Gehoben, aber nicht abgehoben: Die Bauern sind lange weg, das Dörfliche ist geblieben.

Es gab einen Akt jugendlicher Rebellion in Groß Flottbek - oder war es eine Provokation von außerhalb? Jedenfalls besprühte ein Unbekannter Anfang 2011 ein Trafohäuschen an der Ecke Müllenhoffweg/Rilkeweg mit Graffiti. Hip-Hop-Kultur im Villenquartier? "Schmierfinken" nannte die Stadtteilzeitung "Unser Blatt" die Sprayer; der Bürgerverein wandte sich Hilfe suchend an den zuständigen Energieversorger. Dieser spendierte dem Trafohäuschen eine grüne Übermalung, die ein Wäldchen zeigte, so idyllisch wie die Umgebung. Doch der Täter kehrte zurück. Aber erneut wurde sein grelles Werk mit dem Wald-Motiv übermalt. Seitdem herrscht wieder Ruhe.

+++ Zahlen & Fakten +++

+++ Kurz & knapp +++

+++ Name & Geschichte +++

+++ Töchter & Söhne +++

Beinahe jeder Fünfte in Groß Flottbek ist unter 18, sagt die Statistik; immer mehr junge Familien ziehen hierher. Es gibt sieben Kitas sowie zwei Grundschulen, und zu renommierten Gymnasien wie dem Christianeum in Othmarschen ist es nicht weit. So gesehen ist Groß Flottbek ein sehr junger Stadtteil, bloß dass die Jugend hier bestimmten Werten unterliegt. Die Kinder des Elbvororts spielen in den weitläufigen Gärten hinter den Häusern. Oder sie sind beim Training im Sportverein. Oder bei der musikalischen Früherziehung im Johannes-Brahms-Konservatorium. Oder bei der freiwilligen Feuerwehr. Jedenfalls nicht auf der Straße. Ein Jugendklub mit abgewetzten Sofas, Tischtennisplatten und Rap-Musik wirkte in dieser Umgebung merkwürdig. Es gibt auch keinen.


Elegante Altbauten hinter hohen Eichen

Wer durch die von alten Eichen gesäumten Straßen rund um die Groß Flottbeker Kirche fährt, sieht elegante Altbauten, vor denen dunkle Limousinen parken, gepflegte Vorgärten und blitzblanke Gehwege - in einem Wort: Beschaulichkeit. Man sollte aber nicht den Fehler machen, den Elbvorort deshalb für langweilig zu halten. Obwohl Groß Flottbek mit weniger als 11 000 Einwohnern zu den kleineren Stadtteilen in Hamburg gehört, ist hier einiges los - nur sieht man das nicht sofort. "Es gibt einen hohen Bekanntheitsgrad untereinander und ein nachbarschaftliches Miteinander, das man nicht auf den ersten Blick erkennt", so drückt es der Vorsitzende des Bürgervereins, Manfred Walter, aus, der seit 44 Jahren in Groß Flottbek wohnt.

Wer hier lebt, stört sich nicht daran, dass es kein Kino gibt, das die neuesten Blockbuster zeigt, keine Kneipen und natürlich keine Disco. Es gibt schließlich viele andere Treffpunkte: die üppigen Gärten. Den Groß Flottbeker Tennis-, Hockey- und Golfclub, der allerdings in Othmarschen liegt. Die Groß Flottbeker Spielvereinigung, die 2012 ihr 100-jähriges Bestehen feiert. Die beiden Kirchengemeinden. Den 1948 gegründeten Bürgerverein, dessen Mitglieder etwa zum Wandern und Skatspielen zusammenkommen.

