Von HEINRICH OEHMSEN Der "Boss" läßt auf sich warten. Auf der Bühne wieseln nur Roadies hin und her, erste Pfiffe geüen durchs CCH. Vom Rang tönen Rufe, die wie "Buh" klinfen, doch gerufen wird "Bruce". Punkt 0.30 Uhr kommt er auf die Bühne: Bruce Springsteen, den aüe nur den "Boss" nennen.

Angezogen ist er mit weiten, schlecht sitzenden Worker-Jeans, die Ärmel seines Hemds sind aufgekrempelt. Er hängt sich eine von drei schwarzen halbakustischen Gitarren um, streift das Gesteh mit der Mundharmonika über und entlockt ihr einen herzzerrei- ßenden Ton. Mit "The Baüad Of Tom Joad", dem Titelsong seines jüngsten Albums, beginnt er sein Solokonzert.

Bis auf "The New Timer" spielt er aüe Songs seiner neuen Platte. Um sie vorzusteüen und zu zeigen, daß es einen anderen Springsteen gibt als den sich auf der Bühne austobenden Rocker, hat der 47jährige diese kurzfristig geplante Akustik-Tour angetreten. Die Songs von "Tom Joad" zeigen vor aüem den Gesellschaftskritiker Springsteen und den Arbeitersohn, der trotz Ruhm und Reichtum nicht abgehoben hat.

Bevor er seine neuen Songs beginnt, hefert er Erklärungen zu Texten und beschreibt die Umstände, unter denen die Lieder entstanden sind. Wenn er über die arbeitslosen Stahlarbeiter von Youngstown/Ohio spricht, faüen einem die Arbeiter der Vulkanwerft ein, die

das gleiche Schicksal erleiden werden. Mit einfachen Beschreibungen legt Springsteen den Finger in die Wunden des "gelobten Landes" Amerika, singt von dahinvegetierenden Vietnam- Veteranen und mexikanischen Kindern, die an der Grenze zu Kalifornien als Flüchtlinge aufgegriffen und in Lager gesteckt werden.

Doch Springsteen spielt bei diesem zweieinhalbstündigen Konzert auch Songs aus der Zeit mit seiner E-Street- Band. Ebenso wie Bob Dylan oder Neu Young hat der Rockmusiker aus New Jersey inzwischen Abstand zu seinen eigenen Songs. Das hymnische "Born In The USA" ist kaum wiederzuerkennen, aües Pathos ist herausgenommen. Bei "Adam Raised A Can" peitscht er seine elektrisch verstärkte akustische Gitarre mit der Wucht eines Punks. Die Stimmungslage dieses spannenden Abends ist meistens ruhig, nur manchmal läßt Springsteen es krachen.

Dreimal kommt der "Boss" für Zugaben wieder auf die Bühne zurück. Als er "The Streets Of Phüadelphia" anstimmt, brandet Jubel auf. Doch als er die entschlackte Version aus dem Aids- Film mit Tom Hanks singt, wird es totenstül im Saal. Die "standing ovations" weichen einer kollektiven Ergriffenheit. Mit "The Promised Land endet das Konzert. Springsteen schüttelt Hände in der ersten Reihe, winkt in die Ränge hinauf und verteüt Kußhände. Mit einem schhchten ?Thank you" verabschiedet er sich. Ein großer Konzertabend ist zu Ende.