Die Bewohner des Mehrfamilienhauses an der Eimsbütteler Straße sind im Schock. Nach der Brandnacht stehen sie vor dem Nichts - und trauern um die toten Nachbarn.

Altona-Nord. Als erstes war da dieser Brandgeruch, und Namik Babaev und seine Familie dachten, dieser käme aus der Küche. Dort war aber alles in Ordnung. Als der 38-Jährige Familienvater am Abend des Feuers die Tür zum Hausflur öffnete, konnte er gar nichts mehr sehen, weil das Treppenhaus bereits schwarz war und voller Rauch. „Es war schrecklich, überall war Rauch, sagt Noorana Babaeva, die 19-Jährige Tochter. Dass Vater Babaev nicht in den voll gequalmten Hausflur getreten ist, sondern gemeinsam mit seiner Frau und seinen drei Kindern im Kinderzimmer in der zweiten Etage ausgeharrt und auf die Feuerwehr gewartet hatte, hat der Familie wohl das Leben gerettet. Einen Tag nach dem tödlichen Feuer ist die Familie aus Aserbaidschan zu dem Haus an der Eimsbütteler Straße 75, das einmal ihr Zuhause war, zurückgekehrt. Es riecht verkohlt, auf der Erde vor dem Haus liegen ein paar Tulpen, es brennt eine Kerze – vermutlich von Anwohnern dort hingelegt.

„Wir saßen im Kinderzimmer und haben uns Tücher vor den Mund gehalten, weil der Qualm so beißend war“, sagt Noorana Babaeva. „Meine kleine Schwester hat geschrien vor Angst.“ Ihr Deutsch ist sehr gut. Normalerweise wäre sie jetzt im Unterricht an der Kurt-Tucholsky-Stadtteilschule, wo sie in die 12. Klasse geht. Aber die Nacht war zu kurz, das Erlebte zu schockierend. An Lernen und Alltag ist nicht zu denken. Erst war die Rede von einem technischen Defekt als Brandursache, und nun ermittelt die Polizei wegen Brandstiftung. „Das macht für uns einen großen Unterschied“, sagt Noorana Babaeva. „Wer könnte es denn gewesen sein?“, fragt sie sich. Streitereien habe es nicht gegeben.

Seit zehn Jahren kein Feuer mit Toten

Nachdem die Feuerwehr innerhalb kurzer Zeit eintraf und die Familie und die anderen Hausbewohner über Leitern aus den Fenstern gerettet hatte, mussten Noorana Babaeva und die anderen ins Kinderkrankenhaus nach Altona zur Untersuchung. Noorana hat noch eine neunjährige Schwester und einen 17-Jährigen Bruder. Da ihre Mutter Meherziban, 40, außerdem eine Lungenentzündung hat, ging es in der Nacht noch zur Untersuchung ans Universitätsklinikum Eppendorf. Um drei Uhr am Morgen konnten sie bei einem Onkel in Steilshoop ein wenig Nachtruhe finden. „Unsere Kleidung, unsere Papiere, alles ist vom Löschwasser zerstört“, sagt Vater Namik. Am frühen Nachmittag stand am Donnerstag noch ein Termin beim Bezirksamt Altona an, um zu erfahren, wie es weitergeht. Immerhin: Die Familie ist in einer Notunterkunft untergebracht worden, die sie am Nachmittag beziehen konnte. Die Familie hatte Glück und blieb unverletzt.

„Wir hatten in den vergangenen zehn Jahren kein Feuer mehr mit Toten“, sagt Martin Schneider von der Feuerwehr. „Die Stimmung an der Einsatzstelle war sehr bedrückend. Noch in der Nacht waren die Kollegen beim Notfallseelsorger.“

In dem grünen und etwas heruntergekommenen Mehrfamilienhaus sind nach Angaben des Trägers „fördern und wohnen“ 46 Menschen, überwiegend Asylbewerber und Flüchtlinge mit unterschiedlichen Aufenthaltsstatus untergebracht. „fördern und wohnen“ hat das Haus seit 2010 von einem privaten Eigentümer angemietet, ebenso die Häuser im Hinterhof, so dass es an der Eimsbütteler Straße 129 Plätze für Flüchtlinge gibt. Auch in den Jahren zuvor hatte der Bezirk Altona das Haus seit 1987 ebenfalls für die Unterbringung von Flüchtlingen angemietet. Schon einmal habe es dort gebrannt. Über die Ursache damals konnte die Sprecherin des Bezirksamtes Altona keine Angaben machen.

