Hamburg. Zu einer guten Mahlzeit gehört eine schmackhafte Sauce. Jens Rittmeyer zeigt, wie man flüssigen Geschmack auf den Teller bringt.

Trotz der Zeiten, in denen Restaurantbetreiber um ihre Zukunft bangen, schmiedet der Buxtehuder Sternekoch Jens Rittmeyer Pläne: Er möchte möglichst bald, auf jeden Fall noch vor Pfingsten, ein eigenes kleines Restaurant eröffnen. Bisher kochte er für andere – die letzten Stationen waren Sylt (Restaurant KAI3 im Budersand Hotel) und das Restaurant No4 im Navigare NSBhotel in Buxtehude, das er „abgespeckt“ in Eigenregie weiterführen möchte. Seine Spezialität sind Saucen.

Zu einer guten Mahlzeit gehöre eine gute Sauce, sagt Rittmeyer im Ernährungs-Podcast „Schmeckt’s?“. Die Sauce dürfe auch zur Mahlzeit werden, kombiniert mit Brot oder Kartoffeln. Viele seiner Saucen brauchen reichlich Zeit und Zuwendung: „Sie dauern von fünf, sechs Stunden bis zu viereinhalb Tage in der Zubereitung“, sagt er.

 Saucen am Siedepunkt halten

„Denn ich koche die Saucen nicht, sondern halte sie am Siedepunkt. Gerade wenn ich bereits gegarte Knochen verwende, möchte ich sie nicht kochen, weil sich dadurch das Kollagen herauslöst. Dann klebt die Sauce unangenehm am Gaumen. Die Knochen werden stattdessen ganz langsam ausgelaugt.“

Im Hausgebrauch könne man einen verkürzten Weg wählen, dann werden die Saucen allerdings weniger intensiv, sagt Rittmeyer. Der Faktor Zeit mag dazu geführt haben, dass Großmutters Saucen meist sehr gut schmeckten: „Früher hat es einmal oder zweimal in der Woche ein Fleischgericht gegeben. Gerade der Sonntagsbraten hat Stunden gebraucht.“

In der privaten Küche seien die dunklen Saucen am zeitintensivsten, „wenn man eine Sauce aus einem Bratansatz ziehen möchte, weil man vielleicht einen Braten in den Ofen schiebt“. Für alle Saucen gelte: Sie brauchen eine gute Basis, und das sind meist die Fonds.

Ein guter Fond gehöre in jeden Kühlschrank

Ein guter Fond gehöre in jeden Kühlschrank, meint der Sternekoch. „Viele sind zeitaufwendig, aber es gibt Ausnahmen: Für eine gute Hollandaise muss ich nur einen Weißwein um ein Drittel zu reduzieren – fertig. Dann wird er mit Eigelb aufgeschlagen, dazu eine gute Butter oder ein Rapskernöl.

Damit sie gelingt, braucht man allerdings eine sogenannte Aufschlagschüssel und einen weichen Schneebesen, keinen festen. Der weiche schlägt mir beim warmen Aufschlagen viel Luft in die Masse.“ Das aktuelle Saisongemüse kann sogar ohne zubereitete Sauce auskommen, urteilt der Spezialist: „Zum Spargel ist die zerlassene Butter sehr fein.“ Oder eine Zi­tronen-Thymian-Sauce. Oder eine Hollandaise, mit frisch gepresstem Rhabarbersaft als besondere Note.

Ein Fond lässt sich für später heiß in Gläser abfüllen

Fonds, die nicht sofort eingesetzt werden, lassen sich gut kochend heiß in Gläser füllen. Dann sofort einen Deckel draufschrauben. Etwas abkühlen lassen und in den Kühlschrank stellen. Dort halten sie wochenlang. Fonds aus dem Supermarkt „erfüllen ihren Zweck, Arbeit zu ersparen“, so Rittmeyer.

„Jeder Mensch muss für sich selbst entscheiden, was er essen möchte, und entsprechend einkaufen. Ich habe kürzlich einige Fonds testen dürfen: Als Koch mit meinen Ansprüchen komme damit nicht klar. Die Zutaten Hefeextrakt oder Gewürzextrakt stammen meist aus der Familie der Glutamate. Ich finde, dass es alles auch natürlich geht. Ich würde mich freuen, wenn ich immer mehr Menschen für das Selbstkochen zu Hause begeistern kann.“

Seine Leidenschaft für Saucen komme aus der Kindheit, als er „bei der Mama und der Oma mitkochen durfte. Wir haben viel selbst produziert, selbst gemostet und geschlachtet. Meine Eltern waren beruflich sehr angespannt, sodass ich manchmal für meine jüngere Schwester kochen musste. Zunächst unter Anleitung meiner Mutter – ein gebackener Camembert mit Tomaten­sauce, nicht mit der süßen Preiselbeersauce. Die Tomatensauce hat mich fasziniert.“

Zu seinen Lieblings-Saucen zählt eine Zitronen-Thymian-Sauce

Später folgten eine Kochlehre und das Kochen in der Sterneküche. Dieter Müller, damals Drei-Sterne-Koch in Bergisch Gladbach, merkte vor 20 Jahren, dass Rittmeyer ein Händchen für Saucen hat – „glücklicherweise hatte ich ganz tolle Chefs, die das gefördert haben“.

