Als die halbe Stadt noch in den Betten liegt, starten Hamburgs wahre Helden trotz knallharter Silvesternacht mit Volldampf ins neue Jahr. Ihr Vorsatz: Mehr Sport machen und gesünder leben.
Othmarschen. Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Das weiß der Volksmund, das weiß auch Stefan Schulz. Trotz knallharter Silvesternacht mit lustvoller Umsetzung wirklich aller nur möglichen Laster hat der Kaufmann aus Groß Borstel seinem inneren Schweinhund den Kampf erklärt – konsequenter als je zuvor.
Wie immer also.
Trotz der Nachwehen eines strapaziösen Jahreswechsels hat er sich am frühen Neujahrsmorgen mit Ehefrau Tanja und Promenadenmischung Fiete aufgerafft Richtung Elbe, Kurs frische Luft: Volle Kraft voraus in ein neues, viel gesünderes Leben. Fassbier, Zigarillos, Zocken und mehrgängige Menüs sollen der Vergangenheit angehören. Dolce Vita, was ist das?
Fortan soll Askese Lebensmaxime sein. Kurz vor Mitternacht hatte ihm ein Freund einen frommen Wunsch gemailt: „Gib mir ein fettes Bankkonto und lass mich schlanker werden.“ Zusatz: „Hoffentlich wird beides nicht vertauscht – wie zuletzt.“
Wilbert Hirsch hat einen derart radikalen Neustart nicht nötig. Gemeinsam mit seiner Familie heißt der Musiker, Komponist und Chef der Audio Consulting Group mit Firmensitz am Dammtorwall und in New York 2014 mit einem strammen Spaziergang zwischen Blankenese und Teufelsbrück willkommen.
„Moin, du junger Tag!“, ruft er zur Begrüßung. Er bremst den Schritt und erzählt beim Weitergehen von guten Vorsätzen – und von einem Ritual kurz vor Toresschluss eines jeden Jahres. Dann pflegt sich Wilbert Hirsch mit Claudia, Kerstin, Matthias, Jobst, Oscar Finn, Greta Marie und acht weiteren Freunden und Kindern vor der Kajüte am Elbufer zu treffen.
Im Fackelschein lassen sie das Jahr Revue passieren und peilen frische Ziele an. Einige Erlebnisse, Erfahrungen und Wünsche werden auf Zetteln notiert, zerrissen dem Winde übergeben, verbrannt oder von einem Stein beschwert in den Fluss geschmissen. Konkrete Vorhaben fürs neue Jahr schicken sich die Teilnehmer selbst mit der Post zu. Zwölf Monate bleiben diese sehr persönlichen Schriftstücke verwahrt und verschlossen. Zu Neujahr gilt es dann, Bilanz zu ziehen. „Es ist eine Zeremonie mit sinnvollem Charakter“, weiß Hirsch. Er verabschiedet sich mit einem fröhlichen Tschüs.
Auch Talibe Mühlmann ist famos im neuen Jahr gelandet. Am Silvesterabend hat sie zu Hause in Blankenese zehn Freunde syrisch bekocht und anschließend auf Kampnagel bis in die Puppen auf dem Tanzparkett gefetzt. Erst um drei Uhr früh war Abpfiff. Im Bett war sie erst kurz vor fünf.
Was die 38 Jahre alte Friseurin keineswegs daran hindert, 2014 schwungvoll an den Start zu gehen. Auch wenn in ihrem Inneren böse Geister zur weiteren Bettruhe raten, setzt sie ihren Plan in die Tat um: Talibe ist erster Gast des neuen Jahres im Fitnesscenter Sportlife in der Paul-Ehrlich-Straße über den Dächern von Othmarschen direkt an der Autobahnabfahrt. Von frischem Elan beseelt, legt die lebenslustige Frau sofort los.
Rauf auf Laufband und Crosstrainer, ran an die Langhanteln. Und zum Ausklang entert sie nach einer guten Stunde eine Foltermaschine, die schnelles Treppensteigen simuliert. Im Duell wider den inneren Schweinehund ist Frau Mühlmann 1:0 in Führung gegangen.
Bevor die erste Gewinnerin dieses Jahres auf einen Salat und einen Fruchtsaftcocktail an der Coco-Beach-Bar des angeschlossenen Wellnessresorts Aqua-Fit auf der Sonnenseite konsequenter Fitness sitzt, berichtet sie von weiteren guten Vorsätzen. Englischunterricht, Schauspielschule, Umbau der eigenen Harley und mehr Konstanz im zwischenmenschlichen Bereich gehören dazu.
Nach und nach füllt sich das Studio. Offensichtlich dient der Neujahrstag als zusätzliche Motivation, von Anfang an gesund zur Sache zu kommen. Auf 2800 Quadratmetern sind mehr als 60 Hightech-Geräte aller Art großzügig untergebracht. Als Trainer steht der Diplom-Ernährungswissenschaftler Tim Wiemers bereit. Es wird gestrampelt, gestemmt, gelaufen und geklettert, dass der Schweiß in Strömen fließt. Für den faulen Betrachter besonders erstaunlich: gute Stimmung dominiert.
Einen Raum weiter sitzen Maike Balk, Fitnessleiterin der vier Sportlife-Center in Hamburg und Umgebung, mit ihrem Kollegen Marc Broczinsky beisammen, um zukünftige Aktionen zu initiieren und Pläne zu schmieden. Auf dem Programm stehen mehr alltagstaugliche, quasi ganzheitliche Bewegungsabläufe und weniger Belastung einzelner Muskeln. Das ist der Trend 2014.
Derweil andere andernorts noch schachmatt in Sauer liegen, legt auch Sascha Bade im separaten Übungsraum mit Volldampf los. Am sperrangelweit geöffneten Fenster haut er beim Spinning mächtig in die Pedale. Was für andere Folter wäre, bereitet dem Osteopathen mit eigener Praxis am Rödingsmarkt höchstes Vergnügen. Der Mann hat Kondition genug, trotz der Anstrengung Rede und Antwort zu stehen.
„Man kann Fitness nicht auf Vorrat kaufen“, weiß er. Nach dem Trimmfahrrad folgen Beinpresse, Stepper und ein Sandsack. Hut ab vor Neujahrshelden wie ihm!