Immer mehr neue Hotels, zunehmende Gästezahlen und steigende Immobilienpreise im kleinen Nordsee-Ort St. Peter-Ording. Manche sprechen schon von einer „Syltisierung“.
St. Peter-Ording. Draußen ist der Strand, und der ist hier tatsächlich fast so weit, wie das Auge reicht. Nur da ganz hinten, am Horizont, glitzert noch das Meer. Drinnen steht Sven Olaf Kohrs an der großzügigen Fensterfront und hat kein Auge für St. Peter-Ordings Postkartenblick. Man kann das verstehen. Er und seine beiden Mitstreiter haben in den letzten beiden Jahren unablässig für ihr Hotel hinterm Deich gearbeitet. Zweite Heimat haben sie es genannt. Das soll es auch für die Gäste sein, sagt der Hotelier und präsentiert die Finessen der 47 Zimmer. Sauna mit Meeresblick zum Beispiel. Es gibt keine Minibar, dafür eine Hausbar im Flur. Und nicht nur Familienzimmer, sondern auch Familienduschen. Alles ein bisschen anders als üblich.
Wichtig ist ihm aber noch etwas. Der 40-Jährige – blauer Sweater, orangefarbene Sportschuhe – ist jetzt in der Suite im zweiten Stock angekommen, in der „Guten Stube“, wie das hier heißt. „Die haben wir Peter Fedders gewidmet, der vor 100 Jahren an dieser Stelle das Hotel Utholm erbaut hat“, erklärt er und zeigt auf ein Foto an der Wand. Das alte Haus in bester Lage war nach langem Leerstand Anfang 2013 abgerissen worden, aber in dem neuen Hotel lebt die Erinnerung an den Tourismuspionier des Seebads weiter. Ein schönes Sinnbild. „St. Peter-Ording“, sagt Kohrs „erfindet sich gerade neu.“
Die Zweite Heimat hat diese Woche aufgemacht, nach dem Beach Motel ein paar Meter weiter ist es die zweite Hoteleröffnung innerhalb von nur einem Jahr. Und auch sonst hat sich einiges getan. Endlosdebatten über das Strandparken, Kurgäste in beigen Anoraks und gefühlt Millionen Quadratmeter Waschbeton waren früher. St. Peter-Ording, kurz SPO, hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt wie kaum ein anderer Ort an den schleswig-holsteinischen Küsten.
Rainer Balsmeier jedenfalls sieht zufrieden aus, wie er da in seinem Büro im zweiten Stock des Wellnesszentrums sitzt. Gleich nebenan legen die Bauarbeiter letzte Hand an den Umbau der Dünentherme. Ende Juni soll die runderneuerte Badelandschaft eröffnet werden. „Dann sind wir erst mal fertig mit dem, was wir uns vorgenommen haben“, sagt der Tourismusdirektor, der auch parteiloser Bürgermeister in der 3800-Einwohner-Gemeinde ist.
Die Strandpromenade ist neu, die Seebrücke, der Platz davor, die sogenannte Buhne. Das Kurmittelhaus ist zum Wellnesszentrum umgebaut, mit angeschlossenem Hotel Strandgut. Das war 2007 der Start für die Modernisierung des Seebads. „Jedes Jahr hat sich das Karussell schneller gedreht“, sagt Stadtchef Balsmeier. 52 Millionen Euro hat die Gemeinde investiert, davon kamen 22 Millionen Euro aus öffentlichen Kassen. Und die privaten Investoren ziehen nach. Es ist ein bisschen so, als hätte jemand die Bremse gelöst. In den Cafés sitzen jetzt auch Surfer mit bunten Mützen, und auf dem Parkplatz stehen neben SUV mit Hamburger Kennzeichen Bullis, in denen Alohaketten um den Rückspiegel hängen. St.Peter-Ording ist ein Hotspot an der Nordsee.
Die Urlauber kommen nicht mehr nur in den raren Sommerwochen, auch im Winter ist was los. Allein im Dezember 2013 stieg die Zahl der Übernachtungen, das ist die Währung der Branche, nach Angaben des Statistikamts Nord mit gut 51.000 um mehr als 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch übers ganze Jahr gerechnet liegt das Seebad über der Landesquote. Nach einer neuen Zählung der Tourismuszentrale betrug das Besucherplus im vergangenen Jahr 3,3 Prozent. „Das“, sagt Balsmeier, „ist viel.“ Für den Westfalen, der 1996 von der ostfriesischen Insel Wangerooge nach St.Peter-Ording kam, ist das schon fast ein Ausbruch der Begeisterung.
Treffpunkt Beach Motel. Von außen erinnert das 103-Zimmer-Haus an die Strandhäuser der US-Ostküste. Es gibt einen Surfshop, Bulli-Parkplätze, Duzen ist hier Pflicht – ein Kulturclash in einem Seebad, in dem Cappuccino lange mit Sahne serviert wurde. Hinter dem Konzept stehen Jens Sroka und sein Partner Sönke Kähler. „Es gab eine Riesenzielgruppe in St. Peter-Ording, die nicht abgeholt wurde“, sagt Sroka. „Leute, die was Entspanntes suchen, das trotzdem bezahlbar ist.“ In Chucks, Lederjacke und Jeans steht der 38-Jährige in der Lobby des Beach Motels. „Das Konzept kommt an“, sagt er. Das ist untertrieben. Im März, nicht gerade ein Bestseller an der Nordsee, war das Haus zu 98 Prozent ausgelastet – dank aktiver Promotion über Facebook und Co. und einem Programm, das der umtriebige Hotelier „The Schnäppchen“ genannt hat. Und auch die zweite Saison läuft gut an. An den Wochenenden gibt es kaum noch freie Betten.
