Hamburg - Die Wahrscheinlichkeit, einen Gesprächstermin mit György Ligeti zu bekommen, ist in etwa so hoch wie ein Fünfer im Lotto, denn der 73 Jahre alte Komponist mit Wohnsitz in Hamburg hat reichlich zu tun: Gerade sind die ersten vier von insgesamt 13 CDs einer Edition erschienen, die sein Schaffen umfassend darstehen soh. Zu Ligetis 75. Geburtstag im Mai 1998 werden in vielen Musik-Metropolen Konzerte geplant, und selbst in Hamburg (jener Stadt, die er einst als "schahtoten Raum" bezeichnete) ist für Juni 1998 eine vom NDR koordinierte Konzertreihe in Sicht. Dann sollen u. a. die meisten großen Orchesterwerke und die Solo-Konzerte aufgeführt werden. Wir fragten den Komponisten:

Hamburger Abendblatt: Am 28. Juli wird Ihre Oper ,Le Grand Macabre'in einer überarbeiteten Fassung und inszeniert von Peter Sellars erstmals bei den Salzburger Festspielen zu erleben sein. Worin liegen die Gründe für die Werk-Revision ?

György Ligeti: Der .Grand Macabre' hatte bislang rund 20 Aufführungen, und allmählich bin ich zu der Einsicht gekommen, daß das Stück in dieser Form nicht gelungen war und musikdramaturgisch große Fehler hat, weil ich vor 20 Jahren, als ich es geschrieben habe, naiv war, was Oper betrifft. Und auf der Grundlage dieser Einsicht habe ich es sehr wesenthch umgearbeitet.

Bei der umstrittenen Leipziger ,Macabre'-Inszenierung war die Wiedervereinigung ein zentraler Aspekt und eine Bananenrepubuk Ort des Geschehens.

Ich mag diese politischen Aktualisierungen - egal in welche Richtung - nicht, das hat mit dem Stück nichts zu tun. Nach Leipzig war ich eingeladen und habe danach einen Brief an den Intendanten geschrieben, er möge bitte das Stück vom Spielplan absetzen. Der Bitte wurde entsprochen. Diese Krankheit, irgendwelche aktuellen Slogans in Stücke einzubauen, dieses Namedropping . . . Das alles hat mit Kunst nichts zu tun.

Authentische Aufnahmen

Aber muß gerade zeitgenössische Musik nicht auch zeitgenössische Bezüge herstellen ?

Das tut sie ohnehin. Doch ich wehre mich dagegen, mich für irgend etwas - Tagespolitik, Wirtschaft, Religion, was auch immer - propagandistisch einspannen zu lassen.

Bei Sony Classical erscheint eine große CD-Edition. Wie kam es zu dieser Produktion, bei der Sie sehr intensiv mit Esa-Pekka Salonen zusammenarbeiten werden, und wieviel künstlerisches Mitspracherecht haben Sie?

Der Anstoß zu diesem Projekt kam von mir. Ich hatte schon seit vielen Jahren den Traum, Aufnahmen meiner Musik, genauer gesagt, von den Werken, die ich akzeptiere, zu realisieren. Die Partituren meiner Musik bestehen ja nur aus Tonhöhen und rhythmischen Konstellationen, da ist nicht vermittelt, wie man das tatsächhch spielt. Und ich wollte endhch einmal authentische Aufnahmen meiner Musik, die ganz und gar mit meinen Vorstehungen übereinstimmen. Sie wird zwar viel gespielt, das stimmt, aber die Interpretation ist oft totaler Zufall.

Kann es passieren, daß Ihnen bei der Arbeit an der Edition noch mehr Änderungen an anderen, vermeintlich vollendeten Werken einfallen?

Sicher. Ich sehe in meinen Kompositionen immer wieder Dinge, die nicht gelungen sind, und versuche es dann neu.

Hat das angestrebte Ultimative so einer Gesamtaufnahme nicht auch etwas Endgültiges, Erschreckendes?

Nein, denn es ist ja kein unausweichlicher Befehl, daß andere es so ausführen müssen; diese Einspielungen geben vielmehr ein Bild als Ergänzung zur Partitur. Denken Sie an die große Strawinsky-Edition, da ist auch nicht alles so gut. Wenn ich beispielsweise seinen ,Sacre' hören möchte, nehme ich heber die Einspielung von Monteux oder Boufez. Doch es ging Strawinsky darum, die Art, wie er seine Kompositionen gespielt haben möchte, der Nachwelt zu überlassen.

