Hamburg - Moritz Rinke (33) gehört zu den meistgespielten jungen deutschen Dramatikern. Er hat in den vergangenen Jahren fünf Stücke geschrieben, die u. a. in Zürich, Salzburg, Berlin, Bochum, Graz und Hannover aufgeführt wurden. In "Republik Vineta", das am 23. September am Thalia Theater seine Uraufführung erlebt, beobachtet Rinke eine Gruppe von Managern, die auf einer unbewohnten Insel Visionen von einem schönen neuen Leben verfolgen, irgendwo zwischen Gigantomanie, Toskana-Träumen und Expo-Fantasien. Um den modernen Garten Eden, den die Planer mit Hilfe architektonischer und politischer Wahnsinns-Ideen entwerfen wollen, entsteht ein hemmungsloser Machtkampf.

ABENDBLATT: Man kann viel Zeitgeist und Satire in Ihren Text hineinlesen. Welche Idee verfolgten Sie beim Schreiben?

RINKE: Das Stück erzählt von einer Männergruppe, die sich berufen fühlt, auf einer Insel eine Vision vom modernen Leben entstehen zu lassen. Dazu gehören ein Käpitän, ein höherer Angestellter, ein Ingenieur, ein Architekt, ein Rechtsberater. Wie jede Männergesellschaft definiert sich auch diese hauptsächlich durch Arbeit. Und die erleben dann ihr blaues Wunder. Die verlieren ihr Ich, ihr Selbstwertgefühl, ihre Balance. Ich glaube, das Theater sollte heute nicht so sehr Randexistenzen beschreiben, sondern die Katastrophen, die sich genau in unserer Mitte abspielen. Diese Realität verstehen die Zuschauer, weil es ihre eigene ist. Ich habe Vorbilder für meine Figuren oft beobachtet. Auslöser zum Stück war die Krankheit eines Freundes, der plötzlich nicht mehr arbeiten konnte und für den eine Welt zusammenbrach. Ich habe mich viel mit dem Thema Arbeitssucht beschäftigt und auch Therapiestätten für Arbeitssüchtige besucht. Außerdem hatte ich von einem Unternehmen gehört, in dem viele Mitarbeiter angeblich nur für den Papierkorb arbeiten. Sie wissen es nur nicht.

ABENDBLATT: Bei Ihnen ist das alles ziemlich komisch.

RINKE: Das ist mir sehr wichtig, dass man auch darüber lachen kann. Aber ich nehme meine Figuren ernst, verstehe und liebe sie auch. Sie sollen keine Karikaturen sein. Wenn man selbst nicht betroffen ist, sind Machtkämpfe zwischen anderen oft sehr komisch. Ich hab da auch ein bisschen an die Auseinandersetzungen zwischen Lafontaine, Schröder und Scharping gedacht, als es um den Parteivorsitz ging. Da sind die Inhalte zeitweilig total hinter dem Machtkampf verschwunden. Auch meinen Helden geht es fast ausnahmslos nicht um Ziele, sondern nur noch darum, bedeutsam zu sein. Wer stark genug ist, kann sein Programm verkaufen. Alle anderen haben Utopien, die sich nicht verwirklichen lassen, und damit werden sie als Romantiker abgetan.

ABENDBLATT: Welche Utopien haben Ihre Helden?

RINKE: Der Auftrag dieser Männer ist, Visionen zu entwickeln. Große Entwürfe sind aber nicht möglich, weil sie sich sowieso nicht realisieren lassen. Sie haben arme Visionen, Sehnsüchte sind nicht gefragt. Jeder hat die Erfahrung gemacht, dass er seine Träume in Zynismen verpacken muss. Diese Männer hätten die Chance, einmal etwas anders zu machen, zu träumen, etwas zu entwerfen. Aber es passiert nicht. Vielleicht, weil es irgendwo immer ein Gremium gibt, das dagegenstimmen würde.

ABENDBLATT: Ihre Planungsgruppe, die einen ,Themenpark der untergegangenen Träume' einrichten soll, erinnert an die Expo-Macher. War das gewollt?

RINKE: Nein, aber das gibt es doch heute oft. Jeder will ein ,Event' veranstalten. Man arbeitet mit Worthüllen wie ,Themenpark', oder ,Visionen', obwohl die Ideen, die dahinter stecken, jämmerlich klein sind. Es ist unmodern, an das Große, das Schöne zu glauben. Die Masse lechzt nicht nach Utopien, denen immer etwas Elitäres oder allzu Intellektuelles anhaftet. Die Ideen eines urbanen Leben beschränken sich darauf, dass man nicht mehr so beengt wohnen will. Aber der Mut, darüber nachzudenken, wie man für die Seele des Menschen bauen kann und nicht nur für den Nutzen, der fehlt.

ABENDBLATT: In Ihren anderen Stücken geht es um Beziehungskrisen zwischen Männern und Frauen. Wo bleibt das diesmal?

RINKE: Darauf war ich so festgelegt, dass ich diesmal lieber etwas über Leistungsdruck erzählen wollte. Natürlich gibt es auch wieder eine Liebesgeschichte, die sich als Tragödie darstellt.

ABENDBLATT: Sie haben als Journalist angefangen. Was hat Sie dazu gebracht, Ihren Job zu kündigen und es als Stückeschreiber zu versuchen?

RINKE: Das weiß ich selbst nicht. Ich hatte Lust dazu. Ich bin schon als Schüler aus Worpswede ins Thalia Theater gefahren und hab mir hier alles angeschaut. Als Journalist hab ich so gelitten, wenn ich Kritiken schreiben musste, da hab ich gedacht, es ist besser, selbst Stücke zu schreiben. Jetzt wird mein neues Stück hier gespielt. Schön.

Interview: ARMGARD SEEGERS