Auch seine Sylter Stammgäste würdigten die Saucenkunst – so kam das Gericht „Sauce und Brot“ auf die Speisekarte. Rittmeyer: „Und sie sagten mir: ,Mensch, koch und verkauf die doch mal.‘ So ist mein Onlineshop entstanden. Der ist jetzt drei Jahre am Markt. Es sind frisch gekochte, verzehrfertige Saucen.“ Mehr als 30 Saucen und Fonds seien inzwischen zu haben.

Zu seinen Lieblings-Saucen zählt eine Zitronen-Thymian-Sauce – „passt zu Kalb, zu Geflügel, zu Nudeln und auch wunderbar zu Fisch, weil sie immer die zitronige Aromatik mitliefert“, erläutert der Fachmann und nennt einen zweiten Liebling: „Meine Karotten-Anis-Sauce schmeckt so intensiv nach Karotten, dass ich sie so weglöffeln könnte. Wir setzen ganz viel Karottensaft ein. Und ich liebe die Anis-Note.“

Deutschland ist ein Saucenland

Es dürfe aber auch exotisch sein. „Ich mag Saucen mit Green Curry, etwa die Curry-Zitronengras-Sauce aus der Thai-Küche. Oder auch Saucen mit Kurkuma und Ingwer, also eher die afrikanische Richtung. Als Koch kann man – wenn man denn darf – fast überall hinfliegen und seinen Horizont erweitern. Das ist sehr bereichernd.“

Frei nach dem Sprichwort: Appetit holt man sich woanders, gegessen wird zu Hause. Schließlich sei Deutschland ein Saucenland, sagt der Chefkoch: „Da werden auch mal nur Kartoffeln mit Sauce gegessen. Das ist dann eine dunkle Sauce mit Pfiff.“ Man könne sie zum Beispiel mal mit etwas Kräuterheu aromatisieren: Die Sauce vom Herd nehmen, etwas Heu hinzugeben, Deckel drauf und 20 Minuten ziehen lassen.

Rittmeyer: „Dann passiert man das Ganze durch ein feines Sieb und hat eine ganz leicht aromatisierte Sauce, die wunderbar zu Lamm, Kalb, Rind und generell ins Frühjahr passt. Das Heu von Kräuterwiesen kann man in Tiernahrungsgeschäften kaufen. Es heißt Wiesenheu oder Wiesenkräuterheu und ist eigentlich für Kaninchen, Hasen und Meerschweinchen gedacht. Da ist nichts Verwerfliches bei.“

Auch mit einem Teebeutel lassen sich Saucen aromatisieren

Auch mit einem Teebeutel lassen sich Saucen aromatisieren, Schwarztee dürfe allerdings nur wenige Minuten einwirken. Wichtig sei, dass das Aromatisieren erst am Ende der Zubereitung erfolge, rät der Feinschmecker. Die Sauce dürfe nicht mehr kochen, da sonst die Bitterstoffe aus Tee, Heu oder beigegebenen Trockenkräutern herausgelöst werden. Und noch ein Tipp: „Ein ganz kleiner Spritzer Himbeeressig verbessert jede Sauce.“

Er selbst esse zu Hause kaum noch Fleisch. Gemüse sei „extrem spannend“, deshalb habe er viele vegane Saucen im Angebot. „Ich versuche, die gleiche Tiefe hineinzubekommen wie bei den fleischigen Saucen, durch ganz viel frisch gepresste Gemüsesäfte“, erläutert der Profi. „Dabei gebe ich die Pressrückstände, den Trester, vom Entsaften in die Sauce. Dadurch entsteht eine besondere Intensität. Ich habe in fast allen Saucen Alkoholika drin, weil sie ihnen mehr Volumen geben. Aber der Geschmack ist nie präsent. Der Alkohol wird immer am Anfang zugegeben.“

Saucen für den Onlineshop werden in Buxtehude gekocht

Die Saucen für den Onlineshop stellt Jens Rittmeyer in Buxtehude her, immer nur kleine Chargen von maximal 30 Gläsern. „Ich muss noch ein bisschen daran arbeiten, meine Wirtschaftlichkeit zu verbessern“, kommentiert er die Produktionsweise. Er stehe fast jeden Tag am Herd; zwei Arbeitskräfte auf 450-Euro-Basis helfen beim Versand. Vereinzelte Delikatessläden bieten die Saucen ebenfalls an.

 „Früher hatte ich die Idee, ein, zwei Saucen an tolle Supermärkte mit guter Fleisch- oder Fischtheke zu liefern. Die könnten zu ihren Produkten wunderbar ein paar passende Saucen dazustellen und sie ganz kurz präsentieren. Aber solche Empfehlungen werden nur in der Gastronomie gegeben, der Einzelhandel kennt das gar nicht.“

Farbe, Textur und Geschmack: Darauf kommt es bei Saucen an.
Farbe, Textur und Geschmack: Darauf kommt es bei Saucen an. © Getty Images | Unbekannt

Sehr bald möchte Rittmeyer seine Saucen lieber wieder persönlich servieren, in seinem Restaurant No4 im Vorstandscasino der Buxtehuder NSB Reederei. Es soll ein kleines, feines Restaurant mit nur vier Tischen werden und zunächst nur freitags und sonnabends öffnen, damit es verlässlich ausgebucht ist. Eigentlich sollte es im April starten. „Wir müssen alle irgendwie schauen, dass wir dieses besondere Jahr meistern“, sagt er. „Aber ich bleibe positiv und muss jetzt noch ein bisschen Geduld haben.“