Hamburg. Seit 40 Jahren kommen Präsidenten, Rockstars und Schauspieler zu den Kowalkes . Auch in Corona-Zeiten halten die Stammgäste die Treue.
„Hinten im großen Raum war eine lange Tafel gedeckt. Auf jeder Seite saßen etwa 15 Angestellte. Papa stand am Kopfende, hat alle begrüßt und dann sein Konzept vorgestellt. Und ich saß neben ihm.“ So erinnert sich Dirk Kowalke an einen Tag im Januar 1981. Sein Vater Rüdiger hatte gerade das Lokal in dem schlichten Backsteinhaus aus dem 19. Jahrhundert direkt an der Kaikante übernommen. Diese erste Personalversammlung war der Beginn einer kulinarischen Erfolgsgeschichte, die bis heute andauert: 40 Jahre Fischereihafen Restaurant an der Großen Elbstraße 143.
Rüdiger Kowalke hatte die Gastronomie im Blut. Aufgewachsen in verschiedenen Schänken und Gastwirtschaften der Familie im Lübeck der Nachkriegszeit, lernte er Koch im Schwarzwald, arbeitete im Flughafen-Restaurant in Fuhlsbüttel und machte in den 1970er-Jahren den Kaltenkirchener Hof zu einem Treffpunkt für internationale Feinschmecker. Auch deshalb stach er mit gerade mal 33 Jahren die 100 anderen Bewerber aus, die ebenfalls den damals heruntergekommenen Laden am Elbufer pachten wollten. Die Große Elbstraße war noch keine lukullische Meile, sondern diente den Prostituierten als Laufsteg.
Kowalke legte mit geliehenem Geld von Lieferanten los
Kowalkes damalige Ehefrau war alles andere als begeistert, aber der Gastronom erkannte das Potenzial des Lokals. Mit geliehenem Geld von Lieferanten, rund 80.000 Mark, legte er los. Brachte mit Chefsekretärin Heidrun Alexi, Restaurantleiter Peter Lühr und Küchenchef Wolf-Dieter Klunker drei Vertraute mit aus Kaltenkirchen.
Lud alle Concierges der wichtigsten Hotels der Hansestadt zum Essen ein, schrieb Briefe an Freunde und Prominente sowie an Firmen, die mit Hafen und Schifffahrt zu tun hatten. Mit einem rauschenden Fest wurde Anfang März 1981 dann die offizielle Eröffnung unter dem Namen „Fischereihafen Restaurant Hamburg“ gefeiert. „Ein neuer Stern am Fischmarkt“ schrieb das Hamburger Abendblatt.
Dirk Kowalke: Ausbildung zum Bankkaufmann und Kochlehre
Der Betrieb nahm Fahrt auf, aber die Ehe scheiterte. „Ich spielte dann nicht mehr im Lager vom Kaltenkirchener Hof, sondern verbrachte als Junge viel Zeit in der Küche hier am Hafen“, erinnert sich Dirk Kowalke. Der 49-Jährige ist bereits seit 1997 verantwortlich für das mittelständische Unternehmen mit den rund 60 Beschäftigte. „Sein Körper hat Papa damals ganz deutlich signalisiert, dass er kürzer treten muss.“
Der heutige Chef machte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Eine Kochlehre im Hotel Vier Jahreszeiten und eine Station bei Jörg Müller auf Sylt folgten, bevor es den Junior in den Familienbetrieb zog. „Die ersten Jahre waren spannend und auch manchmal nicht ganz so leicht, aber mein Vater hat mich sehr gut begleitet“, sagt Kowalke. Denn der Senior blieb als „Fischpapst“ das Gesicht des Betriebes.
