Am Anfang sieht man den hessischen Generalstaatsanwalt vermeintlich an einem Tiefpunkt. Er ist, wir schreiben das Jahr 1957, in der Badewanne eingeschlafen, eine Rotweinflasche und ein Röhrchen Schlaftabletten neben sich. Nur durch Glück wird er gerettet. Ein BKA-Mitarbeiter fordert aber einen Polizisten auf, mehr Tabletten verschwinden zu lassen. Es soll wie ein Selbstmord aussehen. Fritz Bauer, der den Holocaust überlebte und nun die NS-Verbrechen aufklären will, ist vielen ein Dorn im Auge. Beim BKA, beim BND, beim Verfassungsschutz, überall, wo Alt-Nazis sitzen. Man nutzt jede Chance, ihn loszuwerden. Weiß auch von seinen homosexuellen Eskapaden im dänischen Exil und wartet auf eine Gelegenheit, um auch das gegen ihn auszuspielen. „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse“, hat Bauer mal gesagt und sagt es so ähnlich in diesem Film, „dann betrete ich feindliches Ausland.“
Dabei war er kein „Rache-Jude“, wie ihm immer wieder vorgeworfen wurde. Um Rache ging es ihm nie, sondern um Aufklärung. Fritz Bauer hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Frankfurter Auschwitz-Prozesse zustande kamen. Sein vielleicht größtes Verdienst aber wurde erst nach seinem Tod bekannt: dass er mithalf, den Kriegsverbrecher Adolf Eichmann dingfest zu machen. Dafür tat er sich mit dem Mossad zusammen, was viele als „Landesverrat“ sahen.
Die dumpfen Brauntöne machen Muff und Bedrängnis der 50er-Jahre deutlich
Es hat lange gedauert, bis man diesen deutschen Helden auch filmisch entdeckt hat. Jetzt aber kommen in einem merkwürdigen Zufall gleich drei Filme. Den Anfang machte „Im Labyrinth des Schweigens“. Nun kommt „Der Staat gegen Fritz Bauer“, in dem Burghart Klaußner sich die Figur anverwandelt bis in die bizarre Eraserhead-Figur und den merkwürdig schwäbelnden Duktus hinein. Demnächst wird ihn auch Ulrich Noethen in „Der General“ spielen. Die ersten beiden Filme könnten unterschiedlicher nicht sein.
„Im Labyrinth des Schweigens“ hat einen jungen Anwalt erfunden, der anfangs gar nichts vom Holocaust weiß und völlig naiv an die Sache herangeht. Der Film von Giulio Ricciarelli ist schlechtes Schulfernsehen. Das 50er-Jahre-Interieur riecht in jeder Einstellung nach Kulisse, der Held ist ein gut aussehender Sympath. Das Ganze muss auch noch mit einer Liebesgeschichte verquickt werden, damit die Thematik nicht zu schwer wird. Der Film wird dennoch als deutscher Kandidat ins Oscar-Rennen geschickt. Ein Fehler.
Nun kommt, neun Monte danach, Lars Kraumes Film ins Kino, der alles anders und alles richtig macht. Die Ausstattung ist hier keine museale Kulisse, die dumpfen Brauntöne machen Muff und Bedrängnis der 50er-Jahre deutlich und lassen einen ersticken. Auch hier wird die Figur eines jungen Anwalts (Ronald Zehrfeld) erfunden, der Bauer zuarbeitet. Er ist wie dieser homosexuell, lässt sich im Gegensatz zu Bauer aber auf eine Affäre ein – und wird erpresst. Da wird, ganz nebenbei, viel Alltagsgeschichte der Nachkriegszeit angerissen.
Vor allem aber wird Fritz Bauer ein hehres Denkmal errichtet. Burghart Klaußner in dieser Rolle zu erleben, wie er seine eigenen Neigungen unterdrückt, um sich nicht angreifbar zu machen, wie er Hasspost bekommt und sich von allen isoliert fühlt, dennoch nie aufgibt, nie klein beigibt, das ist großes Schauspiel. Kaum zu glauben, dass Lars Kraume diesen Film für nur 3,4 Millionen Euro gedreht hat. Er sieht in jeder Einstellung nach mehr aus. Ach, was hätte das deutsche Kino Chancen, würde man diesen Film 2016 für den Oscar vorschlagen! Ob man aber zwei thematisch so ähnliche Filme in Folge ins Rennen schickt, darf bezweifelt werden.
„Der Staat gegen Fritz Bauer“
Deutschland 2015, 105 Minuten, ab 12 Jahren, Regie: Lars Kraume, Darsteller: Burkhart Klaußner, Roland Zehrfeld, Sebastian Blomberg; täglich im Abaton, Holi, Koralle und Zeise