In den letzten vierzehn Tagen hatte sie Hochkonjunktur, die Hamburger Küsterfrau Christel Frommann. Sie ist die einzige, die den hamburgischen Pastoren die großen Halskrausen waschen, stärken und mit einem umgebauten Lötkolben sorgfältig bügeln kann. Denn zum Pfingstgottesdienst legen die Geistlichen der Hansestadt ebenso wie zu Weihnachten oder Ostern gesteigerten Wert auf einen frisch gestärkten Kragen.
Die Halskrause ist auffälliger Teil des hamburgischen Ornates, der Amtstracht zahlreicher Hamburger Pastoren. Und problematisch dazu: Die Krause besteht nämlich aus drei Leinenbahnen von je 2,10 Meter Länge, die zu rund 70 Tüllen zusammengenäht werden. In die richtige Form gebracht, sieht sie sehr schmuck aus.
Zweimal wird der Kragen gestärkt
Doch irgendwann wird trotz aller Vorsicht der Grauschleier unübersehbar, und die Wäschestärke hat den größten Teil ihrer Kraft verloren. Dann wird der Kragen zu Christel Frommann in die Eimsbütteler Bogenstraße gebracht. Sie wäscht das Linnen, stärkt es zweimal und bügelt es. Eine Leistung, die um so bemerkenswerter ist, als solch ein Kragen nach der Wäsche einem zerknautschten, eingelaufenen Minirock gleicht. Doch unter Christel Frommanns Spezialbehandlung wächst das schlichte Leinen wieder zur Wohlansehnlichkeit heran.
Das macht die Küstersfrau mit einem Lötkolben, mit dem sie in jede der siebzig Tüllen fährt. Die Wärme des Kolben glättet den Stoff. Und in rund anderthalb Stunden sieht das Ganze wieder wie eine richtige Halskrause aus. Siebzehn Mark nimmt Christel Frommann für jede Behandlung. Alle vier bis sechs Monate hat ein Kragen sie nötig.
Dieses komplizierte Kleidungsstück ist nicht das einzig Bemerkenswerte an dem hamburgischen Ornat. Wollte ein Pastor dieses Gewand, gestreng allen Ritualen folgend, anlegen, dann würde er wohl schon bald eine leichte Trockenheit unter dem Gaumen spüren. Denn er müßte beim Ankleiden eine Menge sprechen. Für die ersten zehn der siebzehn Knöpfe die zehn Gebote, für den Rest die sieben Bitten des Vaterunsers.
Doch die meisten Geistlichen kleiden sich heute wohl schweigend an. Es ist ohnehin schon kompliziert genug, den ehrwürdigen .Hamburgischen Ornat' richtig anzulegen. Immerhin besteht er aus gut acht Metern Stoff und drei Teilen: Dem Unterhabit, dem Oberhabit und aus der Halskrause. Amtstracht aus alter Zeit
Der Ornat ist, sieht man einmal von den Gewändern der Leichenträger ab, die einzige Amtstracht, die aus hanseatischer Vorzeit geblieben ist. Sie wird bei weitem nicht von allen Hamburger Pastoren getragen. Nur im Bereich der ehemaligen Landeskirche, dem heutigen Kirchenkreis Alt-Hamburg, gilt sie als Dienstkleidung. Schon in Wandsbek, Altona oder auch Harburg wird wieder der weit verbreitete, einfachere preußische Talar getragen.
Die Ornatsträger müssen weit mehr für ihr Arbeitskleid ausgeben als die Talarträger. In der auf kirchlichen Bedarf spezialisierten Firma Eggert am Mundsburger Damm bekommt man einen Talar schon für knapp 400 Mark, für einen Ornat mit allern Drum und Dran müssen runde 1000 Mark hingeblättert werden.
Die Schneider liefern Maßarbeit
Über dieses komplizierte, von hanseatischer Tradition geprägte Stück gibt es, und das ist kurios, nirgendwo verbindliche schriftliche Angaben, die Form und Aussehen vorschreiben. Doch in der Firma Eggert wissen die Schneider auch so ganz genau, wie ein Hamburgischer Ornat aussehen soll, und sie liefern Maßarbeit. Das eindrucksvolle Gewand, das mit einer eigens für den Kirchenkreis Alt-Hamburg gewebten Borte abgesetzt ist, ist für Pastorinnen und Pastoren gleich. Bis auf den kleinen Unterschied: Frauenornate sind links geknöpft. MICHAEL SCHWEER