Strawinsky hat seinerzeit das meiste selbst dirigiert. Das haben Sie nicht vor?

Ich bin kein Dirigent. Ich habe das nicht gelernt und bislang auch erst dreimal in meinem Leben dirigiert. Andere können das besser als ich.

Und wie waren diese drei Auftritte als Dirigent für Sie?

Fürchterlich . . .

Eine ganz profane Frage an einen Komponisten Ihres Alters: Wird das Komponieren einfacher, je länger man dieser Tätigkeitnachgeht? Oder steigen Ihre Ansprüche an die eigene Arbeit immer weiter?

Diese Frage stellt sich so nicht. Da nach Debussy und seit Schönberg keine allgemeingültige musikalische Sprache vorhanden ist, muß jeder Komponist sich etwas suchen, Pierre Boulez als ein Extrem genauso wie Arvo Part oder die amerikanischen Minimahsten als andere Extreme. Das sind - ganz wertfrei ausgedrückt! - total verschiedene Ästhetiken. Ich wiederum habe auch meine eigene. Wird Komponieren schwieriger? Ich nehme viele Einflüsse auf nicht nur musikalische -, und die arbeiten in meinem Kopf. Das alles ergibt jenen Zusammenhang. Einen fertigen Stil habe ich nicht. Es wird nicht schwerer oder leichter - es wird anders.

Können Sie ruhig danebensitzen, wenn ein für Ihre Arbeit so wichtiges Stück wie der ,Macabre'für die Bühne neu erarbeitet wird?

Wenn ich komponiere, weiß ich immer genau, wie es klingen wird. Deswegen gibt es auch kein Lampenfieber, überhaupt nicht. Das hatte ich . . . (überlegt) eigenthch nie. Auch nicht, als für die Edition eines meiner frühen Stücke aufgenommen wurde, das ich noch nie gehört hatte.

Was ist das für ein Gefühl, ein Stück zu hören, das so lange Zeit ,da' war, aber eben nur in Ihrer Ein bildungskraft ?

Noch nicht gut genug

Komisch . . . Aber ich kenne es, ich hab's ja geschrieben. Nur nie gehört.

Das ist fast wie ein Bild, das man nie sieht, obwohl - eigentlich ist das kein besonders guter Vergleich ?

Doch! Vielleicht bin ich ein Maler, der seine Augen verbindet und dann ein Bild malt.

Nach der deutschen ,Grand Macabre'-Erstaufführung 1978 in Hamburg hat ein bekannter Kritiker geschrieben, das Stück dürfte ,nach ein paar sensationsgeilen Aufführungen bald auf dem Friedhof jener Opernwerke landen, die an ihrem Libretto starben (. . .), edel überwachsen von Dissertationen, die fromm behaupten, im Massengrab ruhe ein verkanntes Meisterwerk'.

Das ist schön. Ich kannte den Satz nicht, aber es ist richtig deswegen habe ich das Stück ja überarbeitet, weil es nicht gut genug war. Die Hamburger Aufführung war von allen schlechten vielleicht die schlechteste.

Und die aktuelle ,Macabre'- Fassung ist nun auch wirklich die endgültige?

Das weiß ich nicht. Es ist eine bessere Fassung. Ich muß sie abwarten und sehen. Die Musik, die ich mir vorstehe, die kann ich genau schreiben, aber das Leben eines Stückes auf der Bühne dafür muß man Erfahrung haben. Mir hat sie damals gefehlt. Jetzt habe ich etwas mehr. Ob das genügt, weiß ich nicht.

1992 hieß es, Sie würden an einer Vertonung von ,Alice im Wunderland' arbeiten, die .demnächst' fertig sein solle. Wie ist der Stand der Dinge?

Genauso. Demnächst. Diese Idee stammt aus dem Jahre 1982, ist also 15 Jahre alt.

Ihren Zeitplan haben Sie wohl ein bißchen überzogen.

Ein bißchen. Aber beim .Grand Macabre' hat es ja sogar 17 Jahre gedauert - so gesehen, hab' ich noch zwei Jahre Zeit. Interview: JOACHIM MISCHKE