Hamburg. European XFEL soll Hamburg zur „Welthauptstadt der Röntgenlichtforschung“ machen – mit 27.000 Lichtblitzen pro Sekunde.
Er ist buchstäblich der größte Hoffnungsträger der Metropolregion Hamburg: der Freie-Elektronen-Laser European XFEL, dessen 3,4 Kilometer lange Anlage zwischen Bahrenfeld und Schenefeld (Schleswig- Holstein) verläuft, sechs bis 38 Meter tief unter der Erdoberfläche.
Mit den extrem hellen und kurzen Röntgenblitzen, die das Instrument erzeugen wird, wollen Wissenschaftler aus Norddeutschland und aller Welt so genau wie nie zuvor biologische Strukturen sichtbar machen, ultraschnelle chemische Prozesse filmen und physikalische Zusammenhänge beobachten: bis auf die Ebene von Atomen – Teilchen, die zehn Millionen Mal kleiner sind als ein Millimeter.
Nun geht die gewaltige Maschine, die Supermikroskop und Hochleistungskamera in einem ist, schrittweise in den Testbetrieb. Den Beginn dieses Prozesses feierten am Donnerstag in Schenefeld 350 Gäste. In einem symbolischen Akt montierten die Festredner um Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) fünf Schrauben an einem der letzten noch fehlenden Bauteile.
Experimente starten im Sommer 2017
Wenn im Sommer 2017 die ersten Experimente starten, wird der Hamburger Superlaser das beste Instrument seiner Art sein. Mit dem bisher stärksten Freie-Elektronen-Laser der Welt, dem LCLS in Stanford (Kalifornien), erzeugen Forscher 120 Lichtblitze pro Sekunde – bis zu 27.000 „Schnappschüsse“ pro Sekunde soll der European XFEL schaffen. Damit ließen sich Messungen in wenigen Tagen bewältigen, die in Stanford heute Wochen dauern.
Im Wettstreit um Aufmerksamkeit und Forschungsgelder gehört lautes Trommeln in der Wissenschaft inzwischen zum Alltag. Nicht einige wenige, sondern gleich ein Dutzend Disziplinen sollen von den Experimenten profitieren, unter anderem die Medizin, Pharmazie, Chemie, Physik, Materialwissenschaft, Nanotechnologie, Energietechnik und Elektronik, schreiben die Laser-Betreiber von der European XFEL GmbH in Schenefeld.
Mit der Maschine ließen sich etwa atomare Details von Viren abbilden und Grundlagen für „Medikamente der Zukunft“ schaffen. Möglich seien auch Erkenntnisse, die zu kleineren Datenspeichern, effizienteren Brennstoff- und Solarzellen und neuartigen Katalysatoren führten. Und schließlich könnten die Untersuchungen helfen, „Werkstoffe mit revolutionären Merkmalen“ zu finden, für die es noch gar keine Anwendungen gibt.
Wie realistisch all das ist, muss sich noch erweisen. Die Erwartungen sind aber jetzt schon gewaltig: Durch die Kombination aus dem European XFEL und dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Bahrenfeld, dessen Wissenschaftler sich maßgeblich am Bau des Superlasers beteiligt haben und nun den Beschleuniger der Anlage steuern, werde die Metropolregion zur „Welthauptstadt der Röntgenlichtforschung“, heißt es aus der Wissenschaftsbehörde. Deren Chefin Katharina Fegebank erhofft sich „neue Produkte, neue Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand“.
Schon heute arbeiten auf dem Desy-Gelände und dem Forschungscampus in Bahrenfeld rund 3000 Menschen, 2000 von ihnen bei Desy. Sie kommen aus mehr als 60 Nationen. Hinzu kommen der Behörde zufolge 3000 internationale Gastforscher pro Jahr. „Diese Zahlen dürften sich mit der Aufnahme des European-XFEL-Nutzerbetriebs von 2017 an deutlich erhöhen und insbesondere den Campus in Schenefeld betreffen“, so die Wissenschaftsbehörde.
Auch Desy-Chef Helmut Dosch geht davon aus, dass der neue Superlaser zu einem „Magneten für Spitzenforscher aus aller Welt“ werden wird. Das Instrument mache Experimente möglich, die lange als unmöglich galten. Etliche Top-Leute hätten sich bereits von der Infrastruktur in Bahrenfeld anlocken lassen, sagt Dosch.
Wissenschaftlicher Nachwuchs soll profitieren
Beispielsweise der britische Biophysiker Henry Chapman, der von Kalifornien nach Hamburg wechselte und für seine Pionierarbeiten 2015 den mit 2,5 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis erhielt, den wichtigsten Forschungspreis in Deutschland. Als besondere Erfolge verbucht Dosch auch die Verpflichtungen von Franz Kärtner, einem Spezialisten für Lasertechnologie, der vom MIT in Boston abgeworben wurde, und von Robin Santra, einem führenden Theoretiker in Kurzzeitphysik, der aus Chicago hierherkam.
Aus Sicht der Wissenschaftsbehörde ist die Forschungsanlage auch bedeutend für den wissenschaftlichen Nachwuchs: „Studierende und Graduierte können hier Trainings, Master- und Doktorarbeiten machen und so Know-how und Kenntnisse in modernster Forschung und Technologie erlangen. Diese wiederum können vor Ort in die Industrie und Verwaltung eingebracht werden und so dem Wirtschaftsstandort nutzen.“
Desy-Chef Dosch erwartet noch mehr: „Mit dem European XFEL wird Hamburg noch attraktiver für Hightech-Unternehmen in den Bereichen Bio- und Lebenswissenschaften. Solche Firmen werden hier einen Nährboden für ihre Entwicklungen sehen.“
Je länger der Beschleuniger, desto größer die Energie
Röntgenstrahlen helfen schon lange dabei, die Struktur von Materialien abzubilden und ihre Zusammensetzung zu analysieren – nicht nur beim Arzt und im Chemielabor, sondern auch in der Forschung. Wer Winzlinge wie Atome sehen und ihre Anordnung erkennen will, braucht allerdings extrem energiereiches Licht. Denn je höher die Energie der Lichtteilchen (Photonen) ist, desto kürzer sind die Wellenlängen des Lichts. Ist die Wellenlänge so kurz wie der Abstand zwischen Atomen oder kürzer, lassen sich die Teilchen unterscheiden.
Der Durchmesser eines Atoms beträgt etwa ein Zehntel Nanometer (0,1 nm) – die Wellenlängen der Röntgenblitze des European XFEL sollen bis zu 0,05 Nanometer klein sein. Zum Vergleich: Die Miniversion des European XFEL, der Freie-Elektronen-Laser „Flash“ bei Desy, erreicht Wellenlängen von bis zu 4,2 Nanometern. Das reicht nicht für eine atomare Auflösung.
Mit Röntgengeräten im „Büroformat“ ließe sich derart starkes Licht mit kurzen Wellenlängen nicht erzeugen. Dafür sind große Teilchenbeschleuniger nötig. In ihnen werden Elektronen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit und dann durch Magneten auf einen Slalomkurs gebracht, wodurch die Teilchen extrem helle Röntgenblitze aussenden.
Je länger der Beschleuniger ist, desto größer ist die Energie beziehungsweise kürzer ist die Wellenlänge des Lichts. Die „Rennstrecke“ des „Flash“-Lasers ist rund 100 Meter lang – die des European XFEL dagegen misst 1,7 Kilometer. Damit erreichen die Elektronen dort 15-mal mehr Energie.
So erklärt es sich, warum Wissenschaftler immer größere Maschinen konstruieren, um kleinste Strukturen zu enträtseln.