Zunächst sollten die Olympischen Spiele 1972 nur 475 Millionen DM kosten. Dann wurden 800 und später 1150 Millionen DM daraus. Inzwischen liegt die Rechnung bei 1,582 Milliarden DM, zu denen durchaus noch ein paar Millionen kommen könnten, wie die Organisatoren nicht ausschließen. Willi Daume hat jedoch unverdrossen die Parole von den "heiteren Spielen" ausgegeben: Sie beginnen am 26. August 1972, in genau 658 Tagen, in München.

Zur Stunde ist alles so weit fortgeschritten, daß Willi Daume, dem Präsidenten des Olympischen Organisations-Komitees, als einzige Sorge noch einfällt: "Hoffentlich wird das Wetter schön!" Außer dem Wetter, und das kann man billigerweise kaum verlangen, hat der Dortmunder Stahl -Industrielle anscheinend alles fest im Griff. Offenbar neuerdings auch seinen Computer.

Die Datenverarbeitungs-Maschine überwacht für die Organisatoren den sogenannten Netzplan, einen großen integrierten Terminkalender mit 1600 aufeinander abgestimmten Maßnahmen. Als man diesen Super -Mitarbeiter in seinen Job einführte, das heißt ihm alle Daten einspeiste, nannte er als frühesten Veranstaltungs-Beginn für Münchens Olympia erst einmal 1976.

Computerlogik

Die Techniker hatten Mühe, dem Computer ein paar "unlogische Verknüpfungen" auszureden und ihm klarzumachen, daß er für München 1972 und nicht für Montreal 1976 tätig werden soll . . .

Der Computer ist dringend erforderlich, denn München wird größer, schöner und perfekter werden als jedes olympische Fest vorher. Die Rückkehr zu den intimen Spielen, wie sie wohl zuletzt 1952 in Helsinki stattfanden, ist immer wieder melancholisch angeregt worden, verwirklicht wird sie wohl nie. Von der guten alten Postkutschen-Zeit träumt man, bestellen muß man aber einen Jumbo-Jet . . .

München hat schon jetzt eine Reihe von vorolympischen Rekorden gebrochen, und es wird weitere aufstellen. So wird sich das "größte Dach der Welt" (möglicherweise auch das umstrittenste!) von 76 000 Quadratmetern und für 80 Millionen DM über Stadion, Schwimmund Sporthalle breiten; so arbeitet der größte Kran der Welt mit einer Kapazität von 500 Tonnen auf dem Oberwiesenfeld; und so hat sich beim Richtfest im Olympia-Park die "größte Fresserei" in Bayern zugetragen, seit 1475 der Herzog Georg in Landshut die edle Jadwiga, Tochter des Polen-Königs Kasimir, mit einem Konsum von 1000 Fässern Wein freite.

Im Rohbau sind Stadion, - Schwimm- und Sporthalle und die zentrale Hochschulanlage, eine Ballung von Sportstätten für die verschiedensten Disziplinen, praktisch fertig. Vom Olympiaturm kann man aus luftiger Höhe sehen, daß in München tatsächlich verwirklicht wurde, was bei der Bewerbung im April 1966 in Rom von Daume und Oberbürgermeister Vogel versprochen worden war: ein ? Olympia der kurzen Wege" .

Endlose Fahrten hatte es in Mexico City gegeben, wo in einer Sieben-Millionen-Stadt das Hockeystadion mehr als 30 Kilometer vom Stadion entfernt lag. Nicht viel anders war es 1964 in Tokio gewesen. München bietet dagegen den 12 000 Athleten, die erwartet werden, geradezu Phantastisches; Wenn sie wollten, könnten sie zu Fuß in einer Viertelstunde vom olympischen Dorf zu den Haupt-Wettkampf Stätten gehen. Und die wiederum überzeugen das Publikum durch ihre Nachbarschaft. Es liegen gerade 200 Meter auseinander :

- das Olympiastadion mit 80 000 Plätzen (davon 47 000 Sitzplätze); ? die Sporthalle (Turnen, Boxen) mit 11 500 Plätzen;

- die Schwimmhalle mit einem Fassungsvermögen von 7600 Zuschauern.

