Viele bekannte Persönlichkeiten wurden auf dem Nienstedtener Friedhof beigesetzt. Vor 200 Jahren fand hier die erste Beerdigung statt. Am kommenden Wochenende gibt es „Tage der offenen Tore“.
Nienstedten. Er ist von Würde geprägt, von Frieden, Stille und altem Grün. Wer sich die Muße gönnt, mit offenen Augen über den Nienstedtener Friedhof zu schlendern, kann sich vom vergangenen, hanseatischen Geist inspirieren lassen. Auf dem Uferhang oberhalb der Elbchaussee haben namhafte Würdenträger, Reeder, Kapitäne und Pfeffersäcke ihre letzte Ruhe gefunden. Manche halten das Areal für den schönsten Friedhof Hamburgs.
Nicht nur durch ihre Verankerung auf Straßenschildern bleiben Persönlichkeiten wie der Reichskanzler Bernhard von Bülow, Baron Caspar Voght, der frühere Bürgermeister Nevermann, der preußische Minister Sieveking, die Schriftsteller Hans Henny Jahnn und Hubert Fichte oder die Volksschauspielerin Heidi Kabel unvergessen. Sie alle liegen in Nienstedten.
Die erste Beerdigung wurde vor 200 Jahren durchgeführt. Zu diesem Datum, für das der Begriff Jubiläum nicht so recht passt, organisiert die Nienstedtener Kirchengemeinde am kommenden Wochenende ein vielfältiges Programm, praktisch Tage der offenen Tore. Von Freitag bis Sonntag werden Führungen, Vorträge, Konzerte, Andachten, Gottesdienste und Lesungen zwischen den Grabstätten angeboten. Informationen von Friedhofsgärtnern, Steinmetzen und Bestattern, Speisen und Getränke sowie Attraktionen für Kinder runden das höchst lebendige Ereignis ab.
Wer mehr wissen will über eine Ruhestätte mit urhanseatischen Wurzeln wird in einem neu erschienenen Buch fündig: „Garten der Erinnerung“. Lesenswert wie informativ schildern die Autoren Hella Kemper und Tilmann Präckel in dem opulent bebilderten Werk auf 280 Seiten die Geschichte von 1814 bis heute. In einem Register sind die Namen Hamburger Persönlichkeiten gelistet, die in Nienstedten ewigen Frieden fanden. Bekannte Familien wie die Godeffroys, Hagenbecks, Jenischs, Oetkers, Reemtsmas oder Wesselhoefts sind nur Beispiele. Doch enthält der im Auftrag der Nienstedtener Kirchengemeinde herausgegebene Band aus dem Verlag Klaas Jarchow Media noch viel mehr. In wochenlanger Feinarbeit wurden die Namen aller hier beerdigten Menschen zusammengetragen. Acht Schülerinnen der Rudolf-Steiner-Schule hatten alle Hände voll zu tun – im wahrsten Sinn des Wortes: Teilweise mussten die Buchstaben auf verwitterten Grabsteinen ertastet werden. So konnten mehr als 6000 Namen aufgenommen werden.
5200 Grabstätten auf dem 10,5 Hektar großen Areal
Ein Faltplan weist den Weg durch das Labyrinth der 5200 Grabstätten auf dem 10,5 Hektar großen Areal. „Es handelt sich um einen lebendigen Friedhof“, so Autorin Hella Kemper. „Nicht selten spielen dort Kinder oder üben Radfahren.“ Die Journalistin aus der Redaktion von „Zeit Wissen“ hat die Grünanlage während ihrer fast zweijährigen Recherche schätzen gelernt. „Die alten Steine, die großen Hamburger Namen, die Blutbuchen und ausladenden Eichen beeindrucken mich immer wieder“, sagt sie, „ebenso wie die geheimnisvollen Mausoleen, die historische Grabmalkunst, das Rhododendron-Rondell oder die schmiedeeisernen Eingangstore.“
In Pfarrämtern, Kirchenkellern und Archiven wurden Dokumente aus fast vergessenen Zeiten Hamburger Geschichte zutage gefördert. Dazu zählen Originalurkunden, warum und wie es zur Gründung des Nienstedtener Friedhofs kam. Wie andernorts auch wurden die Grabstellen weg von den Wohngebieten verlegt. Dies lag an der wachsenden Einwohnerzahl, aber auch an der Hygiene. Altem Brauch gemäß wurden die Toten in der Regel direkt neben oder unter der Kirche beerdigt. Chroniken von damals ist zu entnehmen, dass es nicht selten einen strengen Geruch in den Gotteshäusern gab, den Besucherinnen mit einem duftenden Blumen- oder Gewürzsträußchen am Kragen bekämpften. Es sah hübsch aus und beruhigte die Nase.
Nun hätte das beschauliche dänisch-holsteinische Dorf Nienstedten ob der wenigen Einwohner eigentlich gar keinen eigenen Friedhof gebraucht, jedoch reichte das dortige Kirchspiel weit über den Ort hinaus: von Flottbek bis Wedel, von Lurup bis Schenefeld und im Süden bis Finkenwerder. Es bestand also Bedarf. Dennoch war anfangs nicht an einen Nienstedtener Friedhof zu denken, zu turbulent nahm die Geschichte ihren Lauf. Zwischen 1801 und 1803 wurde das Dörfchen von dänischen Truppen besetzt, 1808 von Franzosen und Spaniern erobert und 1813 von Kosaken befreit. 1814 herrschte endlich wieder Ruhe. Als einer der Ersten anno 1814 wurde der Schotte James Booth auf dem neu angelegten Gräberfeld im Alter von nur 42 Jahren zur ewigen Ruhe gebettet. Der Landschaftsgärtner hatte die Ländereien des Barons Caspar Voght in ein Mustergut verwandelt, zum Beispiel den heutigen Jenischpark, nach wie vor grünes Herz der Elbvororte. Der Adelige folgte seinem Meistergärtner 25 Jahre später.
„Die Grabplatten und ihre Inschriften erzählen eine Menge über Norddeutschlands Geschichte“, sagt Pastor Tilmann Präckel. So ruhen nicht nur Protestanten und Katholiken dort, sondern auch ein Muslim. Er war einst angestellter Gärtner und bleibt seiner Arbeitsstätte für immer verbunden. So war es sein letzter Wunsch.