Die Unterzeichnung des Vertrages mit den Hafenstraßen-Bewohnern ist Grund für ein Gefühl der Erleichterung, aber nicht für Jubel. Erleichterung stellt sich ein, weil eine blutige Straßenschlacht vermieden worden ist und weil Hoffnung besteht, daß Gesetz und Recht nun endlich auch wieder in der Hafenstraße gelten werden. Unsere Stadt braucht Frieden, nicht Krieg. Deshalb war es richtig, daß eine friedliche Lösung des seit Jahren schwelenden Konflikts gesucht wurde, und deshalb war es auch richtig, daß buchstäbllch in letzter Minute - der Vertrag unterzeichnet wurde. Ich selbst habe dem Vertrag zugestimmt, allerdings mit großen Bedenken.

Warum Bedenken, warum kein Grund zum Jubel? Der Vertrag ist eine Hoffnung, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Angesichts des bisherigen rechtswidrigen Verhaltens vieler Hafenstraßen-Bewohner fäUt es schwer zu glauben, daß sich dies von heute auf morgen ändert. Kann man sich vorstellen, daß die vermummten Stacheldraht-Leger von gestern heute Mitglieder der Heilsarmee werden? Und: Der Teufel liegt - auch bei Vertragserfüllung - im Detaü. Ob der Vertrag wirkllch in allen seinen Einzelheiten von den Hafenstraßen-Bewohnern erfüUt werden wird, weiß heute niemand. Skepsis ist angebracht. Aber die Hafenstraßen-Bewohner haben nach dem Vertragsabschluß nun auch ein Recht darauf, daß man ihnen eine faire Chance einräumt.

Kein Grund zum Jubel besteht aber auch deshalb, weü viele Bürger unserer Stadt in ihrem Rechtsbewußtsein tief erschüttert sind. Niemand sollte die Verbitterung friedlicher Menschen leichtnehmen, die es nicht begreifen können, daß sie wegen Verkehrsvergehen oder anderer geringfügiger Ordnungswidrigkeiten bestraft werden, während die Gewalttaten an der Hafenstraße scheinbar noch mit einem Vertrag belohnt werden: Muß man Randale machen, um vom Staat etwas zu bekommen? Wie verträgt sich dies mit dem Rechtsstaat? Für mich besteht kein Zweifel, daß der Rechtsstaat in Hamburg schwere Schrammen bekommen hat. Kann man unter diesen Umständen dem Vertrag zustimmen?

Eine Antwort, die da lauten würde: "Um des Friedens wülen, ja", wäre zu leicht gegriffen. Friedüchkeit ist keine Alternative zur Rechtsstaatllchkeit, denn der Rechtsstaat ist die Friedensordnung im Innern eines Staates. Wer den Rechtsstaat bekämpft, hebt den Rechtsfrieden auf. Wenn das aber so ist, wie läßt sich der Vertragsabschluß mit den Hafenstraßen- Bewohnern dann überhaupt rechtfertigen? Für eine solche Rechtfertigung gibt es nur ein Argument, das wiederum mit dem Rechtsstaat zu tun hat, nämlich: Mit dem Vertrag soll die Rechtsordnung in der Hafenstraße wieder hergestellt werden. Mit dem Vertrag sollen auch dort wieder - was an sich eine Selbstverständ- Uchkeit ist - Gesetz und Recht gelten. Man muß durch den Schatten gehen, um ins Licht zu gelangen. Wenn es denn durch den Vertrag wirklich zu einer dauerhaften friedüchen Lösung an der Hafenstraße kommen würde, wenn auf Dauer dort wieder rechtsstaatliche Verhältnisse in die Häuser einziehen würden, hätte auch der Rechtsstaat letztlich gewonnen. Dies ist ein schwacher Trost für Schäden, die er genommen hat, gewiß. Die Wunden, die dem Rechtsstaat in Hamburg geschlagen sind, werden vernarben; ungeschehen kann sie kein Vertrag machen.

Über die Rolle der FDP und über die des Zweiten Bürgermeisters ist in den vergangenen Tagen gerätselt worden. Das Rätsel läßt sich einfach lösen. Unter dem Eindruck der Brandstiftungen, des Barrikaden-Baus, der neuerlichen Besetzung eines Hauses und der Tatsache, daß die Befestigungen immer noch nicht abgebaut wurden, hat der Landesvorstand der FDP auf meine Initiative hin am Montag beschlossen: Jetzt reicht's. Angesichts des rechtswidrigen Verhaltens sah die FDP keinen Anlaß mehr für einen Vertragsabschluß mit den Bewohnern der Hafenstraße. Nachdem aber am Mittwoch und Donnerstag aufgrund der anerkennenswerten Initiativen von Bürgermeister von Dohnanyi die Barrikaden und Befestigungen abgebaut wurden, war eine neue Lage entstanden, auf die die FDP neu reagieren mußte. Niemand in der Stadt hätte es verstanden, wenn die FDP aüein aus Prinzipienreiterei trotz der neuen Situation sich einer vertragllchen Lösung verschlossen hätte.

Für Hamburg kommt es nun darauf an, daß der Senat sich endlich auf die Bewältigung der Probleme konzentrieren kann, die für die Zukunft unserer Stadt langfristig unendlich viel wichtiger sind als acht Häuser in einer Straße: die Bewältigung der schweren finanziellen und wirtschaftlichen Krise Hamburgs. Ich wünschte mir, der Senat hätte sich mit diesen Problemen auch nur annähernd so intensiv beschäftigt wie mit der Hafenstraße.