Aus dem olympischen Dorf und seinen Anhängseln, wie der Pressestadt für die Journalisten aus aller Welt, wird einmal eine Wohnstadt für 12 000 Menschen werden. An die spätere Verwertbarkeit aller Einrichtungen ist also gedacht worden.

So wird aus dem Schwimmstadion mit seinen fünf Becken einmal eine Schwimmhalle werden, in der sich auch Nichtschwimmer wohl fühlen können: Ein Drittel des 50 -m- Beckens erhält einen Hubboden, der die Wassertiefe von 250 auf 90 Zentimeter verringert. Wo die Haupttribüne mit 6000 Sitzen errichtet ist, soll eine Glaswand hingestellt werden, die die Illusion des Freibadens erlaubt.

Das gesamte Oberwiesenfeld wird sich in einen riesigen Freizeitkomplex verwandeln, wenn die 16 Tage der größten Sport-Show der Welt verrauscht sind. 87 000 Quadratmeter groß wird ein künstlicher See ausgehoben, 4750 Bäume (zum Teil aus alten Münchner Straßen liebevoll umgepflanzt) und 180 000 Sträucher und Büsche wollen die Gärtner in die Erde setzen. Biergärten, Großrestaurants, ein Tanzcafe entstehen, 750 Straßenlaternen leuchten an 34 Kilometern Parkwegen und Autostraßen ? den Münchnern wird für die 1,5 Milliarden schon einiges geboten.

Aber das Geld, das zur Hälfte die Bundesrepublik, zur anderen Hälfte gemeinsam München und das Land Bayern aufzubringen haben, fließt nicht nur zum Oberwiesenfeld. Im Nymphenburger Schloßpark wird der Treffpunkt für die Dressurreiter erstellt, in der Stadt die Basketball-Halle ausgebaut, im Englischen Garten die Arena für die Bogenschützen hergerichtet, auf dem Messegelände Theresienhöhe die 5000-Plätze-Halle für Ringen und Judo, bei Augsburg der Kanuslalom-Kurs und bei Feldmoching die Regattastrecke der Ruderer ausgehoben. In dem Becken hätte ? hoch lebe die Statistik! ? die Biermenge Platz, die bei 225 Oktoberfesten getrunken wird . . .

Für die Schützen soll in Garching gebaut werden. "Soll" ist hier das Wort, denn vorerst hat ein Oberregierungsrat das Unternehmen gestoppt. Die Olympia-Bau-Gesellschaft hatte vergessen, bei der örtlichen Behörde um die Bauerlaubnis nachzufragen . . .

Eine Panne, aber eine liebenswerte eigentlich : Denn sonst ist diese Organisation für das Unternehmen Olympia beinahe unheimlich in ihrer Präzision. Sie weiß bereits heute, 658 Tage vor der Eröffnungsfeier:

- 1000 Hostessen für 32 verschiedene Sprachen werden benötigt, sie werden 1250 DM bei freier Station verdienen.

- Beiwerk zum Sport wird die Kunst sein. An der Spielstraße sind Marionettentheater, Pantomime und Schnellzeichner eingeplant; die heitere Muse in jeder Form soll ih^ ren Platz finden. Sechs Prozent des Gesamtetats "Olympia" erhält die Kunst.

- Von den 80 000 Karten für die Eröffnungsfeier werden 7176 in der Region München vergeben. 43 Prozent der 62 400 Kauf karten sind für Ausländer reserviert, über IT 000 Karten werden gratis vergeben. ? Die teuersten Karten (Eröffnung, Schluß, Leichtathletik-Entscheidungen) kosten 100 DM, am billigsten sind mit fünf DM die Vorkämpfe. Eine Siegerehrung gibt es für diesen Preis noch nicht.

