Von JOACHIM MISCHKE Hamburg - "Manche finden nach Mozart nichts mehr schön, manche nach Brahms, Wagner - oder Schönberg . . ." Für Nuria Schönberg Nono, Tochter von Arnold Schönberg und Witwe von Luigi Nono, hat sich die Frage nach Massenverträglichkeit nie gestellt. Ihr Leben war und wird von Musik geprägt, die vielen, wenn nicht den meisten Mitmenschen als schwierig gilt, als schwer erträglich oder gar unanhörbar. "Mein Vater hat einmal formuliert, es gebe auch das Recht der Minderheit darauf, solche Musik zu hören."
Nun ist sie in Hamburg, um am Sonntag bei der Staatsopern-Premiere von Nonos "Al gran sole carico d'amore" dabeizusein. In jener Stadt, in der sie 1954, bei der konzertanten Uraufführung von Schönbergs "Moses und Aron", den 30jährigen Nono kennenlernte. Ein gutes Jahr später heirateten die beiden und lebten bis zu Nonos Tod 1990 in seiner Geburtsstadt Venedig. Ist hier, um mitzuerleben, was aus diesem schwierigen Stück (den Begriff "Oper" hat Nono vermieden, Regie-Anweisungen nicht gegeben) wird, in dem es um gescheiterte Revolutionen, zerbrochene Utopien und mutige Revolutionärinnen geht, in Paris, Rußland, auf Kuba und in Italien.
Nono war Kommunist, glühend, bekennend, aber auch feinsinnig, zweifelnd, suchend. Ein Künstler, der politisch dachte, lebte und arbeitete. "Das Thema dieses Stücks ist das Leiden und der Einsatz von diesen Frauen, die an etwas geglaubt haben und die für etwas gekämpft haben." Geschrieben in einer Tonsprache, die radikal ist und liebevoll zugleich. "Es gibt politische Komponisten und politische Komponisten . Mein Mann war letzteres." Und weil sie auf dessen Lebenswerk hörbar stolz ist, hält sie auch mit ihrer sanften Kritik am Hamburger Regisseur Travis Preston nicht hinter dem Berg: "Es hat mich schon etwas gestört, daß er Darwin-Texte selbst dazugegeben hat, die nicht im Libretto stehen - nicht, weil er es nicht darf oder soll, sondern weil das Publikum keine Möglichkeit hat, zu erfahren, woher diese Texte kommen."
Seit der Mailänder Uraufführung 1975 ist "Al gran sole . . ." kaum gespielt worden. "Damals war das Stück aus politischen Gründen sehr interessant - besonders in Italien. 1978 in Frankfurt hat es ebenfalls großen Eindruck gemacht", erinnert sich Nonos Witwe. Danach jedoch verschwand es gewissermaßen hinter dem Mantel der Geschichte. Die politischen Inhalte und Absichten der von Nono vertonten Texte verjährten und verblichen und machten damit aber auch den Blick wieder frei auf die Musik: "In den letzten Jahren hat man endlich die musikalische Seite mehr betrachtet - jetzt spricht man von der Schönheit seiner Musik. Die Ideen und Ideale sind nicht schlecht, aber heute hört man mehr auf die Musik. Bei Verdi sind viele Themen ja auch nicht aus der Zeit, und dennoch spüren wir das Humanitäre. Wir wissen nichts über das Warum oder was die Menschen angefeuert hat. Aber das Feuer ist geblieben."
Geblieben ist auch die Erinnerung an die Zeit in Venedig, an die familiäre Atmosphäre, in der ein blutjunger Helmut Lachenmann 1958 als Schüler Nonos über Werkanalysen schwitzen durfte. Dort, im Palazzo Fortuny, kümmert sie sich jetzt um das Nono-Archiv; in Wien ist sie zudem vielbeschäftigte Stiftungspräsidentin des Schönberg Centers. Beide Archive sollen nicht geehrt, sondern genutzt werden. Von strenger Gralshütung also keine Spur, im Gegenteil, Nuria Schönberg Nono genießt die Arbeit mit Forschern und Musikern. Wer wolle, könne kommen; wer Glück hat, darf sogar mit einem Essen rechnen, fügt sie scherzhaft hinzu. "Ich bin sehr froh, mit diesen beiden großen Männern Schönberg und Nono gelebt zu haben - sonst würde ich nun vielleicht Strümpfe fürs Enkelkind stricken." Das ist allerdings nur schwer vorstellbar.