Professor Thomas Straubhaar über seine Begegnungen mit dem Alt-Bundeskanzler, dessen Schuldenpolitik und Verdienste um Europa.
Helmut Schmidt legte als Kanzler besonders großen Wert auf die ökonomische Entwicklung national wie international. Der frühere Chef des Hamburger Wirtschaftsinstituts HWWI, Volkswirtschafts-Professor Thomas Straubhaar, spricht im Abendblatt über Schmidts ökonomisches Vermächtnis.
Herr Professor Straubhaar, sind Sie Helmut Schmidt einmal persönlich begegnet?
Thomas Straubhaar: Ja, ich habe ihn an der nach ihm benannten Universität der Bundeswehr gesehen, an der ich gelehrt habe. Dort hat Helmut Schmidt mehrmals Vorträge gehalten. Zudem hatte ich das Vergnügen, mit ihm ein längeres Vieraugengespräch zu führen, als es um das Helmut-Schmidt-Stipendium der „Zeit“-Stiftung ging, um das ich mich beworben hatte und das ich schließlich auch bekam.
Was war Ihr Eindruck von Helmut Schmidt in diesem Gespräch?
Er hatte die Aura eines großen Staatsmannes. Ich hatte gewaltigen Respekt vor ihm und seiner Lebensleistung. Er ist so weit in der Welt herumgekommen, kannte unzählige wichtige Menschen und besaß einen riesigen politischen und ökonomischen Erfahrungsschatz, von dem man auch in einem Gespräch, wie ich es hatte, profitieren konnte. Zudem bin ich ihm natürlich auch sehr dankbar, dass ich mithilfe seines Stipendiums eine sehr interessante und spannende Zeit in den USA verbringen durfte.
Was ist aus Ihrer Sicht Helmut Schmidts größtes ökonomisches Vermächtnis?
Er hat zusammen mit dem früheren französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing vor allem die europäische Einheit vorangetrieben. Ohne das Engagement dieser beiden Staatsmänner wäre die über Jahrhunderte gewachsene tiefe Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland vielleicht heute noch nicht überwunden. Und die neue Freundschaft der beiden Nationen war letztlich die Grundlage für den Frieden und Wohlstand, welchen wir heute in Europa genießen dürfen. Zudem war Schmidt ja auch ein Krisenkanzler. Man sollte nicht vergessen, dass er Deutschland durch sehr schwierige politische und ökonomische Zeiten mit einer hohen Arbeitslosigkeit geführt hat ...
Die Lebenslinie von Helmut Schmidt
... und dafür die Neuverschuldung deutlich nach oben getrieben wurde. Die Nettokreditaufnahme des Bundes schnellte in seiner Amtszeit von 9,5 Milliarden auf 40 Milliarden D-Mark in die Höhe. War Schmidt aus Ihrer Sicht ein Schuldenkanzler?
Diese Bezeichnung würde ihm nicht gerecht werden. Er hat in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit die Verschuldung ausgeweitet, was ja auch durchaus über einen kurzen Zeitraum Sinn machen kann. Seine Nachfolger haben allerdings den Schuldenberg in ökonomisch besseren Zeiten nicht wieder abgetragen. Das ist der Kardinalfehler in der Schuldenpolitik nahezu aller Staaten.
Von Schmidt stammt das etwas verkürzt wiedergegebene Zitat: Fünf Prozent Inflation sind mir lieber als fünf Prozent Arbeitslosigkeit. Bei dieser Aussage müssen Ihnen als eher liberalem Volkswirtschaftsprofessor doch die Haare zu Berge stehen.
Heute wissen die Volkswirte, dass man sich durch eine expansive Geldpolitik keine sinkenden Arbeitslosenzahlen erkaufen kann. In den 1970er- und 1980er-Jahren gab es dagegen andere Auffassungen. Zudem musste Schmidt als SPD-Kanzler auch Rücksicht auf die Meinung in seiner Partei nehmen, die damals eben Inflation als ein kleineres Übel als Arbeitslosigkeit ansah.
Spielen Helmut Schmidts ökonomische Ansichten eigentlich heute in Ihren Vorlesungen noch eine Rolle?
Sein Zitat zum Zusammenhang von Inflation und Arbeitslosigkeit verwende ich tatsächlich immer mal wieder, um die Mechanismen zwischen Geld- und Realpolitik zu erläutern.
Welchen Rang genießt Helmut Schmidt mit Blick auf sein ökonomisches Vermächtnis, vergleicht man ihn mit den anderen Bundeskanzlern?
Er hatte sicherlich mit den höchsten ökonomischen Sachverstand. Ludwig Erhard stand für das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit, Gerhard Schröder für einschneidende soziale Reformen, Helmut Kohl war der Kanzler der Einheit – und Schmidt war eben der Regierungschef, der die europäische Integration unumkehrbar vorangetrieben hat. Zudem hat er so früh wie kaum ein anderer westeuropäischer Staatsmann die Bedeutung Chinas und Indiens für den Welthandel erkannt.
Hat er bei seinem Blick auf den Handel mit China nicht zu einseitig auf den ökonomischen Profit geschaut und die Menschenrechtsverletzungen außer Acht gelassen?
Ich glaube nicht, dass Schmidt die Menschenrechtslage in China egal war. Aber Schmidts Ziel war es aus meiner Sicht, dass man Staaten, in denen Autokraten herrschen, durch einen intensiven Handel verändern kann. Denn erst wenn der Handel mit dem Westen ausgebaut wird und die Bevölkerung in China, Russland oder in anderen autokratisch geführten Ländern so zu mehr Wohlstand gelangt, kommt es letztlich auch zu demokratischen Veränderungsprozessen in den jeweiligen Staaten. Wandel durch Wohlstand – dieser Formel wird Schmidt meiner Meinung nach im Kopf gehabt haben. Und ein Blick in die Geschichte nach Helmut Schmidt mit dem friedlichen Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks zeigt ja auch, dass diese Formel richtig war.