Sie waren das erste Opfer der Studentenrevolte: Abschiedsfeiern mit Pomp und Musik, mit Rüschen und Reden galten seit 1968 als überholt: "Unter den Talaren" witterten die Kritiker den "Muff von 1000 Jahren". Jetzt sind es wieder Studenten, die sich beklagen. Felix Feuchtner, der gerade sein Studium der Betriebswirtschaftslehre abgeschlossen hat, nennt es einen "unhaltbaren Zustand": "Einer der größten Fachbereiche der Uni hält es für unnötig, die Absolventen mit einer würdevollen und angemessenen Abschlußfeier zu verabschieden." Immer mehr Studenten wollen "mit Würde" ins Berufsleben entlassen werden. Die Uni reagiert: Mehr als die Hälfte aller Fachbereiche organisiert Abschlußfeiern.
Die Lebensmittelchemiker werden schon seit Jahren mit Festprogramm, Reden und Büfett entlassen - die Folge eines "Schlüsselerlebnisses" von Prof. Hans Steinhart. "Unter Tränen" hatte sich eine Studentin beklagt: Sie hatte ihre Diplomurkunde in einem regennassen Umschlag zerknüllt aus dem Briefkasten gezogen, das Ergebnis jahrelanger Mühen lieblos bedruckt auf billigem, braunem Papier. "So geht es nicht", entschied Prof. Steinhart, Direktor der Abteilung Lebensmittelchemie. Seitdem verabschiedet er Absolventen im blumengeschmückten Hörsaal per Handschlag, erklärt das Thema der Abschlußarbeit und vergibt Preise, gesponsert von Unilever, für die besten Diplom- und Doktorarbeiten. Freunde und Eltern sind eingeladen.
Überrascht vom Wunsch nach Stil war Prof. Wilfried Hartmann, als er vor 15 Jahren - damals als Dekan im Fachbereich Erziehungswissenschaften - seinen Studenten anbot, sich ihre Urkunden in einer Fachbereichsratssitzung überreichen zu lassen. Heute, als Uni-Vizepräsident, legen er und Uni-Präsident Jürgen Lüthje "großen Wert darauf, daß Feiern stattfinden". Hartmann sieht darin auch eine Stärkung des in Hamburg unterentwickelten Gefühls "Das ist unsere Uni". Zwar könne die Uni, so Hartmann, bei 42 000 Studenten und 3000 Absolventen im Jahr, keine zentrale Veranstaltung bieten, doch will die Unileitung bei Ehemaligenorganisationen und der Universitätsgesellschaft noch mehr für Feiern werben. Oft zahlen Professoren Blumen und Büfett aus eigener Tasche. Unterschiedlich sind die Abschiedsrituale: [GEFÜLLTER KREIS] Bei Theologen und Sportlern gibt's statt feierlicher Reden studentische Abschlußpartys. [GEFÜLLTER KREIS] Juristen verabschieden ihre Doktoren mit Musik und Grüßen. [GEFÜLLTER KREIS] Bei den Medizinern erhalten die rund 350 Doktoranden im Jahr auf drei Feiern ihre Urkunden. [GEFÜLLTER KREIS] Die Soziologen werden mit Reden im Gästehaus verabschiedet. [GEFÜLLTER KREIS] Die Erziehungswissenschaftler verleihen zusätzlich im großen Hörsaal Preise für die besten Promotions- und Examensarbeiten. [GEFÜLLTER KREIS] Mit Sekt und Grußworten feiern die Kulturwissenschaftler und Orientalisten. [GEFÜLLTER KREIS] Bei den Psychologen gibt's zentrale Diplomfeiern, oft mit Diplomierten als Festrednern.
Hartmann sieht in der "sich ausbreitenden Kultur der Abschlußfeiern" nicht nur die Erfüllung von Studentenwünschen, sondern auch des Auftrages, den die Uni über Wissensvermittlung hinaus zu erfüllen habe und der in großen Lettern über dem Hauptportal eingemeißelt ist: "Der Forschung, der Lehre, der Bildung".
Daß Studenten mehr wollen als die schlichte Übergabe einer Urkunde, je nach Bürozeit aus der Hand des Dekans oder von einer Sekretärin, erklärt Hartmann auch mit dem veränderten gesellschaftlichen Umfeld: "Weil man heute mit akademischem Grad keine Garantie auf beruflichen Erfolg mehr hat, bekommt die Ausbildung einen höheren Wert."
Die hierzulande als feierlich empfundenen Abschiedsrituale gelten im Ausland dagegen als schlicht. In England, USA oder Finnland gibt es oft mehrtägige Feiern mit Bällen, Festgelagen, Gottesdienst und Umzug. Bei der Verleihung des Ehrendoktorgrades konnte Prof. Hartmann in Helsinki die Tradition der finnischen Hochschule erleben: Man setzte ihm einen Doktorhut auf und überreichte ihm einen Degen - Insignien der längst in Vergessenheit geratenen Standeskleidung vergangener Zeiten.