Für die strafrechtliche Aufarbeitung der Affäre, die alle Dimensionen des bislang Bekannten in der bundesdeutschen Medizingeschichte sprengt, hatte die Hamburger Strafjustiz ihren größten Saal gewählt. Wo von Januar 1985 bis Mai 1986 14 Mitglieder der berüchtigten Hell's Angels auf der Anklagebank gesesserThatten, muß sich jetzt Prof. Dr. Dr. Dr. Rupprecht Bernbeck (71), hochgepriesener und vielgeschmähter ehemaliger Chefarzt der Orthopädie im AK Barmbek, wegen fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen verantworten.

An zunächst 23 Prozeßtagen soll vor der Großen Strafkammer 2 bis zum 28. September 1988 verhandelt werden. Der Professor, dessen Energie ausreichte, um au- ßer dem medizinischen auch den Dr. phü. und den Dr. rer. nat. zu machen, schritt zu seinem Prozeß wie ein Bannerträger. Im grauen Flanell-Zweireiher durchmaß der Ex-Chefarzt kerzengerade das Bützüchtgewitter der Fotografen, als existiere es nicht; starr der BUck und streng die markanten Züge.

Flankiert von seinen beiden Verteidigern, Dr. Hajo Wandschneider und Friedrich Bergmann, schluckt der Angeklagte schnell noch eine Püle, ehe der Prozeß im Saal 336 / 337 beginnt. Aufmerksam wird er verfolgt von Menschen, die einst Patienten des anerkannten Fachmannes Bernbeck waren und sich heute als seme Opfer fühlen.

Wie es um die Haltung des Mannes bestellt ist, der von 1963 bis zu seiner Pensionierung 1981 die Orthopädie im AK Barmbek leitete, wüd schon bei der ersten Frage des Vorsitzenden Richters Hans-Joachim Röhse nach der Anwesenheit deutlich: Prof. Bernbeck springt auf, als gelte es Meldung zu machen. Der Vorsitzende winkt irritiert ab: "Bitte, Sie können ruhig sitzen bleiben."

Dem Mediziner bringt diese Haltung indessen keine Lockerung semer offenbar unverrückbaren, holzschnittartigen Lebensart. Er verüest die Stationen seines Lebens, die den Sproß eines bayrischen Forstbeamten in Regensburg 1935 das Abitur bestehen und ihn im Jahr darauf zur Marine gehen Ueßen. Schiffsarzt habe er werden wollen. Studium in Greifswald, Berün, München, Kiel. Und dann die "U- Boot-Waffe", 1936 bereits stieß Rupprecht Bernbeck zu ihr.

Bewegung scheint in seine Zuge zu kommen, als er die Boote und ihre Kommandanten nennt, U 124, U 155. Da ist er plötzlich da, der große Atlantik, da wüd deutlich, was außer Gott Äskulap noch prägend war für diesen Mann, den selbst sein Verteidiger als "schwierige Persönhchkeit" bezeichnet.

Der 71jährige verüest, wie er unter dem Eindruck der Nachkriegszeit sein Berufsziel, die Krebsforschung, geändert und sich vornehmüch der Kinderorthopädie zugewandt habe. Er verweist auf die Standardwerke aus seiner Feder, erwähnt die Dissertationen über "Vergleichende anatomische Untersuchungen zum Problem des aufrechten Ganges" und die rassenpsychologische "Untersuchung zum Verhältnis des deutschen Volkes zum Meer", vergißt auch den Potugaleser nicht, vom Senat 1976 zum Dank für treue PfüchterfüUung verllehen.

Stüle herrscht im Saal, als Prof. Bernbeck wiederholt, was er vor dem Untersuchungsausschuß schon einmal gesagt hatte: "Meine Seele, nicht mein Gewissen, ist durch meine ärztlichen Mißerfolge belastet." Er fügt hinzu: "Dennoch bin ich dankbar und darf in aller Demut bekennen - ich durfte helfen. Meine üdischen und hünmllschen Richter werden nun über Schuld und Versäumnisse zu richten haben", schließt der Chefarzt i. R. mit anachronistischem Pathos.

Die "Versäumnisse" sind in der Anklage bedrückend aufgeüstet. Fünf FäUe, die Merkmale eines medizinischen Skandals tragen könnten, fünf Menschen aber vor allem, die durch schweres Leid für ihr Leben gezeichnet smd. Wie etwa der auch als Nebenkläger auftretende Rainer Janke, der sich im Gefolge der Bernbeck'schen Behandlung nicht weniger als zwanzig Nachoperationen unterziehen mußte.

Dr. Hajo Wandschneider beklagt dennoch in emer Erklärung die massive Vorverurtellung des sogenannten "Skandalarztes". Prof. Bernbeck, so Dr. Wandschneider, sei noch vor wenigen Jahren in Hamburg, etwa als Nestor der Kinderorthopädie, ganz anders beurteüt worden. Semem Mandanten Arroganz und Mitleidlosigkeit vorzuwerfen, müsse als "im höchsten Maße unfair" erscheinen. In der Öffentüchkeit werde der Eindruck erweckt, als ob Prof. Bernbeck "im weißen Kittel seme Patienten nur verstümmelt hat".

Von 1963 bis 1981 habe Prof. Bernbeck

im AK Barmbek exakt 36 930 Operationen durchgeführt, also etwa 2000 im Jahr. Die Schadensquote bezifferte Dr. Wandschneider auf ledigllch drei Promüle. Die Zahl der aktenkundigen SchadensfäUe lasse nicht erkennen, daß es im AK Barmbek zu mehr Fehlern als in vergleichbaren Einrichtungen gekommen sei. Aber im Fall Bernbeck sei aus Schadensfällen in seiner Tätigkeit "eine sehr bedauerllche Affäre" geworden.

Der Prozeß wüd am 6. Juni. 8 Uhr. fortgesetzt.