Der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort eröffnet ein neues Schmerzzentrum für junge Patienten. Seit 30 Jahren ist der gebürtige Osnabrücker für junge Patienten im Einsatz.
Hamburg. In seinem Arbeitszimmer steht ein alter Kinderschreibtisch aus den 30er-Jahren. „Den habe ich auf dem Dachboden meiner Großmutter gefunden“, sagt Professor Dr. Michael Schulte-Markwort. „Schlicht und genial“, sagt er, während er zu dem Holztisch geht und vorführt, wie man die Höhe der Sitzbank verstellen kann. „Der wächst mit“, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater und lacht.
Seit fast zehn Jahren leitet Schulte-Markwort die Abteilung für Psychosomatik im Altonaer Kinderkrankenhaus (AKK) und ist Ärztlicher Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Bis auf den alten Schreibtisch erinnert nicht viel daran, dass hier täglich junge Patienten behandelt werden. Ein rosafarbener und ein hellblauer Stuhl, ein paar Bilderbücher, mehr nicht.
Schon daran erkennt man das Grundprinzip des Mediziners, dem es wichtig ist, seine Patienten, egal welchen Alters, genauso respektvoll zu behandeln wie Erwachsene. Aus diesem Grund spreche er auch immer zuerst mit den Kindern, natürlich in Anwesenheit der Eltern. „Es sind die Kinder, die ich behandeln soll, also muss ich zunächst ihre Sichtweise erfahren. Die Eltern sind oft erstaunt, wie differenziert ihre Kinder reden können“, sagt Schulte-Markwort.
Seit 30 Jahren ist der gebürtige Osnabrücker für junge Patienten im Einsatz. 15.000 Kinder und Jugendliche behandelte er in seiner bisherigen Laufbahn, rund 20 Psychotherapien pro Woche stehen aktuell in seinem Kalender. Die Zentren am AKK und UKE gehören zu den größten universitären Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychosomatik in Deutschland.
Warum er sich gerade für diesen Berufsweg entschieden hat, weiß der 56-Jährige ganz genau: „Bei Kindern kann man mehr bewirken als bei Erwachsenen.“ Ein weiterer Grund dafür, dass er seine Arbeit liebt, ist die Möglichkeit „zu spielen“. Viele der Behandlungsmethoden beruhen auf Rollenspielen, Stegreifspielen und sogenannten Begegnungen.
„Durch Spielen werden Dinge verarbeitet“, sagt der Mediziner, der auch in Psychodrama und Psychoanalyse ausgebildet ist und seit vielen Jahren in diesen Fachgebiet innovativ wirkt. Ein Beispiel dafür ist das Konzept Klinikschule. Es ermöglicht, dass Kinder und Jugendliche ihren Schulalltag während der Therapie aufrechterhalten können. Viele der Patienten müssen für mehrere Wochen stationär aufgenommen werden, professionelle Krankenhauslehrer kümmern sich in dieser Zeit um die schulische Ausbildung.
Ein weiteres Projekt, für das Schulte-Markwort gemeinsam mit Dr. Thomas Henne, dem Oberarzt der Pädiatrie, verantwortlich ist und das den beiden Männern sehr am Herzen liegt, ist die für diesen Monat geplante Eröffnung eines Schmerzzentrums am AKK. Allein im Norddeutschland leiden 10.000 Kinder unter Schmerzen, die oftmals psychosomatisch bedingt sind. Mit dem interdisziplinären Team von Pädiatern und Psychiatern im AKK können die jungen Patienten in Zukunft noch besser versorgt werden.
„Die Kinder, die zu uns kommen, leiden oft unter starken chronischen Kopfschmerzen oder schweren Bauchschmerzen, die jedoch keine organischen Ursachen haben“, erklärt der Wahlhamburger. Die meisten Patienten sind zwischen sechs und zwölf Jahre alt. „Oftmals haben sie bereits Untersuchungen bei diversen Fachärzten hinter sich und die Eltern sind mit ihrem Latein am Ende.“
Dass die Gründe für die Beschwerden psychosomatisch sind, ahnen viele Eltern zunächst nicht. Dabei sei dies gerade bei Kindern, ein weit verbreitetes Phänomen. „Jeder Mensch hat ein Organsystem, mit dem er auf Stimmungen reagiert. Seelische Geschehen ordnen Kinder oft dem Kopf oder dem Bauch zu“, sagt Schulte-Markwort. Beängstigend ist, dass heutzutage 25 Prozent aller Jugendlichen unter seelischen Belastungen leiden, rund die Hälfte der Fälle ist behandlungsbedürftig.
Eine Ursache für diesen Zustand, davon ist der renommierte Mediziner und Vater zweier Kinder überzeugt, sei der enorme Leistungsdruck, dem die Kinder und Jugendlichen heutzutage standhalten müssen. Lösen kann man dieses Problem nicht sofort, aber man kann beginnen es zu bekämpfen. Anfangen müsse man seiner Ansicht nach in der Schule, mit einer „Pädagogik des Gelingens“. „Ich möchte mich dafür einsetzen, dass die Regularien im Lehrplan der Schulen entrümpelt werden. Kinder sollten sich im Schulalltag hauptsächlich ihren Stärken widmen können“, fordert Schulte-Markwort.
Natürlich seien aber nicht ausschließlich die Lehrer dafür verantwortlich. „Der Leistungsdruck ist zu einer Art Zeitgeist geworden. Eltern und Kinder setzen sich oft selbst unter Druck.“ Den Kindern, die diesem Druck nicht standhalten können und deren seelische Belastungen sich durch körperliches Unwohlsein äußern, wollen Schulte-Markwort und sein Expertenteam in dem neu gegründeten Schmerzzentrum künftig noch mehr Aufmerksamkeit schenken. Zwischen fünf und zehn Patienten pro Woche erhalten momentan eine Schmerztherapie.
Hierbei handelt es sich um eine Kombination aus Verhaltenstherapie und Entspannungsübungen. Zudem sollen die Kinder mit Hilfe sogenannter Skills lernen, wie sie mit aufkommenden Schmerzen besser umgehen können. Medikamente werden hierbei so selten wie möglich eingesetzt.
Eines ist dem Professor im Umgang mit seinen Patienten besonders wichtig: „Kinder müssen ernst genommen werden, und man soll ihnen auf Augenhöhe begegnen.“ Das sei der Schlüssel zu einer vertrauensvollen Beziehung und somit auch der Schlüssel zu einer erfolgreichen Genesung.