Auf der Flohschanze, einem seit 14 Jahren rund um die alte Rinderschlachthalle angestammten Trödelmarkt, haben Sammler und Jäger Hochkonjunktur – immer sonnabends, das gesamte Jahr über.

Hamburg. Das Objekt der Begierde ist riesengroß und funkelt in der Sonne. Schlappe 75 Euro verlangt der Händler für einen Kronleuchter. „Schnäppchen“, nuschelt er in seinen Vollbart. Die junge Frau mit dem Schultertattoo ist reserviert. Die Transportfrage für das glitzernde Monstrum muss rasch geklärt werden.

Fünf Meter weiter stöbert ein mittelalter Mann mit Baskenmütze begeistert in „Brigitte“-Ausgaben der Jahrgänge 1966 und 1967. In zwei Plastiktüten hat er allen möglichen Krimskrams gebunkert. Auf der Flohschanze, einem seit 14 Jahren rund um die alte Rinderschlachthalle vis-à-vis des Heiligengeistfeldes angestammten Trödelmarkt, haben Sammler und Jäger Hochkonjunktur – immer sonnabends, das gesamte Jahr über.

Auch wer nicht gezielt sucht, sondern nur herumschnüffeln und diese turbulente Atmosphäre inhalieren will, kommt auf seine Kosten. Es gibt praktisch alles: Babybreiaufwärmmaschine, Großmutters ellenlange Dessous, mehr oder weniger antike Holzfiguren, Bildbände aus fast vergessenen Tagen, Ölgemälde.

Wie passend, dass sich auch Petrus in Höchstform präsentiert. In Form des leicht verfrühten Sommerwetters, aber auch in Gestalt von Petrus, einer genau sogenannten Flohmarktlegende. Das Original mit Rauschebart und Schirmmütze ist ein Urgestein der lokalen Hökergilde. Mit einem Post-Lieferwagen der Marke VW Fridolin durchkämmte Petrus werktags diverse Stadtteile, um das Warensortiment für die Märkte am Sonnabend aufzufrischen. Seitdem Sperrmüll nicht mehr am Straßenrand deponiert werden darf und nur noch auf Bestellung abgeholt wird, ist diese Gratisquelle versiegt.

Das Zauberwort der Trödelneuzeit heißt Haushaltsauflösung. Profis offerieren diesen Service meist kostenlos – mit der Hoffnung, zwischen Möbel und Gerümpel auf Raritäten und kleine Wunder zu stoßen. Das Prinzip Hoffnung fährt bei jedem Einsatz mit. Man weiß ja nie. Fast jeder auf der Flohschanze hat eine märchenhafte Geschichte auf Lager: Persönliche Sensationen und sagenhafte Schnäppchen, die nach Wiederholung lechzen, wundersame Episoden eines Lebens auf der Pirsch. So wie jene von einer kostbaren Marionette, die im Tausch gegen 30 Tuben Rasiercreme den Besitzer wechselte – nach intensivem Feilschen.

Am ungewöhnlichen Handel beteiligt war Roland Resag, eine Koryphäe der Trödlerszene. Der 58-jährige Marktspezialist ist den Reizen des Schacherns früh erlegen. Von Haus aus Diplom-Soziologe, der in 18 Semestern auch Lebenserfahrung studierte, gilt der Handelsmann als alter Hase erster Klasse. Auf einem vom Hamburger Abendblatt auf dem Fischmarkt organisierten Flohmarkt 1973 war der gebürtige Eppendorfer mit aktuellem Wohnsitz in Hamm erstmals mit einem kleinen Stand präsent. 1996 gründete er auf Kampnagel sein eigenes Unternehmen im Veranstaltungsgeschäft.

Seine Firma Marktkultur Hamburg, die er mit drei festen und acht freien Mitarbeitern betreibt, präsentiert heute rund 80 Ereignisse im Jahr. Neben der Flohschanze verfügen besonders der Kultur-Flohmarkt am Museum der Arbeit, das Straßenfest Eppendorfer Weg oder der Markt im Rahmen der Altonale über einen ausgezeichneten Ruf. Professionelle Händler mit drei Paar neuer Socken für vier Euro, Büstenhaltern aus Polen, gefälschten T-Shirts aus dem Südwesten Europas findet man dort nicht.

„Die Mischung muss stimmen“, weiß Roland Resag aus eigener Erfahrung. Höker wie Olaf, Jan, Horst oder Elke mit anständigem Trödel zum Teil aus Haushaltsauflösungen garantieren Betrieb wie Kunden rund ums Jahr.

Einzelkämpfer bringen die Würze. „Ob dick, ob dünn, ob arm, ob reicht, auf dem Flohmarkt sind sie alle gleich“, philosophiert Resag. Auf der Flohschanze, diesem Quartier- und Anwohnermarkt, beweist sich der Sinn höchst lebendig. Amateure zahlen zehn Euro je Meter, Profis 15 Euro. Plätze mit Zeltdach kosten drei Euro mehr. Dafür muss der Organisator Ordner, Reinigung und Müllentsorgung übernehmen.

Neben der Rinderschlachthalle tobt das Leben. Gut 100 Stände sind präsent. Die wilden Händler in den Seitenstraßen sind dem Veranstalter ebenso ein Ärgernis wie die städtische Auflage, pro Jahr und Bezirk sonntags nur noch viermal veranstalten zu dürfen. Fünf Firmen, darunter der Familienbetrieb Hochberg in Ahrensburg, teilen sich das Hauptgeschäft mit mehreren Hundert verschiedenen Märkten.

Am besten lässt sich das Gewusel der Flohschanze sitzend genießen: Vor dem rot geklinkerten Pförtnerhäuschen locken Sonnenplätze auf Bierbänken. Café Cortado, Weizenbier aus Baden und Tee aus frischer Minze und Ingwer kommen besser an als der unwirsche Wirt. „Antik- und Trödelmärkte sind mein Leben“, sinniert Roland Resag.

Internetforen wie Ebay hätten zwar „das beglückende Erlebnis des zufälligen Entdeckens begehrter Sammelstücke“ geraubt, der Reiz indes sei unverändert: „Wir bieten ein einmaliges Dorado für Glücksritter und Paradiesvögel.“