Hamburg. Die Ehe der Schmidts rührte die Deutschen. Am Ende hatte die Wirklichkeit den Mythos fast eingeholt, glaubt Biograf Reiner Lehberger.

Helmut Schmidt mag in seinen letzten Lebensjahrzehnten der große Welterklärer der Deutschen gewesen sein und der populärste Ex-Kanzler ohnehin – aber nur zusammen mit seiner Ehefrau Loki erreichte er die Herzen der Menschen. Die Zugewandtheit und vertraute Zuneigung, mit der sich das Paar begegnete, rührte die Deutschen, wenn es nicht allein schon die schiere Dauer der 68 Jahre währenden Ehe getan hätte. Loki schien den manchmal knurrig wirkenden Sozialdemokraten zugänglicher zu machen, menschlicher. Zusammen waren sie, wie Biograf Reiner Lehberger in seinem gerade erschienenen Buch zutreffend schreibt: „Ein Jahrhundertpaar“. Und das trotz mancher Krisen und Tiefen.

Ein Vorzeigepaar: In ihr Haus am Neuberger Weg luden die Schmidts oft auch die Medien ein.
Ein Vorzeigepaar: In ihr Haus am Neuberger Weg luden die Schmidts oft auch die Medien ein. © HA | imago stock&people

Vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten wurde ihre Beziehung fast schon zu einem Mythos. „Zu sehen, wie vertraut sie miteinander waren, mit welcher Wertschätzung sie einander begegneten und wie liebevoll sie sich um­einander gekümmert haben, hat mich selbst bewegt“, sagt Lehberger, der Loki Schmidt 1995 durch ein Ausstellungsprojekt kennenlernte und später mit beiden befreundet war.

Wie ihm ging es vielen, und dies trug zu dem Mythos bei, den die Schmidts allerdings auch selbst kräftig beförderten. Beide sprachen viel über die Beständigkeit ihrer Ehe und luden die Medien zu sich nach Hause ein. Auf die lange Gemeinsamkeit und ihre Präsenz in der Öffentlichkeit – nicht zuletzt durch ihre zahlreichen Bücher – waren sie stolz. Sein Ansehen als „klügster Deutscher“ und ihre zunehmende Anerkennung als Biologin verstärkten einander – und ihre beeindruckende Beziehung als Paar befeuerte ihre gemeinsame Popularität noch weiter. „Um die Jahrtausendwende herum gab es wohl kein ähnlich populäres Paar in Deutschland“, so Lehberger.

Eine lange gemeinsame Entwicklung über Jahre hinweg

Auf den 350 Seiten seines Buches spürt der Pädagogikprofessor, der bereits eine Biografie über Loki verfasst hat, dem Geheimnis des Erfolgs dieser Ehe nach. Was war es, das die Schmidts zusammenhielt, und – so schien es – dazu noch glücklich? Zunächst einmal, glaubt Lehberger, war es die lange gemeinsame Entwicklung über Jahrzehnte hinweg – auch mit den vielen zusammen durchgestandenen Krisen, vom frühen Verlust ihres Sohnes Helmut Walter bis hin zu schwierigen Entscheidungen während der Zeit des RAF-Terrors.

Familienglück: Das Paar mit Tochter Susanne, die 1947 zur Welt kam. Sohn Helmut war 1945 gestorben.
Familienglück: Das Paar mit Tochter Susanne, die 1947 zur Welt kam. Sohn Helmut war 1945 gestorben. © imago/Sven Simon | imago/Sven Simon

Auch verband die Schmidts viele echte gemeinsame Interessen: Kunst und Musik, das Schachspiel, die Liebe zur Natur, das Haus am Brahmsee und „ein kleiner Kreis essenziell wichtiger Freunde“, allen voran Friedel und Willi Berkhan, so Lehberger. Hinzu kamen das politische Engagement, das beiden wichtig war; die Erfahrungen in Lokis sozialistischem Elternhaus, die beide prägten. Der Einsatz für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität gehörte für beide zu den Leitlinien ihres Lebens. Sie hätte sich keinen Mann vorstellen können, der sich nach Nationalsozialismus und Krieg nicht für einen demokratischen Wiederaufbau des Landes eingesetzt hätte, sagte Loki Schmidt einmal.

Wenn es politischen Dissens gab, blieb der hinter verschlossenen Türen. Öffentlich unterstützte Loki Schmidt ihren Mann in all seinen Positionen. Und sie profitierten voneinander: Er gewann an sozialer Kompetenz und kam mit neuen Themenfeldern in Berührung, sie erhielt durch seine Ämter Gelegenheiten, beispielsweise zu Forschungsreisen, die sie sonst nie erhalten hätte. „Sie wussten, dass sie aus der Stärke des anderen eine Bereicherung für sich selbst gewannen“, so Lehberger.

