Nachbarschaftstreff und Umsonst-Börse: Die Idee der “Tauschkiste“ macht's möglich und ist erfolgreich. Jeder kann etwas dalassen oder mitnehmen.

Hamburg. An der Kreuzung Chemnitzstraße und Virchowstraße steht eine schmale Holzhütte. Vorne ist sie offen, ein schräges Plastikdach schützt den Inhalt vor Wind und Wetter. Ein Mann mit langen Haaren und Sonnenbrille schleppt eine Tüte mit Büchern heran. Eines nach dem anderen nimmt er heraus und stellt es in das Regal, das in der Holzhütte steht. Es ist schon so vollgestellt, dass er die Bücher stapeln muss. Neben Büchern liegen noch Schuhe, Klamotten und eine Lichterkette im Regal.

Die Idee, die hinter der Holzbude steckt, nennt sich "Tauschkiste“. Jeder kann Sachen, die er nicht mehr braucht, abgeben und dafür neue mitnehmen. In der "Tauschkiste“ (auch Givebox genannt) gelten die Gesetzmäßigkeiten der Konsumgesellschaft nicht. Es ist auch möglich, nur zu nehmen, ohne etwas zu geben. Es gibt nur eine Regel: Die Dinge, die abgelegt werden, dürfen kein Müll sein. Nach dem Tauschkistenprinzip gibt es keinen Verwalter oder Besitzer. Die Box gehört allen.

Die erste Givebox soll es vor ein paar Jahren in Berlin gegeben haben. Von dort breitete sich das Tausch-Phänomen in ganz Deutschland aus: Die Boxen gibt es mittlerweile in München, Düsseldorf, Münster, Siegen und eben auch in Hamburg.

In der Chemnitzstraße funktioniert das Tauschen bestens. Die Box ist aufgeräumt, es liegt kein Müll herum, und die Blusen hängen auf Bügeln an einer Kleiderstange. Die 58-jährige Aynosr Yanmaz wirft täglich ein Auge auf den etwas anderen Secondhand-Markt. Ihrem Schwiegersohn gehört der Kiosk gegenüber. Von dort aus beobachtet sie oft, wie Leute einen neugierigen Blick in die Box werfen, etwas mitnehmen oder dalassen. "Die Regale sind immer gut gefüllt“, sagt sie.

Auch Yanmaz nutzt die Box: Manchmal legt sie etwas hinein, manchmal nimmt sie selbst etwas mit. Diesmal hat sie ein buntes Oberteil für sich entdeckt. Mit der neuen Errungenschaft in der Hand schwärmt sie von der Idee, gebrauchte Dinge nicht wegzuschmeißen oder zu verkaufen, sondern in der Nachbarschaft zu verschenken. Mit dieser Meinung scheint sie nicht allein zu sein. Eine "Kundin“ war so begeistert, dass sie einen Liebesbrief schrieb - an die Tauschkiste und die "Großstädter“, die sie benutzen. Die liebevoll gestaltete Botschaft schmückt nun die Innenwand.

Darüber wird sich wohl besonders Tobias Filmar freuen. Der gelernte Tischler und Psychologe ist der Initiator der Tauschkiste an der Chemnitzstraße. Für die Aktion "Hamburg bist du“ sucht der 33-Jährige immer wieder nach neuen Möglichkeiten, in Projektarbeit mit anderen gemeinnützige Dinge zu bauen.

Über eine Stadtteilzeitung suchte Filmar Paten für das Projekt. Auch ein privates Grundstück, auf dem die Tauschbox aufgestellt werden kann, musste gefunden werden. Beides fand er beim Wohnprojekt StattSchule, dessen Bewohner in einer ehemaligen Schule an der Virchowstraße leben.

Gemeinsam mit Schülern des Gymnasiums Allee an der Max-Brauer-Allee entwarf Filmar die Planungsskizzen für den Bau. Aus Holzresten zimmerten die Schüler aus zwei siebten und einer neunten Klasse die Tauschbox dann unter Filmars Anleitung.

+++ Streit um die Geschenke-Box in Altona +++

Die Holzhütte an der Chemnitzstraße ist eine von drei Tauschboxen in Hamburg. Generell werden sie gut angenommen. Probleme gab es nur an einem Standort. Im Herbst 2011 drohte der Box an der Langenfelder Straße das Aus. Sie war im öffentlichen Raum aufgestellt, und die Bezirksverwaltung lehnte den nachträglich gestellten Antrag für eine Sondernutzungserlaubnis ab. Als Grund nannte die Sprecherin des zuständigen Bezirksamts eine erhebliche Brandgefahr, die von solchen Holzboxen auf öffentlichen Flächen ausgehe. Außerdem habe sich an ähnlichen Beispielen gezeigt, dass solche Plätze dazu einladen, Müll abzuladen. Provisorisch hat ein Kioskbesitzer ganz in der Nähe die Givebox zu sich geholt. Sie steht jetzt vor seinem Geschäft an der Kreuzung von Langenfelder Straße und Arnkielstraße - auf Privatgelände.

+++ Tauschkiste am Paulinenplatz +++

An anderen Plätzen in Hamburg haben sich die Boxen etabliert. Die erste Box wurde wohl im September 2011 an der Ölmühle aufgestellt. Später kam eine weitere am Paulinenplatz dazu. Nach demselben Prinzip funktioniert auch der "Umsonst-Tisch“ auf dem Gerhard-Hauptmann-Platz. Er wurde im Rahmen des Occupy Camps aufgestellt.