Von ARMGARD SEEGERS
Hamburg - Treffer! Die zweite Premiere zur Spielzeiteröffnung am Thalia Theater geriet Regisseur Stephan Kimmig und seinem glänzenden Ensemble zu einer gelungenen Satire auf die moderne Arbeitswelt. Die Uraufführung von Moritz Rinkes "Republik Vineta" führt voller Komik und Verzweiflung eine Männerwelt vor, in der jeder Traum ein hartes Stück Arbeit ist. Die Arbeit allerdings ist nichts als ein Traum, denn die leitenden Angestellten, die hier zusammensitzen, um auf einer unbewohnten Insel einen perfekten Lebensraum zu entwerfen, sind schon lange ausgemustert. Sie wissen es nur noch nicht.
Doch wohin mit den ausgemusterten Managern? Statt sie in die Depression zu schicken, beschäftigt man sie in einer Projektgruppe. Dort fantasiert man von einem Leben, wie es sein sollte, sein könnte. Und weil dies eben auch das ureigenste Metier des Theaters ist, macht es hier so viel Spaß, diesen Fantasten zuzugucken.
In einer von Katja Haß entworfenen, abgeschiedenen Villa, die in den 30er-Jahren entstanden und in den 50ern zuletzt renoviert worden ist - viel Holztäfelung, verwaschen graue Wände, eine große Treppe - , räsonieren fünf Männer unter Aufsicht eines Projektleiters darüber, wie idealerweise die Republik Vineta auszusehen habe.
Man entwickelt einen "Themenpark der untergegangenen Träume", streitet darum, was dazuzählen soll und was nicht. Jeder will seine eigenen Visionen durchsetzen, der mal mickrige, mal größenwahnsinnige Arbeitsamtschef Montag (Christoph Bantzer) ebenso wie der alerte Baugruppenleiter Born (Stephan Schad), der präpotente Unternehmensberater Hagemann (Jörg Lichtenstein) oder der stets um ein gutes Wahlergebnis bangende Stadtdirektor Behrens (Hans Christian Rudolph), der stets eine Lösung für alle Fragen parat hat: Man muss einen Tunnel bauen. Dazu gehören noch der Kapitän Feldmann-See (Hartmut Schories), den nur das Wetter und die Ankunft seiner Schiffe interessieren, ein herbeigerufener Architekt (Thomas Schmauser), der vom menschengemäßen Wohnen in seinen unmenschlichen Bauten schwadroniert, Assistentin Nina (Alexandra Henkel), die sich gern von den einsamen Männern begehren lässt, aber selbst entscheiden will, wer ihr wann und wo an die Wäsche gehen darf, und Planungsgruppenleiter Leonhard (Helmut Mooshammer), der mit Zucht und allerlei Spielchen seine Leute zusammenhält.
Regisseur Kimmig hat genau hingeschaut, was bei Männern abläuft, zumal bei leitenden Angestellten, wenn man sie gruppendynamisch aufeinander loslässt. Man spreizt sich und bekämpft einander, rottet sich zusammen, macht nieder, spielt den Wichtigtuer oder auch den Sanften. Hauptsache, man gewinnt. Jeder will ein Alpha-Männchen sein - voreinander und vor der Assistentin sowieso. Wird die Stimmung kritisch - und dies ist eine wunderbare Idee des Autors Rinke - , ruft Projektgruppenleiter Leonhard streng dazu auf, "zusammenzuspielen". Jeder bekommt eine Trommel, und auf das Kommando "Eins, zwei" wird gemeinsam getrommelt oder der Garten umgegraben. Frei nach dem Motto einer Generation, die mal geglaubt hat, das Weltheil darin zu finden, Bäume zu umarmen oder bei Vollmond Bachblüten zu pflücken. Wenn einige der Kerle nachts, mit Taschenlampen vor dem geschlossenen Vorhang, den Aufstand proben, sich aber nicht über die Formulierungen und die Bedienung des Laptop einigen können, oder wenn Christoph Bantzer aus dem geklauten Tagebuch des Planungschefs vorlesen muss und sich dauernd verhaspelt, spielt das Ensemble in Hochform.
Glücklicherweise wird nirgends zu dick aufgetragen, Blicke, Gesten, Gänge sind vielsagend genug. Hans Christian Rudolphs eitler Stadtdirektor schaut wie ein geprügelter Hund, wenn es ihm wieder einmal nicht gelungen ist, das Geschwafel seiner Reden zu bündeln. Thomas Schmauser spielt einen Architekten voller heißer Träume, der sicher keine kühlen Berechnungen anstellen kann. Christoph Bantzer glänzt mit liebevoller Ironie in der Rolle des Arbeitsamtschefs: Bürokrat und ängstlicher Schwärmer. Jörg Lichtensteins Unternehmensberater ist ein optimistisch überdrehter Hypermotoriker, der erst seine Ruhe findet, wenn er sich am Ende aufhängt.
Dieses Ende ist bei Rinke leider schwach, und die Inszenierung macht es nicht besser. Es hätte mit dem dritten Akt enden sollen. Da hat die Ehefrau des Kapitäns (Hildegard Schmahl) aus treudoofer Anhänglichkeit den ganzen Schwindel aufgedeckt, und die Zuschauer haben begriffen, dass diese Herren Insassen einer Anstalt sind. Ohne Arbeit geht ihnen der Sinn des Lebens verloren, sie verblöden, werden gefährlich für sich und andere. Rinke hat ein packendes, großes Thema gefunden, Kimmig hat in seiner Inszenierung gezeigt, wie nah es uns berührt. Einen Schlussakt lang Beatle-nostalgischen Irren zuzuschauen ist dann überflüssig.