Ständige Modernisierung des Restaurants
Dirks erstes eigenes Projekt war die Oyster Bar. „Die startete im Oktober 1997. Und Barkeeper Ricci ist der erste Mitarbeiter, den ich eingestellt habe.“ Der Junior sagt von sich, dass er sehr „investitionsfreudig“ sei. „Das Restaurant darf keine Patina ansetzen.“ Ständig würde die Einrichtung aufgefrischt, bei Geschirr, Besteck, Gläsern und Tischwäsche auf Zeitgeist geachtet. 2001 kam die Terrasse hinzu. „Ich möchte keinen Sanierungsstau.“
Der Service beginnt schon an der Tür, wo ein Wagenmeister die Autoschlüssel entgegennimmt und das Fahrzeug parkt. „Wir haben da ein paar Plätze, die nur wir kennen“, so Dirk Kowalke. Oben – den Weg dorthin kann man auch mit dem Treppenlift zurücklegen – nimmt eine freundliche Dame die Garderobe ab, eine andere Servicekraft geleitet die Gäste zum Tisch. Die Räume sind hanseatisch-elegant und gemütlich eingerichtet.
Seit dem ersten Tag feste Unternehmensphilosophie
Große Fenster geben den Blick auf den Hafen frei, den Teppichboden zieren kleine Fische. An den Wänden hängen maritime Bilder. Auf den eingedeckten Tischen sorgen kleine Lampen für schmeichelhaftes Licht, die Holzstühle sind mit gepunktetem Stoff bezogen. „Jeder Gast ist uns willkommen und wird wie ein König behandelt“, sagt Dirk Kowalke.
Denn vom ersten Tag an bis heute stehen vier Punkte für die Philosophie des Restaurants: ehrliche Qualität, persönliche Präsenz, eine fröhliche familiäre Atmosphäre, gesundes Preis-Leitungs-Verhältnis. Das Personal kommt mit diesem Motto wohl gut klar: Viele Beschäftigte sind dem Betrieb seit Jahren treu.
Zu den Besuchern gehören FIlmstars und Politiker
Im Laufe dieser 40 Jahre haben Filmstars wie Michael Douglas und Sean Connery, Musiker wie Leonard Bernstein, Tina Turner und die Rolling Stones, Royals wie Charles und Diana, Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, der frühere Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz, der ehemalige US-Außenminister John Kerry und sein russischer Kollege Sergej Lawrow bei Kowalke geschlemmt. Drei Gästebücher sind gefüllt mit lobenden Worten und Danksagungen, auf einer Fotowand die schönen Momente festgehalten.
Für manche Hamburger ist das Leben nicht vollkommen, wenn sie nicht dreimal pro Woche Kowalke-Küche genießen. „Aber es kommen auch Menschen, die sich einmal im Jahr einen Besuch bei uns gönnen. Oder Touristen. Wir freuen uns über neue Gäste und schätzen diejenigen, die schon seit Jahren bei uns essen“, so der Chef. Zu den treuesten Fans von Anbeginn zählen Fußball-Idol Uwe Seeler und Jürgen Dehn, früher Chef im traditionsreichen Ratsweinkeller.
Küche verarbeitet pro Woche drei Tonnen Frischfrisch
Brenzlige Situationen mit Besuchern, die mithilfe der Polizei geklärt werden mussten, kann Dirk Kowalke an einer Hand abzählen. „Ich habe in all den Jahren kein Hausverbot aussprechen müssen.“ Rüdiger Kowalke setzte gleich auf ein gehobenes Fisch-Angebot: Austern, Steinbutt und Seezunge. „Und wir hatten zwei Bassins für Hummer und Langusten“, erinnert sich sein Sohn. Aber auch Scholle, Kabeljau und Labskaus fanden sich auf der Speisekarte.
Ende der 1980er-Jahre begann der Siegeszug vom Lachs. Und heute sind Thunfisch, Sushi-Variationen, Gambas im Knuspermantel und Dorade mit mediterranen Kräutern selbstverständlich im Angebot. In normalen Zeiten verarbeitet die Küche drei Tonnen Frischfisch pro Woche, geliefert von zehn langjährig vertrauten Händlern aus der Nachbarschaft.