Große Bühne: die Schmidts mit dem amerikanischen Präsidentenpaar Nancy und Ronald Reagan.
Große Bühne: die Schmidts mit dem amerikanischen Präsidentenpaar Nancy und Ronald Reagan. © imago/bonn-sequenz | imago stock&people

Innerhalb von fünf Tagen ein Liebespaar

Es war wohl so: Sie gehörten zusammen – jenseits von Romantik und Leidenschaft. Kameradschaftlich begann ihre Beziehung in den gemeinsamen Schultagen an der Lichtwarkschule, und so blieb es zunächst auch. Erst Anfang 1941 – Helmut war in Berlin, Loki in Bayern – begannen sie, sich Briefe zu schreiben, und sie verabredeten sich für den Sommer in Berlin. „Dort wurden sie innerhalb von fünf Tagen zum Liebespaar und versprachen einander die Ehe“, sagt Lehberger. Dabei schwang nach seiner Überzeugung das mit, was viele Kriegsehen prägte: sich im Angesicht der existenziellen Bedrohung eines Halts zu vergewissern. Loki gab Helmut einen Ring mit, und sie verabredeten, nachts, wenn sie in die Sterne schauten, aneinander zu denken.

Am Tag vor ihrer Hochzeit: Helmut Schmidt – damals Soldat – mit Loki Glaser.
Am Tag vor ihrer Hochzeit: Helmut Schmidt – damals Soldat – mit Loki Glaser. © Imago | imago stock&people

Lehberger war den Schmidts freundschaftlich verbunden, bemüht sich in seinem Buch dennoch um kritische Distanz. Und so spart er auch die Probleme der Schmidts nicht aus, die „tiefe Ehekrise“ in den 1960er-Jahren. Helmut Schmidt hatte bis in die 90er-Jahre mehrere Affären, aber wohl nur eine von ihnen hatte wirklich Bedeutung – dafür allerdings große. 1966 enthüllte der „Stern“, dass Schmidt seit Jahren eine außereheliche Beziehung zur 18 Jahre jüngeren Hamburgerin Helga R. hatte, die zunächst noch mit einem Freund Schmidts verheiratet gewesen war.

Sie ließ sich scheiden und hoffte wohl auf eine Zukunft mit dem SPD-Politiker. Spätestens im Frühjahr 1964 wird Loki Schmidt von der Affäre ihres Mannes gewusst haben, glaubt Lehberger. Es beginnt „eine nicht leichte Zeit“ in ihrem Leben, wie sie später selbst sagt. Sie fühlt sich schlecht, körperlich wie seelisch.

Eine Beziehung zu einer anderen Frau

Schmidt selbst hat die Beziehung zu Helga R. am Ende seines Lebens überraschend noch einmal öffentlich thematisiert, in seinem letzten Buch „Was ich noch zu sagen hätte“. Er schrieb: „Ich hatte eine Beziehung zu einer anderen Frau.“ Loki habe ihm „Ende der 60er-oder Anfang der 70er-Jahre die Trennung angeboten“, er sei fassungslos gewesen, habe die Dramatik für Loki aber wohl unterschätzt. „Es war in meinen Augen eine ganz und gar abwegige Idee“, notierte er. Dieses völlige Unverständnis für ihr Angebot habe Loki treffend als Zeugnis seiner „Treue zu ihr“ gewertet. „Damit war die Ehekrise schon wieder aus der Welt.“

Doch aus der Welt war sie wohl ganz und gar nicht. Schmidt besuchte Helga R. weiterhin regelmäßig, auch nachdem sie 1974 nach Hartenholm gezogen war. Im Bundestagswahlkampf 1976 sei sie bei kleineren Wahlveranstaltungen dabei gewesen. Irgendwann in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre sei die Beziehung dann wohl beendet worden, so Lehberger. Welche Bedeutung diese andere Frau für Schmidt hatte, zeige sich aber auch daran, dass der frühere Kanzler noch bei ihrer Beerdigung im April 2012 auf dem Ohlsdorfer Friedhof dabei war.

Die Lebenslinie von Helmut Schmidt

 

* 23. Dezember 1918

1918

23.12. Helmut Heinrich Waldemar Schmidt wird in Hamburg als Sohn des Studienrats Gustav Schmidt und seiner Gattin Ludovica im Krankenhaus an der Finkenau geboren.

1925

Helmut Schmidt kommt in die Volksschule an der Wallstraße.

1933

Helmut Schmidt erfährt, dass sein leiblicher Vater Halbjude ist – behält dieses Wissen aber bis 1984 für sich.

1936

Schmidt fliegt aus der Hitlerjugend, weil er den Wunsch nach Freiheit an eine Wand malt.

1937

März Abitur an der Lichtwarkschule in Winterhude; Wehrdienst in Bremen-Vegesack

1939

Feldwebel der Reserve zur Luftverteidigung Bremens

1940

Leutnant der Reserve

1941

Offizier an der Ostfront mit Belagerung Leningrads

1942

27. Juni. Helmut Schmidt heiratet Hannelore („Loki“) Glaser (1919–2010). Die kirchliche Trauung findet am 1. Juli 1942 in der St.­-Cosmae­-und­-Damiani-Kirche zu Hambergen statt.

