Disco-Sound der 70er-Jahre, streut Rap und auch Elemente sakraler Musik ein. Der eingängige Mix, der in Teilen an die Filmmusik erinnert, funktioniert. Nach jeder Nummer brandet tosender Beifall auf den fast ausverkauften 2200 Plätzen auf. Und spätestens als der schüchterne Polizist Eddie, heimlicher Beschützer der schönen Deloris, eine wundersame Wandlung zum Disco-King à la Travolta hinlegt ("I Could Be That Guy"), lässt sich das Ohrwurm-Potenzial von "Sister Act" erahnen.
In Hamburg wird derzeit an der Übersetzung der Liedtexte gearbeitet - in der Hoffnung, dass auch das deutsche Publikum der Katharsis der Nachtklub-Sängerin Deloris folgt, die selbst in Ordenstracht noch Sex-Appeal hat und mit ihrer schnoddrig-direkten Art den verzagten Mitschwestern nicht nur Stimme, sondern auch neuen Lebensmut gibt.
Die Erwartungen von Stage Entertainment an die Festlandpremiere sind hoch. Hamburg gilt als deutsche Musical-Hauptstadt. Seit Ende vergangenen Jahres läuft der Vorverkauf für das Operettenhaus, mit 1300 Plätzen das kleinste der drei Hamburger Stage-Theater.
Ob sich der Nonnenkult an der Elbe fortsetzen lässt, muss sich noch zeigen. Unterhaltsam ist er allemal, manchmal auch an der Grenze zum Slapstick. Etwa, wenn Schwester Mary Patrick, dicklich und bebrillt, wie ein Flummi über die Bühne hüpft. Oder Schwester Mary Lazarus, älteste im Nonnenchor, erst einen beherzten Schluck aus der Flasche nimmt und später auch noch rappt.
So ist es keine Frage, dass die göttlichen Schwestern Deloris helfen, als ihre Undercover-Tarnung auf dem Weg ins Finale auffliegt und Gangsterboss Shank ihr dicht auf den Fersen ist. Selbst das Herz der strengen Klosterchefin hat die geläuterte Barsängerin inzwischen erwärmt. Und als im Schlussakkord dann auch noch der Papst als Dirigent auftaucht, hat sie endgültig den kirchlichen Segen. Dafür gibt es Standing Ovations vom Londoner Publikum. Und auch die Hamburger Gäste sind angetan: "Das passt."