Vater der Kinder war nicht in der Wohnung

Da das Haus momentan nicht bewohnbar ist, mussten schnell alternative Wohnräume für die Bewohner gefunden werden. Das hat geklappt: „Wir haben alle Bewohner in anderen Unterkünften unterbringen können“, sagt Christiane Schröder, Sprecherin von „fördern und wohnen“. Sie geht davon aus, dass die Wohnungen nach der Sanierung des Hausflures wieder bewohnbar sind. „fördern und wohnen“ kümmert sich nicht um die Instandsetzungen am Haus, das mache der Eigentümer. Zwei Mitarbeiter von „fördern und wohnen“ betreuen die Bewohner an der Eimsbütteler Straße, sie machen Hausbesuche und sind telefonisch erreichbar.

Am Abend des Feuers waren zahlreiche Bewohner im Haus. 27 von ihnen wurden laut Polizei verletzt. 15 kamen ins Krankenhaus, die meisten von ihnen sind wieder entlassen. Für die beiden Kinder (sechs und sieben Jahre alt), die Rettungssanitäter leblos aus dem Haus getragen hatten und für ihre 33-Jährige Mutter, die aus Pakistan nach Hamburg gekommen war, konnten die Notärzte nichts mehr tun. Der Ehemann und Vater der Toten kam während der Löscharbeiten zum Brandort. Er war zum Zeitpunkt des Feuers nicht in der Wohnung gewesen.

Die beiden verstorbenen Jungen Rahman und sein jüngerer Bruder Daniel waren nur ein paar Schritte entfernt in die Vorschule und in die erste Klasse der Grundschule Arnkielstraße gegangen. Lehrer, Mitschüler und Eltern dort sind tief betroffen, viele haben am Morgen in der Schule geweint. „Es hat sie heftig erwischt“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Ein Kriseninterventionsteam aus Psychologen hat die Schule gleich am Donnerstagmorgen aufgesucht. Sie werden auch in der nächsten Zeit bereit stehen, denn häufig zeigen sich Schock und Trauer der Kinder erst Tage später.

„Durch ein verqualmtes Treppenhaus zu flüchten, ist fast unmöglich“

Das Unglück der Asylbewerber geht auch den Nachbarn sehr nah. „Wir haben mit ihnen nie Probleme gehabt, die Unterkunft war gar kein Thema“, sagt Nachbar Günther von der Heide, 66. „Ich bin sehr schockiert und wüsste nicht, ob ich mich in einem Brandfall richtig verhalten würde.“ Pastorin Vanessa von der Lieht von der Kirchengemeinde Altona-Ost, ist an diesem Morgen gleich vorbeigekommen und hat ein paar Tulpen vor dem Haus niederlegt. „Ich kenne die Bewohner nicht persönlich, aber ich wohne hier in der Straße.“

Bitter ist auch die Erkenntnis, das vermutlich Panikreaktionen zu der Tragödie geführt haben. „Durch ein bereits stark verqualmtes Treppenhaus zu flüchten, ist fast unmöglich“, sagt Feuerwehrsprecher Martin Schneider. Versuche der Feuerwehrakademie ergaben, dass man selbst aus dem ersten Stock kaum eine Chance hat, den Ausgang zu erreichen. Man sollte mit nassen Handtüchern und Decken Türschlitze abdecken“, sagt Schneider. Eine durchschnittliche Wohnungstür hielte gute 20 Minuten einem Feuer oder auch einem Hitzestau stand. „Dringt doch Rauch in die Wohnung ein, sollte man sich an das offene Fenster begeben und auf sich aufmerksam machen.“ Hamburg verfügt über ein gutes Rettungssystem. In der Eimsbütteler Straße trafen die ersten Einsatzkräfte am Mittwochabend nach vier Minuten mit zehn Einsatzkräften ein, weitere vier Minuten später waren 38 Helfer vor Ort.

Als am Donnerstag Brandermittler den Tatort untersuchten, waren sie auch in einer Wohnung, bei der die Eingangstür während des Feuers geschlossen geblieben war. Im Badezimmer hingen Handtücher. Der gefährliche Rauch war bis dahin nicht vorgedrungen. „Die Handtücher“, sagt eine Polizistin, „waren noch blütenweiß.“