- Pullover, Krawatten, Schirme, Manschettenknöpfe, Kerzen, Gläser, Feuerzeuge und manches andere wird der Olympiabesucher als Souvenir mitnehmen können. Organisator: "Olympic Souvenir", jüngste Abteilung der Hamburger Firma Fahnen-Fleck.

- Die Zeitmessung übernehmen einträchtig (wenn auch nicht freiwillig so kooperativ) zwei Weltfirmen: Junghans und die Schweizer von Lpngines. Generalbevollmächtigter der deutschen Fabrik wird Martin Lauer, Ex -Weltrekordler über 110 m Hürden.

- 1685 olympische Leihautos stellt die Industrie zur Verfügung: 340 in der Hubraumklasse zwischen 1200 und 1500 ccm, 133 Prestigewagen mit mehr als 2000 ccm für die Honoratioren, 202 Groß- und 495 Klein- Omnibusse sind darunter.

Vieles ist da, noch mehr ist im Entstehen, Ungeheuerliches tut sich bei einem "Verein zur Förderung der Olympischen Spiele", der 20 Millionen DM an Sach- und Geldspenden beschaffen möchte. Was er schon hat, würde einen Gemischtwaren-Händler stolz machen:

32 000 Kartoffelknödel, 200 Zentner Grassamen, 320 000 Käseecken, 600 000 Schokoladenriegel .(als Betthupferl gedacht), 5000 Schreibmaschinen, Autobereifungen, Kartenlocher, Fruchtsaft, Dosenmilch, Rasenmäher, Puddingpulver. Was er noch sucht, sind Kleiderbügel, Aschenbecher, Geschirrspülmaschinen, Tonbänder, Teppiche, Tresore (um die Goldmedaillen zu verwahren?) und anderes mehr.

Daume hat ? wie gesagt ? nur noch Sorgen ums Wetter. Gunter Sachs und Willy Bogner, Ex-Skiläufer, haben welche mit dem Olympiafilm :Beide möchten sie ihn machen! Der Ex-Bardot-Gatte will dabei sogar mit weniger Geld auskommen als der Rivale: 2,18 stehen gegen 3,9 Millionen DM Voranschlag.

Angst vor Nepp

Sorgen hat auch die Polizei. Mit den Dirnen beispielsweise, die Sportler um Kondition und Moral bringen könnten. Das Oberwiesenfeld soll darum Sperrbezirk werden. Aber nicht nur für leichte Mädchen. Auch fjür den Kommunarden Dieter Kunzelmann, von dem man einen 36 Seiten langen Brief über dessen olympische Ideen in Händen hält. Kunzelmann möchte die Eröffnungszeremonie stören, möglichst sogar mit einer Schießerei.

Die Münchner selbst machen sich auch Gedanken. Ihre Weltstadt mit Herz scheint manchem auf falschem Wege. München ist schon 13 Prozent teurer als Hamburg oder Frankfurt und sogar 22 Prozent teurer als Berlin. Dabei verdienen Münchner Arbeiter im Durchschnitt 130 Mark monatlich weniger als die Hamburger Kollegen. München fürchtet, einer "Nepp-Olympiade" entgegenzugehen.

Eines ist außerdem klar: "Olympia der kurzen Wege" gilt sicherlich nicht für die Olympia-Touristen! München wird 24 000 Fremdenbetten zu bieten'haben, die restlichen Quartiere werden bis Salzburg und Innsbruck vermittelt werden, in Nürnberg oder Oberstaufen.

In einer beneidenswert glücklichen Situation ist allerdings Cherie von Birkenhof, zur Zeit Paris. Der alt-adelige Vierbeiner ist zum "Olympia-Waldi" auserkoren worden, zum Maskottchen der heiteren Spiele. Ein Dackel aber dürfte selbst in 658 Tagen in München noch Platz für sein Körbchen finden.