mik Boizenburg - Es war eine Nacht der großen Freude. Als sich am 24. Dezember auch für die Westdeutschen die Grenzen der DDR öffneten, geriet der Heilige Abend 1989 zu einem ganz besonderen Weihnachtsauftakt. Tausende strömten zu den Übergangsstellen. Um Mitternacht sollten die Schlagbäume aufgehen.
Schon zweieinhalb Stunden vorher machte sich Eveline Hebestreit, Hauptamtsleiterin in der Lauenburger Stadtverwaltung, damals auf den Weg. "Es war eine unglaubliche Stimmung", erinnert die Verwaltungsfachfrau sich. Anderthalb Stunden hätten sie auf dem Horster Damm gestanden, obwohl die Abfertigung auf sechs Spuren lief. "Die haben die Pässe gar nicht mehr kontrolliert." Die Autos stauten sich auf zehn Kilometer Länge bis nach Boizenburg. "Jedes Auto wurde mit Klopfen auf das Dach begrüßt. Süßigkeiten wurden verteilt, Äpfel, selbstgebrannter Schnaps. Es war einfach toll", sagt Eveline Hebestreit. Und es wurde eine lange Nacht.
Schwarz-rot-goldene Fahnen wurden geschwenkt. Um das Rathaus waren Schnapsstände aufgebaut, es gab Brühwurst. Unbekannte lagen sich in den Armen, Adressen wurden ausgetauscht. Überall tanzten Menschen. Ein riesiges Fest des Wiedersehens. Kaum jemand aus Lauenburg, der nicht dabei sein wollte. "Ich bin gar nicht bis nach Boizenburg durchgekommen, so voll war das", sagt Hauke Matthiesen, Lauenburger Bürgermeister a.D.. Wer es geschafft hatte, feierte bis in die Morgenstunden. In jener Nacht wurde das Fundament gelegt für die schon vier Monate später geschlossene Städtepartnerschaft.
Auch die Boizenburger Kirche war geöffnet, es gab Kaffee, Kuchen und die ganze Nacht Gespräche. "Wir Empfangenden konnten etwas von der Dankbarkeit zurückgeben", beschreibt Pastor Alfred Scharnweber die Atmosphäre. Immer wieder habe er ein altes Gebet zitiert: "Lieber Gott und Herr, setze dem Überfluss Grenzen und lasse die Grenzen überflüssig werden."
Kurt Tschiltschke war damals auch auf den Beinen. Gemeinsam mit dem Hohnstorfer Sportverein hatte der Leiter der Laufgruppe der TSG Wittenburg den ersten grenzüberschreitenden Volkslauf organisiert. 150 Läufer trafen sich um Mitternacht an der Lauenburger Palmschleuse, von dort ging es im Trab nach Osten. "Die Grenzer haben uns einfach durchgewinkt", erinnert sich Tschiltschke. Entlang der Strecke schlossen sich spontan immer mehr Läufer an. Ziel war der Boizenburger Sportplatz. Zum zehnten Jahrestag wird es einen Erinnerungslauf geben. Treffpunkt ist heute um 19 Uhr - wieder die Palmschleuse.
Dieses Mal aber wird es kein Fest geben. Die Grenze ist weg, die Reisefreiheit Normalität, und Lauenburger und Boizenburger sind ganz normale Nachbarn - mit Gemeinsamkeiten, Konkurrenzdenken und der Erinnerung an ein besonderes Weihnachten.