1944

26. Juni. In Bernau wird Sohn Helmut Walter geboren. Er stirbt dort am 19. Februar. 1945 Zuschauer der Schauprozesse gegen die Widerständler des 20. Juli.Helmut Schmidt wird von wohlmeinenden Offizieren an die Westfront versetzt, um ihn vor Ermittlungen wegen Wehrkraftzersetzung zu schützen.

1945

April bis August Kriegsgefangenschaft.Schmidt wird SPD­-Mitglied.Schmidt beginnt sein Studium der Volkswirtschaftslehre sowie Staatswissenschaft.

1947

Helmut Schmidt wird Vorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS).8. Mai. Tochter Susanne wird geboren.

1949

Karl Schiller holt Schmidt in die Behörde für Wirtschaft und Verkehr.

1952

Leiter des Amtes für Verkehr

1953-1962

Mitglied des Deutschen Bundestages

1958

März. Helmut Schmidt wird nach Gründung der Bundeswehr zum Hauptmann d. R. befördert. Im Oktober/November 1958 nimmt er an einer Wehrübung in der „Iserbrook­Kaserne“ teil; noch während der Übung wird er mit der Begründung, er sei ein Militarist, kurzfristig aus dem Vorstand der SPD­Bundestagsfraktion abgewählt.

1961

13.12. Senator der Polizeibehörde (später Innensenator)

1965

erneut Mitglied des Deutschen Bundestages (bis 1982)

1966

Kampfabstimmung um den SPD-Landesvorsitz: Schmidt unterliegt Paul Nevermann mit 139 zu 176 Stimmen.

1967

Vorsitzender der SPD-­Bundestagsfraktion (bis 1969)

1968

vierwöchige Reise mit der Familie durch Osteuropa

1972

7. 7. Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen als Nachfolger von Karl Schiller; nach der Bundestagswahl nur Finanzminister

1974

16. Mai. Wahl zum Bundeskanzler

1975

Zusammen mit Giscard d’Estaing ruft Schmidt den Weltwirtschaftsgipfel ins Leben.

1978

6. Mai. Staatsbesuch in Langenhorn: Leonid Breschnew besucht Schmidt zu Hause.

1981

13. Oktober. Helmut Schmidt wird ein Herzschrittmacher eingesetzt. Zuvor musste er zweimal wiederbelebt werden.

1982

1.10. Helmut Kohl wird Nachfolger von Helmut Schmidt.

1983

Schmidt wird Hamburger Ehrenbürger.Schmidt wird Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“.

1993

Helmut Schmidt ist Mitbegründer der Deutschen Nationalstiftung.Die Helmut und Loki Schmidt Stiftung wird gegründet.

2009

Januar. In Hamburg feiern 400 Ehrengäste den 90. Geburtstag des Staatsmanns – darunter Valéry Giscard d’Estaing, Henry Kissinger und Richard von Weizsäcker.12. Oktober. Loki Schmidt wird Ehrenbürgerin.

2010

21. Oktober. Loki Schmidt stirbt.

2011

Helmut Schmidt tritt im Bürgerschaftswahlkampf für Olaf Scholz auf.

 

† 10. November 2015

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Eine Ehe mit verschiedenen Phasen

Nach Schmidts Bekenntnis zu Loki – und trotz manchen Getuschels in der Öffentlichkeit – hielt seine Frau an der Ehe fest, mochte sie aber nicht mehr als Fernbeziehung führen. Als Schmidt 1969 Verteidigungsminister wurde, zog sie nach Bonn. Denn für Loki war Helmut „mein Zuhause.“ Dennoch: „Über lange Jahre war die Beziehung gefährdet, und es ist vor allem dem Entschluss Loki Schmidts, damit leben zu können, zuzurechnen, dass die Ehe nicht aus­einandergegangen ist“, so Lehberger. Im Gespräch mit ihm selbst habe Schmidt einmal unterschieden zwischen der Liebe seines Lebens – Loki – und „Leidenschaften, die es gab“.

War die Ehe unterm Strich also glücklich? „Es war eine Ehe mit verschiedenen Phasen“, sagt Lehberger. Im Alter von 85 Jahren wurde Loki Schmidt in einem Interview gefragt, ob sie sich ein Leben ohne Helmut vorstellen könne. Sie schwieg lange und sagte dann: „Nun nicht mehr.“ Außer Frage steht für Lehberger, dass die beiden eine „sehr geglückte Altersbeziehung“ gelebt haben. Und vielleicht bestehe das Geheimnis glücklicher Ehen eben auch darin, meint der Autor, das Positive zu bemerken, das Gemeinsame zu stärken und in schwierigen Phasen nicht gleich auseinanderzugehen. „Am Ende zählt der Schluss“, zitiert Lehberger eine Freundin des Paares. Und am Ende, so glaubt er, hatte die Wirklichkeit den Mythos von Loki und Helmut Schmidt als „Jahrhundertpaar“ fast eingeholt.