Früher kostete eine Doppelhaushälfte 250.000 Euro, jetzt das Doppelte
Zwar kommen nicht nur die coolen Surfer, die braungebrannt mit Waschbrettbauch schon zum Frühstück in Badeshorts und Flip-Flops erscheinen, sondern auch Herr und Frau Müller aus Wanne-Eickel. Aber das Beach Motel verleiht dem Badeort einen Coolness-Faktor, den es sonst an der Nordsee so nicht gibt. Dabei sind die Motoren der Veränderungen keine Fremden. Sroka, gebürtiger Hamburger mit Schulerfahrung im hiesigen Nordsee-Internat, hat schon 2002 mit seinem Bruder Jens das Ambassador, einen 70er-Jahre-Kasten gegenüber der Seebrücke, von seinem Vater übernommen und aufgemöbelt. Das Lifestylehotel Strandgut haben die Brüder bis 2011 zusammen betrieben. Auch die Verbindungen zu den Betreibern der Zweiten Heimat sind eng. Sven Olaf Kohrs macht mit seiner Frau die Gastronomie im Beach Motel. Der Stader, ein studierter Wirtschaftsingenieur, ist seit 14 Jahren in St. Peter-Ording aktiv, eröffnete 2001 Die Insel, bis heute angesagtes Lokal mit großem Garten. „Damals haben uns alle für verrückt erklärt“, erinnert sich Kohrs.
Inzwischen sind die Macher in Turnschuhen akzeptiert. Denn alle haben was von dem Weckruf hinterm Deich. St. Peter-Ording gilt als Wachstumsmarkt, und die Kaufinteressenten stehen Schlange. „Es gab Phasen, da war es kein Verkaufen mehr, sondern es ging nur noch ums Verteilen“, sagt Immobilienmakler Stefan Schneider. Besonders beliebt: alles, was reetgedeckt ist. „Wenn so ein Objekt reinkam, wurde gar nicht gefragt, sondern sofort gekauft.“ Das ist der Finanzkrise geschuldet, in der die Menschen lieber in eine Doppelhaushälfte an der Nordsee investieren als in griechische Staatsanleihen. Aber nicht nur. Bei Schneider melden sich auch Hamburger, die ihre Ferienwohnungen auf Sylt verkaufen und etwas in St.Peter-Ording suchen. Das hat Folgen: Vor zehn Jahren bekam man eine Doppelhaushälfte im gediegenen Ortsteil Böhl für 250.000 Euro. „Heute zahlt man das Doppelte.“
Immer wieder wird deshalb die Syltisierung von St. Peter-Ording vorhergesagt. Vor allem als vor einigen Jahren Fischhändler Gosch kam und dann auch noch die Sansibar in einen der Pfahlbauten zog. „Die ist inzwischen schon wieder weg“, sagt Bürgermeister Balsmeier und schüttelt den Kopf. Überhaupt hält er nichts von dem Thema. „Wir wollen nicht so werden wie Sylt. Wir haben unsere eigene Identität.“ Um die zu erhalten, hat die Gemeinde inzwischen die Notbremse gezogen. Dabei geht es darum, den ungebremsten Zubau von Ferien- und Zweitwohnungen zu verhindern. „Wir wollen das Rad nicht überdrehen“, sagt Balsmeier. Ganz freiwillig ist diese Einsicht freilich nicht. Beim Bau des Beach Motels gab es mehrere Klagen. Mit dem Ergebnis, dass der betreffende Bebauungsplan für nichtig erklärt wurde. Insgesamt sollen jetzt von den 70 Bebauungsplänen auf dem 2825 Hektar großen Gemeindegebiet 16 überarbeitet werden. Sogar einen Stadtplaner stellt die Gemeinde ein. Solange werden Bauanträge zurückgestellt, eine Veränderungssperre ist erlassen.
Das gefällt nicht allen. „Uns fehlt ein Masterplan“, sagt einer, der nicht ganz unbekannt in dem Badeort ist und anonym bleiben will. Die Geschwindigkeit ist das Problem, sagt er, und fordert eine angepasste Entwicklung der Infrastruktur. Schon jetzt ist im Ortsteil Ording, der mit seinem Kilometer breiten Strand besonders beliebt ist, im Sommer oft kein Durchkommen. Nun kommen die Urlauber aus den neuen Hotels dazu. Und dann ist da noch die ehemalige Mutter-Kind-Klinik auf dem Köhlbrand um die Ecke, die lange leer steht. Der Eigentümer, die Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie in Rendsburg, will das Objekt loswerden. Anvisierter Verkaufspreis: 6,7 Millionen Euro. Inzwischen gibt es offenbar einen ernsthaften Interessenten. Wieder was Neues in St. Peter-Ording.