Hamburg. In dem Raum in der Volkshochschule West sind Tausende Dokumente aus der Geschichte der Gegend verwahrt.
Die Bogenstraße heißt heute Falckweg. Die Schulstraße wurde in Röbbek umgetauft, die Auguststraße in Leistikowstieg – so viel ist klar. Aber wo lag der Ziethenteich, wo die Rosenburg? Kloth’s, Wilhelmshöhe, Hirtenhof und Vossberg – lauter Gaststätten, von denen nichts übrig blieb. Wo findet man ihre Spuren?
Im Archiv des Bürgervereins Flottbek-Othmarschen gibt es nicht nur faszinierende Dokumente, die jede Menge Fragen aufwerfen, sondern auch nette Menschen, die dazu die Antworten liefern können.
Das Archiv, das ein eigener Verein ist, hat seinen Sitz in der Volkshochschule West und sieht genauso aus, wie man sich einen Ort vorstellt, an dem Erinnerungen bewahrt werden: hohe Regale mit prallen Leitz-Ordnern, Hängeschränke, die gut sortierte Zeitungsausschnitte bergen, und jede Menge Bücher füllen den Raum. Schatzmeister Christoph Beilfuß sichtet gerade gemeinsam mit seiner Frau Erika und Johann Eitmann einige Mappen aus einem Nachlass: amtliche Schreiben, kleine Prospekte, Briefe. Solche Spenden werden hier gerne angenommen und ebenso gerne gezeigt und erläutert.
Wer sich als Heimatforscher betätigt oder einfach nur ein paar Infos über die frisch bezogene Altbauvilla haben möchte, findet hier kenntnisreiche Ansprechpartner. „Es wäre doch Quatsch, diese Erinnerungen unsichtbar in Schränken und Schubladen zu bunkern“, sagt Beilfuß, „wir teilen unser Wissen gerne mit anderen.“
Richtig in Fahrt kann sich Beilfuß reden, wenn er über die vielen Veränderungen der vergangenen Jahre in den Elbvororten spricht. „Hier sind einige Klötze entstanden, die nicht in die Gegend passen. Und schöne Vorgärten gibt es kaum noch, dabei waren die hier mal die Visitenkarte.“
In längst vergangene Zeiten ziehen Fotos, Postkarten und Flurkarten den Betrachter. Ein paar Jahrzehnte ist es her, dass der Othmarscher Kirchenweg von reetgedeckten Katen gesäumt wurde. Neben der Walderseestraße plätscherte ein Bach, die Häuser der Waitzstraße hatten schmucke Vorgärten, und auf den noch viel weitläufigeren Grundstücken der „Villencolonie“ flatterte allenthalben die preußische Flagge. Doch die Vereinsmitglieder sind nicht im Gestern verhaftet. Längst haben sie Fotos und Karten eingescannt – die digitale Datenbank ist vorbildlich gepflegt.
Rund 3000 Bilder wurden inzwischen erfasst – zumeist alte Fotos oder Postkarten von Privathäusern, Gasthöfen, Handwerksbetrieben und Parks. Davon profitieren mittlerweile auch die Fahrgäste der Linie S 1. Denn oben auf dem Bahnsteig vermitteln überdimensionierte Repros die Entwicklung der Station „Othmarschen“ und ihrer Umgebung. Ganz ländlich, geradezu ausgestorben ging es damals rund um das heutige Block House an der Ecke Waitz- und Reventlowstraße zu, keine Spur von der Hektik unserer Tage.
Die Abgeschiedenheit der Gegend noch in den 1950er-Jahren verblüfft immer wieder neu. Westlich der Flottbeker Kirche lagen noch ausgedehnte Wiesen und Knicks, nördlich von Müllenhoffweg und Baron-Voght-Straße standen kaum Wohnhäuser. Immer wieder ist Christoph Beilfuß in den vergangenen Jahren mit der Kamera losgezogen, um die Veränderungen ganzer Straßenzüge zu dokumentieren. Manche Fotos längst abgerissener Villen und Bauernhöfe gibt es vermutlich nur noch hier – und der Archivverein ist damit so etwas wie das Gedächtnis der Elbvororte. Nie vergessen Beilfuß und Eitmann, ihren Besuchern den Appell mit auf den Weg zu geben: „Werft keine alten Dokumente weg, bringt sie lieber zu uns.“ Keller und Böden in der Gegend dürften noch prall gefüllt sein mit solchen Materialien, mutmaßt Johann Eitmann – viel zu schade für Papiertonne oder Reißwolf. Dank ihrer Hartnäckigkeit haben die Archivare viel Lesenswertes zusammengetragen. Dazu gehören Protokolle aus der Schule Röbbek oder die rund 100 Jahre alten Mitteilungen des „Grundeigentümer-Vereins der Villenanlage Groß-Flottbek“.
Ann-Katrin Martiensen, Vorsitzende des Bürgervereins, schaut auf einen Sprung vorbei. Ihr Vorgänger Manfred Walter ist mittlerweile einer der beiden Vorsitzenden des Tochtervereins. Für sie ist das Archiv „ein Vorbild an Bürgernähe“. Martiensen: „Ich glaube, dass niemand so viel über diese Gegend weiß wie die Menschen, die im Archiv wirken. Ein Besuch hier ist immer wieder ein Erlebnis.“