Dieser Film über den Völkermord an den Armeniern ist ein Western, ein Epos, ein Melodram, ein Abenteuer- und Reisefilm. Nur das, was wir von einem „Genozidfilm“ erwarten, bedient Fatih Akins neues Werk nicht. Es beginnt mit der Schrifteinblendung „Es war einmal...“. Dies ist keine Geschichtslektion, keine Schuldaufarbeitung. Dies ist die pure Lust am Kino.
Fatih Akin hat für „The Cut“ überall gedreht, in Jordanien, in Kanada, auf Kuba und Malta und sogar in Berlin, nur nicht in der Türkei, wo der Paragraph 301 („Verunglimpfung des Türkentums“) noch vor kurzem auf jeden angewandt wurde, der von „Völkermord“ an den Armeniern zu sprechen wagte. Kein türkischer Hauptdarsteller spielt den Helden Nazaret, sondern der Algerienfranzose Tahar Rahim. Der Druck auf dem Projekt war enorm, und so wurde er lange als „Western“ getarnt. Als ruchbar wurde, worum es sich wirklich handelt, trafen die befürchteten Morddrohungen ein.
Vor diesem Hintergrund, spricht aus dem, was Akin auf die Leinwand bringt, eine gehörige Portion Mut. Wir sehen, wie Nazaret mitten in der Nacht abgeholt wird, wie er monatelang mit armenischen Leidensgenossen in der Wüste unter scharfer Bewachung Straßen baut, wie eines Tages türkische Soldaten auftauchen und den Gefangenen auf Befehl die Kehlen aufschlitzen. Der für ihn vorgesehene Schlächter sticht aber nur in den Hals und verhilft ihm später sogar zur Flucht. Nazarets Suche nach seinen beiden Töchtern kann beginnen. Er überlebt Geröllwüsten und schlüpft durch Grenzkontrollen, er nimmt in Syrien die Spur seiner Töchter wieder auf und schmuggelt sich auf einen Dampfer nach Kuba, er schlägt sich durch Floridas schwüles Unterholz und erträgt den beißenden Winter von Nord-Dakota.
Man kann nicht behaupten, der Grauen des Genozids werde ausgespart. Akin erlaubt es sich lediglich, ihn auf eine Weise darzustellen, die den Konventionen des Genozid-Films zuwider läuft. Da mag eine Portion Rücksichtnahme auf die Heimat seiner Familie mitgespielt haben, die entscheidende Frage lautet jedoch, ob die Darstellung dem „Aghet“ (wie Armenier ihre nationale Katastrophe nennen) angemessen ist.
„The Cut“ ist, verglichen mit „Gegen die Wand“ oder „Auf der anderen Seite“, die einen mit ihrer komplexen Struktur immer auf Distanz hielten, eine Einladung, sich in diesen Film fallen zu lassen, ein altmodisches Stationen-Epos.
„The Cut“ D/F u.a. 2014, 139 Min., ab 12 J., R: Fatih Akin, D: Tahar Rahim, Simon Abkarian, täglich im Abaton (auch OmU), Holi, Savoy, Zeise