Vorsicht! Auch jetzt noch scheint sie Oles oberste Maxime zu sein. Der Zwölfjährige beschreibt seine dunkelsten Erlebnisse sehr zurückhaltend: "Das Schlimmste war, dass ich jeden Tag von den anderen genervt wurde." Das ist seine harmlos klingende Zusammenfassung für das, was man Mobbing nennt. Seine Mitschüler haben ihm den Ranzen weggenommen, seine Federtasche immer wieder durch die Klasse geschmissen und ihn beleidigt. Vor allem ein Junge hatte es besonders auf ihn und seinen Freund abgesehen. Der Weg in die Schule wurde für Ole so sehr zur Tortur, dass er Möglichkeiten suchte, sie zu vermeiden. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, immer wieder, bis nichts mehr ging.
"Da saß er bei uns auf der Treppe, hat geweint und gesagt, dass er nicht mehr leben will", sagte seine Mutter Andrea Brandt (Namen geändert). Ein Schock für sie und ihren Mann, denn von dem Ausmaß des monatelangen Leidens ihres Sohnes hatten sie nichts mitbekommen. Seine unterschwellige Aggressivität, seine Zurückgezogenheit, seine Gereiztheit, das hatten sie auf eine frühe Pubertät geschoben. "Ich war selbst schnell genervt von Ole in der Zeit", sagt seine Mutter. Im Nachhinein hat die 42-Jährige sich Vorwürfe gemacht, in dem Moment der großen Krise ihres Sohnes aber erwachte ihr Kämpfergeist.
Andrea Brandt rief die Lehrerin ihres Sohnes an, wandte sich an die beiden dafür ausgebildeten Sozialpädagogen der Gesamtschule, ließ sich nicht abwimmeln, aber fand dennoch nicht die Unterstützung, die sie sich erhoffte. Sie stieß mehr auf Wegsehen und Nicht-Wahrhaben-Wollen. Da Ole in der Zeit auch sehr zugenommen hatte, suchte sie seinen Kinderarzt auf. Der hatte den entscheidenden Tipp, von dem sie heute sagt: "Das hat unsere Familie gerettet." Bei Nordlicht e. V., einem Hamburger "Verein für soziale und kulturelle Arbeit", zeigten Sozialpädagogen Ole in der Anti-Mobbing-Gruppe "MuTiger" den Ausweg aus seiner Lage.
"Wir haben über mein Problem, dass ich geärgert wurde, geredet", sagt Ole. Drei Sozialpädagogen vermitteln sechs bis zehn Kindern ein halbes Jahr lang einmal wöchentlich ein stärkeres Selbstwertgefühl, zeigen ihnen, wie sie auf Mobbing reagieren und sich selbst und den anderen einschätzen lernen. Sie beziehen auch die Eltern mit ein. Ole meint jetzt, dass sein schlimmster Peiniger "wohl innerlich auch sehr traurig ist". Inzwischen begegnet er ihm zum Glück gar nicht mehr. Der Junge musste die Schule verlassen und Ole wechselte wegen eines Umzugs ebenfalls auf eine andere Schule. Es geht ihm sichtlich besser. Er ist wieder fröhlicher, hat schnell Freunde gefunden und sogar bessere Noten.
Für Horst Schawohl, den Koordinator der Anti-Mobbing-Gruppen bei Nordlicht, ist ein Schulwechsel immer "die richtige Entscheidung" für gemobbte Kinder. Nach seiner Erfahrung wird jeder 6. Schüler in Hamburg gemobbt - und zwar quer durch alle Schulformen. Es kann jeden treffen.
Nordlicht e. V., Tonndorfer Hauptstraße 151, Tel. 65 38 94 44, www.nordlicht-ev.de