Rüdiger Kowalke lernte zweite Ehefrau im Restaurant kennen
Aber der heutige Chef beruhigt: „Klassiker wie Räucheraal mit Rührei auf geröstetem Schwarzbrot, Steinbutt mit Senfsauce, Labskaus, Wiener Schnitzel und ein ordentliches Steak werden immer auf der Karte stehen.“ In seinem Lokal fand Rüdiger Kowalke auch sein zweites privates Glück.
An einem Tisch am Fenster speiste kurz vor Weihnachten 1991 seine Susanne mit ihrer Mutter. Noch am selben Abend lud er sie ein, Silvester mit ihm und einigen Freunden in Spanien zu feiern. Die Überfalltaktik ging nicht auf – Susanne war noch verheiratet –, aber nach dem nächsten zufälligen Treffen beim Friseur funkte es endgültig. 1999 wurde auf Sylt geheiratet.
Hamburger trauerten um Rüdiger Kowalke
Susanne Kowalke scherte sofort in den Betrieb mit ein und gilt als gute Seele des Teams. Als ihr Mann Rüdiger im Februar 2019 nach schwerer Krankheit mit 71 Jahren starb, trauerten viele Hamburger mit der Familie.
Neben dem Sohn und der Witwe gehört seit fast zehn Jahren auch Benjamin „Benni“ Kast zur Restaurant-Mannschaft. Der heute 41-Jährige ist der Sohn von Susanne Kowalke und Dirks „rechte Hand“. „Ich habe eine Ausbildung in der Autobranche absolviert, aber dies hier ist meine Erfüllung. Ich möchte nichts anderes machen.“ Benni hat den Betrieb verjüngt, er betreut die Internet- und Social-Media-Auftritte des Restaurants. Sein Sohn Henri butschert gerne in der Küche und bestellt sich Fischfilet mit Pommes.
Die nächste Generation Kowalkes steht schon bereit
Dirk Kowalkes Kinder Konstantin und Fiona, beide 21, könnten die nächste Generation sein. Der Sohn studiert Sport- und Event-Management, die Tochter macht eine Ausbildung in einem Hotel. „Beide haben hier schon mit großer Freude ausgeholfen und gejobbt“, sagt der Vater. „Wenn sie in den Betrieb mit einsteigen wollen, wäre das sehr schön. Aber ich mache ihnen keinen Druck.“
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Rüdiger Kowalke hat einmal gesagt: „Das hier ist eine Bühne, und wir sind die Darsteller. Unsere Gäste sind unser Publikum. Um es zu begeistern, müssen wir gut sein. Jeden Tag wieder. Das erfordert Disziplin, Warmherzigkeit, viel Liebe zum Beruf und vor allem zu den Menschen.“ Corona hat allerdings den Vorhang fallen lassen. Das Fischereihafen Restaurant ist geschlossen, das Personal in Kurzarbeit.
Außer-Haus-Verkauf während Corona
Rund zehn Beschäftigte tun aber jeden Tag abwechselnd Dienst und kümmern sich um den Außer-Haus-Verkauf. Der Renner aktuell: Hummer-Menü in vier Gängen zum Abholen. „Jeden Tag gehen fast 100 Bestellungen raus“, erzählt Benni Kast. Er hat Tortenkartons für den Transport besorgt. Die werden gefaltet und beklebt und stapeln sich in einer Ecke des Lokals. Die Pandemie trübt zwar die Jubiläumsfreude.
Aber Dirk Kowalke bleibt optimistisch: „Unsere Stammgäste machen uns in der Krise stark. Wir wollen diese Zeit überstehen und danach das Schiff wieder flottbekommen auf das Niveau vom Februar 2020.“ Die Stadt ohne diese gastronomische Hamburgensie? Undenkbar. Und der Mietvertrag mit der HHLA für das Haus an der Großen Elbstraße läuft schließlich auch noch ein paar Jahre.