Trend zum Fachgeschäft

Und die "Waitze", wie die Anwohner ihr 360 Meter langes Einkaufssträßchen nennen. Hier haben sich zwar auch Blume 2000, Budni und Tchibo angesiedelt, während zuletzt einige Traditionsgeschäfte wegen gestiegener Mieten schließen mussten. "Noch aber hält sich auch bei den Neueröffnungen der Trend zu individuellen, inhabergeführten Läden", sagt Veronika Glaab-Post, die Vorsitzende der Interessengemeinschaft Waitzstraße und Besitzerin des Spielzeugladens Salima. Neuankömmlinge wie der Hofladen Cassenshof, der Bio-Gemüse und Obst aus regionalem Anbau verkauft, der Modeshop Prignitz und Ritual Cosmetics bilden mit seit Jahrzehnten ansässigen Institutionen wie der Fleischerei Hübenbecker, der Buchhandlung Harder, dem Strumpf-Lädchen und dem Hausmakler Simmon den Gegenentwurf zum Elbe-Einkaufszentrum. Ein beliebter Treffpunkt ist auch der Flottbeker Markt mittwochs und sonnabends an der Osdorfer Landstraße. Angesichts dieses auf 2,4 Quadratkilometer komprimierten Geflechts ist mancher geneigt, von einem Dorf zu sprechen, in Anlehnung an die von Äckern und Weiden umgebene Gemeinde, die Groß Flottbek bis Ende des 19. Jahrhunderts war. An diese Zeit erinnern acht zum Teil mit Reet gedeckte ehemalige Bauernhäuser und Katen, etwa das 200 Jahre alte Gebäude an der Baron-Voght-Straße 179, das heute Landhaus Flottbek heißt und ein Vier-Sterne-Hotel mit Restaurant beherbergt.

Seine ländliche Anmutung hat Groß Flottbek behalten, das Bäuerliche ist verschwunden. Bis 1939 zählten noch einige nördlich gelegene Straßen zu dem Stadtteil, in denen Arbeiter und Handwerker lebten. Im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes wurde dieser Teil Bahrenfeld zugeschlagen. "So kam es, dass Groß Flottbek zu einem überwiegend wohlhabenden, großbürgerlichen Viertel wurde", sagt Martin Wendt, der seit 37 Jahren hier lebt und eine Stadtteil-Chronik geschrieben hat.

Viele derer, die hier leben, legen Wert auf humanistische Bildung und gehobene Kultur. Etliche Familien wohnen seit mehreren Generationen in Groß Flottbek. Die Kinder der Alteingesessenen ziehen zwar zum Studium oft weg, doch dem Vernehmen nach kehren einige von ihnen zurück, sobald sie selber Kinder bekommen - bietet der Stadtteil doch Geborgenheit.

Anlaufstelle für Weiterbildung

Zumindest gefühlt ist die Welt in Groß Flottbek noch in Ordnung: Hier werden nur zwei Prozent aller Straftaten im Bezirk Altona begangen. Wenn etwas stört, dann eher der hin und wieder auftretende Fluglärm.

Das aparte Ambiente im Grünen hat seinen Preis: 14 bis 15 Euro pro Quadratmeter kosten Wohnungen zur Miete, ab 15 Euro pro Quadratmeter kann man sich ein Haus mieten. Im Hamburger Durchschnitt liegt der Mietpreis pro Quadratmeter bei etwa zehn Euro. Ihr Vermögen tragen allerdings nur die wenigsten Groß Flottbeker protzig zur Schau. Manfred Walter vom Bürgerverein bringt dieses sympathische Understatement auf die Formel: "Groß Flottbek ist gehoben, aber nicht abgehoben."

Und auch nicht abgeschottet. Für die Offenheit des Stadtteils steht insbesondere die Volkshochschule, die in einer Villa an der Waitzstraße untergebracht ist. Das 1886 erbaute und später um ein zweites Haus erweiterte Gebäude beherbergte zunächst eine Mädchenschule, die von 1916 an zeitweise Berta-Lyzeum hieß. Aus ihr hervor ging das Gymnasium Hochrad für Mädchen und Jungen in Othmarschen. Von 1966 an lehrte in dem Gebäude an der Waitzstraße eine internationale Schule; erst ab 1976 zog die VHS ein.

+++ Der Stadtteil-Pate: Marc Hasse +++

"Viele der älteren Groß Flottbeker haben eine besondere Beziehung zu dem Gebäude, weil sie hier einst zur Schule gingen", erzählt die Leiterin Emmi Clubley. Doch es kämen eben auch Menschen aus Altona, Rissen und Blankenese. Insbesondere für viele aus dem Westen Hamburgs sei die VHS "die erste Anlaufstelle für Weiterbildung". 10 000 Menschen besuchen 1000 Kurse pro Jahr; das Angebot reicht von Aquarellmalerei über Multimedia bis zu Pilates und Yoga. "Unser Renner sind Schneider-Kurse", sagt Clubley. "Daran nehmen auch viele junge Mädchen teil, die sich ausgefallene Kleider nähen." Nur Hip-Hop-Kurse, die gebe es nicht an der VHS, sagt Clubley. "Dafür fehlt uns die Klientel."

In der nächsten Folge am 11.7.: Schnelsen

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